Wie gewaltige Lianen durchziehen die Algen das Meer. Sie schwingen sanft im Lauf der Strömung, nehmen dabei Nährstoffe und das Licht der Sonne auf, um bis zu 40 Meter lang zu wachsen. Kelpwälder werden die riesigen Ökosysteme genannt, die für Wissenschafterinnen und Wissenschafter so etwas wie die Regenwälder der Meere sind. Zum Teil über hunderte Kilometer ziehen sie sich entlang der Küste Südafrikas, Australiens, Norwegens, Südamerikas, Nordamerikas und Asiens, befördern dabei die Artenvielfalt, speichern CO2 und dienen als Nahrungsmittel für Tiere und Menschen.

Doch ebenso wie der Regenwald leiden auch die Kelpwälder unter den Folgen des Klimawandels, der Umweltverschmutzung, Landwirtschaft und der Verbauung der Küsten, warnen Wissenschafterinnen und Wissenschafter. Einige Unternehmer und Forschende versuchen deshalb, die Kelpwälder durch gezielte Eingriffe wieder aufzuforsten. Das portugiesische Unternehmen Seaforester verspricht sogar, eine besonders schnelle Methode der Wiederaufforstung gefunden zu haben. Das Unternehmen will damit nicht nur die Fischpopulationen erhalten, sondern auch den Klimawandel bekämpfen.

Eine Unterwasseraufnahme, von unten richtung Oberfläche gesehen, Licht in Strahlen, hohe Algengewächse
Algenlandschaften, sogenannte Kelpwälder, sind wichtig für die Biodiversität und speichern CO2.
APA/AFP/MISSION BLUE NGO/ANDY MA

Schnelle Veränderung

Doch schon allein die Beobachtung der bestehenden Kelpwälder ist schwierig. Durch ihr schnelles Wachstum können sich der Standort und die Größe der Kelpwälder von Jahr zu Jahr verändern. Studien zufolge bedecken Kelpwälder derzeit rund sieben Millionen Quadratkilometer Fläche – und sind damit in etwa so groß wie Australien und größer als der Amazonas-Regenwald.

So schnell wie der Kelpwald wachsen kann, kann er auch wieder verschwinden. An der nordkalifornischen Küste ging der Kelpwald laut einer Studie infolge einer Erwärmung des Ozeans zwischen 2014 und 2016 um mehr als 95 Prozent zurück. Infolgedessen brachen nicht nur Fischpopulationen, sondern auch die davon abhängige Fischereiindustrie ein. Das Problem: Ist der Algenwald einmal weg, kommt er oftmals nicht so leicht wieder zurück.

Zwei Männer stehen auf einem Schlauchboot, einer von ihnen beugt sich über die Reling und hält eine Kiste mit Steinen ins Meer
Wenn Algenwälder einmal verschwinden, ist es mühsam, sie wieder herzustellen. Das Unternehmen Seaforester versucht es, indem mit Algen versetzte Steine im Meer versenkt werden.
Seaforester

Mühsamer Prozess

Forschende experimentieren deshalb seit einigen Jahren damit, die Algenwälder wieder aufzuforsten. Wissenschafterinnen und Wissenschafter der Universität Tasmanien in Australien züchten beispielsweise Algen an Land, um sie dann, befestigt auf kleinen Plastikplatten, in mühsamer Handarbeit und unzähligen Tauchgängen am steinigen Meeresboden an der Ostküste Tasmaniens wieder zu befestigen.

"Das ist ein sehr arbeitsintensiver und komplizierter Prozess", sagt Pål Bakken. Der Norweger glaubt, mit seinem Unternehmen Seaforester einen einfacheren und schnelleren Weg gefunden zu haben, die Algenwälder weltweit zu regenerieren. In mobilen Containern setzt das in Portugal ansässige Unternehmen Algensporen an kleinen Steinen an. Dort wachsen die Algen, versorgt mit Wasser, Licht und Nährstoffen und überwacht von Sensoren, heran. Im Anschluss werden die Steine vom Boot aus einfach ins Wasser geworfen.

Nahrungsmittel und Dünger

Im Vergleich zur Ausbringung durch Taucher sei diese Methode viel besser skalierbar, sagt Bakken. So könnten Küstengemeinden gemeinsam mit Unternehmen eines Tages selbst die Algensteine in größerem Stil herstellen, da dafür nur natürliche Rohstoffe benötigt werden. Diese können dann in bis zu 30 Meter Tiefe am bevorzugt felsigen Meeresboden ausgebracht werden. "Am wichtigsten ist – neben dem Effekt der Algen als CO2-Speicher –, dass sich durch die Kelpwälder auch die Fischpopulationen erholen und wieder wachsen können", sagt Bakken. Denn in vielen Regionen der Welt sei Fisch nach wie vor eine existenzielle Nahrungsquelle.

