Als wäre die Erwärmung der Ozeane durch Klimawandel und El Niño nicht genug, setzt der Mensch den Korallenriffen und ihren Bewohnern rund um den Globus auch durch massive Überfischung zu. Wie dramatisch die Bedrohung dieser fragilen marinen Ökosysteme tatsächlich ist, ergab nun eine punktuelle Bestandsaufnahme durch ein internationales Forschungsteam. Das Ergebnis der im Fachjournal "Nature Communications" veröffentlichten Studie: Fast zwei Drittel der untersuchten Standorte werden überfischt.

Als reich strukturiertes Ökosystem bieten Riffe etlichen Fischarten einen Lebensraum – darunter vielen Speisefischen. Meist wird von den Bewohnern der Riffatolle oder riffumsäumter Küsten traditionsreiche handwerkliche Fischerei ausgeübt. Der Fang wird größtenteils informell gehandelt, getauscht oder selbst konsumiert. Dieses Szenario beschwört Bilder einer Lebensweise im Einklang mit der Natur herauf. Doch wie nachhaltig ist die weltweite Korallenrifffischerei wirklich, und wie steht es um die Fischbestände in den Korallenriffen?

Korallenriffe, Fischbestände, Überfischung
Überfischung setzt den Korallenriffen zu, selbst dort, wo die Korallenbleiche noch nicht zugeschlagen hat.
Foto: AFP/JOSEPH PREZIOSO

Neuer Ansatz

Aufgrund des handwerklichen und eher informellen Charakters der Fischerei ist die Datenlage dazu sehr dünn. Es fehlen vor allem Zeitreihen, mit denen der Zustand einer Fischerei in der Regel bewertet wird. Ein internationales Team unter Leitung von Jessica Zamborain-Mason von der Harvard University ermittelte in einem neuen Ansatz auf Basis eines umfangreichen Datensatzes von Fischbeobachtungen, wie es um Bestände und Vielfalt der Fischarten in den Riffen der Weltmeere bestellt ist.

Video: Kältetherapie für bedrohte Korallenriffe vor der Küste Floridas
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Geschätzt sind weltweit rund sechs Millionen Menschen in der Rifffischerei tätig. Der Anteil des Fangs aus Riffen an der gesamten Meeresfischerei ist in vielen Regionen beträchtlich, am höchsten ist er im Nahen und Mittleren Osten mit 43 Prozent und in der Karibik mit 40 Prozent. Riffe bieten einen großen Reichtum an Fangfischarten: Schnapper, Zackenbarsche, Kaninchenfische, Papageifische, Lippfische und Doktorfische sind nur einige von ihnen.

Die Forschenden nutzten für ihre Untersuchung einen Datensatz zu Fischbeobachtungen, Umweltbedingungen und Management von über 2.000 Riffen weltweit. Dafür wurden unter Wasser entlang festgelegter Bereiche (sogenannter Transekte) Fische gezählt und Arten bestimmt. Daten zum lokalen Fischfang wurden anhand von nationalen Statistiken rekonstruiert.

Wichtige Vergleichswerte

Mit Modellen aus der Fischereibiologie ermittelte das Team sogenannte Nachhaltigkeitsreferenzwerte für die jeweiligen Standorte: Wie hoch wäre der maximale Ertrag, wenn nachhaltig gefischt würde, und wie groß müsste die Biomasse der Fischbestände im Riff sein, um diesen Ertrag zu erzielen? Besonders isolierte und geschützte Standorte, die nicht befischt wurden, dienten dazu, die Produktivität der Fischgemeinschaft unter Berücksichtigung von Umweltbedingungen wie Wassertemperatur oder Bedeckung mit Korallen zu ermitteln. Im Vergleich mit diesen Daten konnten die Forschenden feststellen, ob und wie stark bei befischten Standorten der Bestand bereits überfischt war.

"Diese großangelegte Studie ermöglicht zum ersten Mal einen Einblick in den weltweiten Zustand der Fischerei in Riffen, was bisher aufgrund mangelnder Daten in diesem Umfang nicht möglich war", sagte Sebastian Ferse vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung, einer der Autoren der Publikation. "An fast zwei Dritteln der Standorte wird mehr gefischt, als die Bestände an Biomasse nachproduzieren können – sie werden also überfischt."

Korallenriffe, Fischbestände, Überfischung
Es ist noch nicht zu spät: Will man den Zusammenbruch der Fischbestände in den Korallenriffen stoppen, braucht es ein verbessertes Fischereimanagement.
Foto: REUTERS/Lucas Jackson

Klimawandel als zusätzliche Bedrohung

Die Fischbestände in nahezu jedem zehnten befischten Riff waren bereits zusammengebrochen. Sie wiesen weniger als zehn Prozent der Biomasse auf, die das Riff laut dem Modell hätte, wenn dort kein Fisch gefangen würde. Die Untersuchung zeigt zudem die Bedeutung einzelner Umweltfaktoren auf. Bei Standorten mit höherer Wassertemperatur und geringerer Korallenbedeckung war der maximale nachhaltig zu erzielende Fischereiertrag deutlich geringer. "Allerdings sind das die Umweltbedingungen, auf die Riffe weltweit schon jetzt durch den Klimawandel zusteuern", so Ferse.

Die Forschenden erhoben noch weitere Daten, beispielsweise zur Artenvielfalt, dem Vorkommen großer Raubfische oder der Aktivität von Papageienfischen, die den Algenbewuchs im Riff abraspeln und so freie Flächen für die Ansiedlung von Korallenlarven schaffen. So konnte das Team abschätzen, wie sich bestimmte Maßnahmen des Fischereimanagements auf weitere Ökosystemprozesse auswirken.

Heute befinden sich knapp zwei Drittel aller Riffe weltweit weniger als dreißig Minuten von menschlichen Besiedlungen entfernt, und nur ein Bruchteil liegt in erfolgreich betriebenen Schutzgebieten. Vor allem in Südostasien leben besonders viele in der Rifffischerei tätige Menschen. Dementsprechend ist dort der Anteil von nicht nachhaltig befischten Riffen besonders hoch. Auch in Riffen im Persischen Golf und Teilen der Karibik finden sich viele überfischte Fischbestände.

Trendumkehr ist möglich

Doch es gibt auch Hoffnung: "Es ist nicht nötig, Fischerei aus dem Riff zu verbannen, um das Ökosystem zu retten. Die Modelle zeigen, dass ein verbessertes Fischereimanagement und die Reduktion der Fischerei auf 80 Prozent des maximal möglichen Ertrages schon zu einer deutlichen Entspannung der Bestände und mehr Artenvielfalt führen", sagte Ferse. Umweltschutzpläne und gesellschaftliche Ziele müssten sorgfältig abgewogen und letztlich die unter lokalen Umständen bestmöglichen Kompromisse gesucht werden.

"Das in der Studie entwickelte Modell lässt sich im Prinzip auf jedes beliebige Riff anwenden, wenn man die lokalen Bedingungen berücksichtigt", erklärte der Riffökologe. "Somit ermöglicht es, passgenaue Managementansätze zu entwickeln, die sowohl Fischerei- als auch ökologische Ziele berücksichtigen." (red, 7.9.2023)