Wie und warum bestimmte Gerichte und Speisen entstanden sind, ist oft in Legenden gehüllt. Häufig sind die Quellen uneindeutig oder nicht existent. Wie bei der Entstehung des Kipferls: Das soll nach der Zweiten Türkenbelagerung 1683 von den Bäckern Wiens erfunden und dem Halbmond der Osmanen nachempfunden worden sein.

Eine Schnitte für den Kardinal

250 Jahre nach diesem Ereignis entstand die Kardinalschnitte. Das belegt die Wiener Konditorei Heiner, die als Urheberin der Mehlspeise gilt. 1933 fand in Wien von 7. bis 12. September der Katholikentag statt. Papst Pius XI. hatte ein heiliges Jahr ausgerufen, in der Hauptstadt nahm man das Jubiläum der Schlacht gegen die Osmanen und das 500-jährige Bestehen des Stephansdoms zum Anlass für die Massenveranstaltung. Dafür soll Ludwig Heiner die Kardinalschnitte kreiert haben – auch zu Ehren von Kardinal Theodor Innitzer, der damals nicht nur an der klerikalen Spitze stand, sondern nahe der Konditorei in der Wollzeile wohnte und Stammgast gewesen sein soll.

Im Original besteht die Mehlspeise aus zwei Schichten zusammengedrückter Eischnee- und Biskuitstreifen, zusammengehalten von Marillenmarmelade. Die Farben Weiß und Gelb repräsentieren jene des Heiligen Stuhls. Heute gibt es zig Abwandlungen, zum Beispiel mit Kaffeecreme oder Ribiselmarmelade gefüllt.

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Die Kaffeecreme kam erst später hinzu: Eigentlich, sagt die Konditorei Heiner, füllt man die Kardinalschnitte nur mit Marillenmarmelade.
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Kontroverse Figur

Die Schnitte ist bis heute bekannt, weniger der politische Kontext, in dem sie erfunden wurde. Der Katholikentag wurde natürlich für politische Zwecke instrumentalisiert: Kanzler Engelbert Dollfuß hielt eine Begrüßungsansprache, um vor jubelnden Massen den Ständestaat zu propagieren. Unterstützung fand er in den Bischöfen und vorneweg von Innitzer. Sie befürworteten einen Staat, der auf christlichen Grundsätzen beruht, wenn auch nicht immer kritiklos, wie Kirchenhistorikerin Michaela Sohn-Kronthaler von der Uni Graz betont.

Unrühmlich blieb Innitzer im nationalen Gedächtnis: 1938 unterzeichneten er und die Bischöfe eine feierliche Erklärung an die Bevölkerung, bei der Volksabstimmung für den "Anschluss" zu stimmen. Einen Begleitbrief signierte er mit "Heil Hitler!". Der Papst, wenig erfreut, verlangte eine Klarstellung. Innitzers Verhältnis zur NS-Zeit blieb zwiespältig. Im Stephansdom hielt er eine Rede vor tausenden Besuchern und erklärte, dass Jesus Christus der einzige Führer sei – für manche der Beginn des katholischen Widerstands. Im Nationalsozialismus führte Innitzer das kirchliche Leben im Untergrund fort und unterstützte die Hilfsstelle im erzbischöflichen Palais, die Juden zur Flucht verhalf. Die Kardinalschnitte findet sich heute trotz der kontroversen Figur, der sie gewidmet wurde, in jeder Kuchenvitrine des Landes. (Kevin Recher, 8.9.2023)