Auch die Algen selbst ließen sich künftig noch mehr als Nahrungsmittel und als Dünger in der Landwirtschaft einsetzen, sagt Bakken. Der Gründer von Seaforester arbeitete schon als Jugendlicher auf der Algenfarm seines Vaters in Norwegen mit. 2009 gründete er dann eine eigene Algenzuchtfirma in Norwegen, die bis heute auf den Verkauf von Algen und Algensamen spezialisiert ist, einige Jahre darauf dann Seaforester, das sich im Gegensatz zur Algenzucht der Wiederaufforstung der Algenwälder widmet.

Schnelles Wachstum

Was Algen laut Bakken so besonders macht: Sie verbrauchen keinen Platz an Land, benötigen kein Frischwasser und keine Pestizide und wachsen zudem viel schneller als Pflanzen an Land. Tatsächlich stellte eine Studie aus dem Vorjahr fest, dass Kelpwälder im Durchschnitt über das Jahr gerechnet zwei- bis elfmal so viel Biomasse pro Quadratmeter produzieren wie Weizen, Soja, Reis oder Mais. Mehr Biomasse bedeutet wiederum mehr Energie und Nahrung und mehr CO2, das in den Pflanzen gespeichert wird. Studien zufolge nehmen Kelpwälder weltweit in etwa so viel CO2 auf wie der Amazonas-Regenwald.

Schummrig beleuchtetes Labor in dem Algen in Regalen heranwachsen
In mobilen Containern werden die Algensporen angesetzt.
Seaforester

Mit Erwärmung umgehen

"Tatsächlich sind die Algenzucht und die Wiederaufforstung der Algenwälder sehr unterschiedliche Dinge", sagt Bakken. Jedoch reiße auch bei der Algenzucht ein kleiner Prozentsatz der Algen immer wieder ab und werde mit der Strömung in die Tiefen des Ozeans getrieben, wo das CO2 gebunden bleibt. Bei natürlichen Kelpwäldern werde ein nicht unerheblicher Teil der abgestorbenen Algen im Meeresboden eingeschlossen, sagt Bakken. Wie viel CO2 durch Kelpwälder weltweit jedes Jahr dauerhaft gebunden wird, ist wissenschaftlich jedoch nicht eindeutig belegt.

Eine andere Frage bei der Wiederaufforstung ist, wie die neu angesetzten Algen künftig mit der Erwärmung der Meere fertigwerden, die schon bestehenden Kelpwäldern zu schaffen macht. "Die Algen werden so gezüchtet, dass sie eine höhere Toleranz gegenüber wärmeren Wassertemperaturen haben", sagt Bakken. Die Zucht habe nichts mit Genmanipulation zu tun, betonen Wissenschafterinnen und Wissenschafter. Stattdessen werde dabei gezielt nach bestimmten Algenarten und Eigenschaften gesucht, die auf natürliche Weise besser mit wärmerem Wasser zurechtkommen.

Mehr Algen in Arktis

Seaforester testet derzeit, wie gut sich unterschiedlich gezüchtete Algen auf den kleinen Steinen in verschiedenen Küstenabschnitten Portugals, Norwegens und Deutschlands vermehren. In den nächsten Jahren wolle man dann weitere Zucht- und Ausbringungsarten für die Wiederaufforstung der Kelpwälder testen und mit noch mehr Küstengemeinden zusammenarbeiten. "Ich glaube, dass wir bis 2030 einen großen Fortschritt bei der Wiederaufforstung der Kelpwälder sehen werden", sagt Bakken.

In einigen Region wie beispielsweise der Arktis könnten sich Algenwälder durch die Erwärmung künftig auch ohne Wiederaufforstung ausbreiten, heißt es in Studien. Diese Kelpwälder könnten den dortigen Bewohnerinnen und Bewohnern neue Nahrungsquellen und Einkommen bringen. Voraussetzung für das Überleben und die Nutzung der Meeresdschungel ist laut Forschenden jedoch, dass sie künftig mehr Aufmerksamkeit erfahren. "Küstengemeinden sehen oft nicht, was unter Wasser los ist", sagt Bakken. "Dabei passiert dort oft das Wichtigste." (Jakob Pallinger, 12.9.2023)