Der Tiefseehafen von Hambantota in Sri Lanka 
Als Sri Lanka die chinesischen Kredite nicht mehr bedienen konnte, wurde der mit Geld aus Peking gebaute Hafen von Hambantota an China verpachtet.
Philipp Mattheis

Vor zehn Jahren, am 6. September 2013, hielt der chinesische Präsident Xi Jinping in der Hauptstadt Kasachstan eine Rede, die als Startschuss des größten geostrategischen Projekts überhaupt gilt. „Jahrtausendelang schrieben die Menschen in verschiedenen Ländern entlang der Seidenstraße gemeinsam ein Kapitel der Freundschaft, das bis zum heutigen Tag überliefert wurde. (…) Es ist an der Zeit, die Seidenstraßen wiederzubeleben“, sagte Xi.

Wie viele Milliarden in den folgenden Jahren investiert wurden, weiß niemand genau, wahrscheinlich nicht einmal die Entscheider in Peking selbst. Aber schon 2015 hatte die chinesische Entwicklungsbank China Development Bank (CDB) auf jeden Fall nach eigenen Angaben 890 Milliarden US-Dollar für 900 Projekte bereitgestellt. Andere Schätzungen gehen von weit über einer Billion Dollar aus.

Bis Senegal oder doch nur bis Duisburg?

Auch Pekings geostrategische Ambitionen geografisch einzugrenzen ist schwieriger als gedacht: Die Neue Seidenstraße aber reicht einmal von Chongqing bis nach Duisburg, ein andermal von Hangzhou bis in den Senegal. Einmal fallen alle chinesischen Investitionen in Afrika von Madagaskar bis zum kleinen Inselstaat Sao Tomé e Príncipe darunter. Ein andermal zählen südamerikanische Länder wie Chile und El Salvador dazu, dann geht es wiederum nur um den Landweg von China nach Europa.

Der überdimensionierte Bahnhof in der staubigen Kleinstadt Suswa.
Ob der Bahnhof in Kenia auch zur Neuen Seidenstraße gehört, darüber gehen die Meinungen auseinander. Wofür das monströse Bauwerk von einem chinesischen Konsortium errichtet wurde, ist fraglich.
Philipp Mattheis

"Die Neue Seidenstraße ist weniger wirtschaftlich motiviert, es geht um Machtausübung", meint der langjährige EU-Handelskammer-Präsident Jörg Wuttke. "Ziel ist es, den Einfluss Pekings auszuweiten."

"Schuldenfallen-Diplomatie"

Zehn Jahre nach ihrer offiziellen "Geburt" hat die Neue Seidenstraße eine durchwachsene Bilanz. Da ist das Menetekel Sri Lanka: Mehrere Hundert Millionen US-Dollar hatte Peking dem kleinen Inselstaat geliehen, um einen Tiefwasserhafen zu bauen. Als Sri Lanka wenige Jahre später in Zahlungsschwierigkeiten geriet, "einigte" man sich darauf, den Hafen von Hambantota für 99 Jahre an China zu verpachten – was wie ein historisches Echo der erzwungenen Verpachtung Hongkongs an Großbritannien im 19. Jahrhundert klingt. Von einer "Schuldenfallen-Diplomatie" Pekings war seitdem immer wieder die Rede: China treibe mit seinem Projekt Länder des Globalen Südens bewusst in eine Abhängigkeit.

Tatsächlich aber wiederholte sich der Fall Sri Lanka bisher nicht. Zwar sind ohne Zweifel viele Staaten gerade in Afrika und Asien in eine starke Abhängigkeit von Peking geraten. Laut dem Internationalen Währungsfonds stehen aktuell 17 Länder vor der Zahlungsunfähigkeit. Nahezu alle haben Milliarden-Kredite aus Peking erhalten. Zu einer "Verpachtung" von Staatseigentum aber ist es bisher nicht mehr gekommen.

Die Strategie der Neuen Seidenstraße folgt oft, aber nicht immer einem Prinzip: Peking verteilt großzügig Kredite bevorzugt an Schwellen- und Entwicklungsländer, die auf Investitionen in die Infrastruktur angewiesen sind. Meist handelt es sich um Großprojekte wie Bahnstrecken, Straßen, Häfen und Flughäfen, die diese Länder ohne fremde Hilfe nicht stemmen könnten.

Milliarden aus Fernost

Dies aber konnte und kann nur funktionieren, weil es in den Empfänger-Ländern einen gewaltigen Bedarf an Infrastrukturprojekten gibt. Gerade in Afrika können viele die Besorgnis des Westens über Chinas Engagement nicht nachvollziehen. Eher begrüßt man die Tatsache, dass es nun eine Art Wettbewerb unter den Geldgebern gibt. Das Geld aus Fernost ist beliebt, gerade weil es scheinbar ohne Verpflichtungen kommt. "Der Westen hat dieses extravagante Wertesystem, das alles verkompliziert", sagte mir James Shikwatti, ein Ökonom aus Nairobi, Kenia. Er meinte damit vor allem faire Ausschreibungen, Umwelt- und Sozialstandards, die alles verlangsamten.

Mittlerweile aber gibt es auch in Afrika Ernüchterung über das chinesische "Füllhorn". Viele der Projekte haben sich als weiße Elefanten entpuppt, sinnlose Mega-Investitionen, die dazu noch viel teurer wurden als geplant. Auch dass das chinesische Geld bedingungslos käme, ist eine Mär. Wirft man einen Blick auf das Abstimmungsverhalten der Länder, die von Peking Kredite erhalten, stimmen diese bei den Vereinten Nationen auffallend oft im Sinne Pekings ab – gerade bei den heiklen Themen Taiwan und Xinjiang.

Trotz all der Fehler und Schwächen dürfte die Neue Seidenstraße aus Pekings Sicht ein Erfolg sein. China ist es gelungen, seinen Einfluss in Asien und Afrika auszudehnen und sich als Führer des Globalen Südens zu präsentieren. Das verdeutlicht auch die jüngst beschlossene Erweiterung der BRICS-Länder um sechs Staaten. Das Projekt ist ein wichtiger Teil auf dem Weg in eine multipolare Welt. (Philipp Mattheis, 8.9.2023)