Der Soziologe Jörg Flecker schreibt in seinem Gastkommentar über die Rhetorik des SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler. Wie viele in der Bevölkerung grenzt Babler "wir" und "die anderen" nicht nach Staatsbürgerschaft oder Herkunft ab, sondern nach arbeitenden Menschen und besitzenden.

Viele werfen dem SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler eine spaltende Rhetorik vor, weil er gern von "unseren Leuten" spricht – zuletzt Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger in der Parlamentsdebatte über die Teuerung. Zwar überraschen solche Sticheleien in der Politik nicht, doch hier handelt es sich um eine Unterstellung, die heikel für die Demokratie werden kann. Das wird deutlich, wenn man ein bisschen an der Oberfläche kratzt.

SPÖ Babler Innenpolitik
SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler spricht gern von "unseren Leuten", wenn er seine Klientel umschreibt.
Foto: Reuters / Lisa Leutner

Ja, da ist die Bedeutung, mit der die FPÖ den Ausdruck immer verwendet hat: "Unsere Leute" wird deutschnational abgegrenzt, die Abstammung bestimmt darüber, wer dazugehört und wer nicht. Die programmatischen Schriften der FPÖ untermauern das mit völkischer Ideologie, und die gefährliche Fantasterei vom "Bevölkerungsaustausch" versucht dem Brisanz zu verleihen. Was kümmert es die Rechtsextremen, dass schon Ötzi ein Türke war und es in der Geschichte immer "Vermischung" gab? Das "Unsere Leute" der FPÖ grenzt kultur-rassistisch aus, und die behauptete Bedrohung des Volkes ist ein Nährboden für Gewalt. So weit, so klar.

"Diese Verwendung des Ausdrucks überwindet die Spaltung, welche die FPÖ und auch die ÖVP betreiben."

Im krassen Gegensatz dazu meint Babler mit "unseren Leuten" die Arbeitenden. Er spricht die Menschen an, die einen Job brauchen, um ihr Leben finanzieren zu können, und deshalb in einer grundsätzlichen Unsicherheit leben – etwa dem Risiko der Arbeitslosigkeit. Leute, die es vielfach schwerhaben, die Ausgaben des täglichen Lebens zu finanzieren, oder gar trotz Arbeit in Armut leben. Es ist hier also die Klassenlage, die bestimmt, wer zu "unseren Leuten" gehört. Und es gehören alle dazu, die in Österreich in Erwerbsarbeit tätig sind oder zurzeit Arbeit suchen, unabhängig davon, wo sie, ihre Eltern oder Großeltern geboren wurden.

Diese Verwendung des Ausdrucks überwindet die Spaltung, welche die FPÖ und auch die ÖVP betreiben. Der Ausdruck ist nicht spaltend, sondern vereinigend. Diese Bedeutung von "unsere Leute" kann daher den Diskurs ein Stück weit verschieben und die Normalisierung des Rechtsextremismus zurückdrängen.

Das wird durch Forschungsergebnisse gestützt. Unsere Analysen von Solidaritätsvorstellungen in der österreichischen Bevölkerung haben gezeigt, dass sehr viele die Grenze zwischen "wir" und "den anderen" gar nicht nach Staatsbürgerschaft oder geografischer Herkunft ziehen.

Ähnliche Lebenslage

Häufig steht demgegenüber im Vordergrund, wer in einer ähnlichen Lebenslage ist wie man selbst, wer in der gleichen Region lebt, wer hart arbeitet oder wer in den Sozialstaat einzahlt. Vor allem aber sind die Vorstellungen Einzelner darüber, wer zur Eigengruppe gehört und wer nicht, keineswegs so festgefügt, wie man meinen könnte. Je nach aktuellen Problemlagen und öffentlicher Debatte, je nachdem, wie Leute angesprochen werden, ziehen sie die Grenzen in den Köpfen etwas anders. Deshalb verstärkt eine spaltende Rhetorik die ausgrenzenden Haltungen ebenso wie gegenteilige Botschaften inklusiv-solidarische Orientierungen unterstützen können.

Werden Bevölkerungsgruppen als "unsere Leute" angesprochen, geht es freilich auch um politische Repräsentation: Der Ausdruck soll wohl aussagen, dass die Sozialdemokratie sich nunmehr bemüht, stärker auch diejenigen zu vertreten, die sich in der jüngeren Vergangenheit vielfach "von denen da oben" vergessen und übergangen fühlten. Man sollte meinen, das tut der Demokratie gut. Warum dann der Vorwurf der Spaltung? Dass die SPÖ für sich in Anspruch nimmt, die Arbeiterinnen und Arbeiter wie auch die Angestellten zu vertreten, ist wenig überraschend und dürfte wohl nicht Stein des Anstoßes sein.

Starke Solidarität

Die Kritikerinnen und Kritiker scheinen sich vielmehr daran zu stoßen, dass die Menschen in ihrer Klassenlage angesprochen werden. Sie stört wohl, dass sich das Wir der Arbeitenden in Abgrenzung von den Besitzenden und den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern bildet. Sie versuchen also, eine neuerliche Stärkung der Solidarität der Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung hintanzuhalten. Das ist von Bablers politischen Gegnerinnen und Gegnern zu erwarten, aber dennoch sehr heikel. Denn sie behaupten, dass etwas gespalten wird, das zusammengehört. Sie kritisieren, dass der Unterschied und Gegensatz zwischen den sozialen Klassen zur Grundlage von Politik gemacht werden, und unterstellen damit, dass sich Arbeit und Kapital in einem Boot befänden.

Bekanntermaßen wurde eine solche Ideologie im austrofaschistischen Ständestaat und in der nationalsozialistischen Volks- und Betriebsgemeinschaft umgesetzt. Heute sind wir wieder damit konfrontiert, dass gegensätzliche Interessen verschleiert und die Unzufriedenheit auf Sündenböcke, wie Musliminnen und Muslime oder Juden und Jüdinnen, umgeleitet wird. Dann doch lieber "unsere Leute" nach Babler, oder? (Jörg Flecker, 7.9.2023)