Die Aufregung um die "Blutgeld"-Äußerung Martin Selmayrs, des Leiters der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, ist beträchtlich. Ja, durch die Einberufung des EU-Diplomaten ins Außenministerium in Wien trägt sie Züge einer Staatsaffäre.

Martin Selmayr
Martin Selmayr, Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Wien, steht in der Kritik.
IMAGO/SEPA.Media

Gegner der EU im Land reiben sich die Hände – und sie taten das rasch, nachdem am Donnerstag die Meldung über Selmayrs Formulierung gekommen war. Die allererste veröffentlichte Reaktion kam von FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz. Bundeskanzler Karl Nehammer solle von der EU-Kommission die Abberufung Selmayrs verlangen, forderte er. Stunden später distanzierte sich die Kommission von der Wortwahl ihres eigenen hohen Vertreters – ein heftiger Schritt. Der Skandal schien sich weiter zu vergrößern.

Worin jedoch besteht dieser Skandal genau? Bei einer Diskussionsveranstaltung am Mittwoch in Wien reagierte Selmayr auf die Einlassungen eines Mannes aus dem Publikum. Dieser habe zu Protesten gegen die "kriegstreiberische EU" aufgefordert, schilderte der Diplomat der "Presse". Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe "Blut" an den Händen, habe der Wortführer gesagt.

Das habe Selmayr nicht so stehenlassen wollen – und deshalb gekontert, dass 55 Prozent des österreichischen Gases weiterhin aus Russland kommen: "Blutgeld wird jeden Tag mit der Gasrechnung nach Russland geschickt."

Recht undiplomatisch

Nun war diese Formulierung im Lichte diplomatischer Gepflogenheiten wohl nicht sonderlich klug. Inhaltlich jedoch sprach Selmayr damit eine traurige Wahrheit an, die Österreich auf dem internationalen Parkett schon viel Kritik eingebracht hat. Das Geld, das wir an staatsnahe russische Firmen überweisen, um unsere Gasrechnung zu bezahlen, fließt ins dortige Budget, mit dem auch der blutige Angriffskrieg gegen die Ukraine geführt wird.

Das kann nicht weggeschoben werden, auch wenn aus geografischen Gründen – und weil in der Vergangenheit Fehler und Kniefälle gemacht wurden – erklärbar ist, dass Österreich nach wie vor beträchtlich von russischen Gaslieferungen abhängig ist. Das schwächt das außenpolitische Standing Österreichs, was gerade in einem neutralen Land ein Problem ist.

Oft wird von einer humanitären Vermittlerposition Österreichs gesprochen. Doch solange das Land ohne russisches Gas nicht auskommt und ein Wladimir Putin am Gasschalter sitzt, ist die politische Beweglichkeit auch diesbezüglich eingeschränkt. (Irene Brickner, 8.9.2023)