Gruppe von kleinen Schweinen
Schweine sind nicht nur äußerst intelligent, sondern auch sehr soziale Wesen. Sie pflegen teils enge Verbindungen, die man als Freundschaften bezeichnen könnte.
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Von den Avengers bis zu Zorro: Retter in der Not nehmen in unseren Geschichten breiten Raum ein. Doch nicht nur wir Menschen springen für andere in die Bresche – auch manche Tierarten helfen bedrängten Artgenossen, darunter Affen, Ratten und sogar Ameisen. Inwieweit das auch bei Schweinen der Fall ist, untersucht ein Forschungsprojekt an der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmed) mit dem Titel "Holt mich hier raus!".

Schweine – sowohl wilde als auch Hausschweine – sind sehr soziale Tiere: Wenn man sie lässt, leben sie in Gruppen aus Weibchen und deren Nachwuchs zusammen, und auch die jungen Männchen bilden anfangs Junggesellengruppen, ehe sie als Erwachsene ein Leben als Einzelgänger führen.

Freunde unter sich

Die Mitglieder dieser Zusammenschlüsse kennen einander und machen sich untereinander eine gewöhnlich recht stabile Rangordnung aus. Dabei gibt es auch individuelle Vorlieben, um nicht zu sagen: Freundschaften, die sich unter anderem dadurch zeigen, dass bestimmte Individuen gerne nebeneinander liegen oder schlafen.

Wie Forschungen am Messerli-Institut der Vetmed in den vergangenen Jahren gezeigt haben, sind die Tiere außerdem sehr intelligent: Unter anderem sind sie dazu imstande, den Verschluss eines Futterbehälters zu öffnen, nachdem sie Eingeweihte bei dem Vorgang beobachtet haben.

Hausschwein im Stall
Klug und freundlich: Das Hausschwein wartet mit beeindruckenden sozialen und kognitiven Fähigkeiten auf.
IMAGO/Frank Peter

Setzen sie diese Intelligenz aber auch dazu ein, einander zu helfen? Dieser Frage geht Jean-Loup Rault, Leiter des Instituts für Tierschutzwissenschaften und Tierhaltung an der Vetmed, gemeinsam mit seiner deutschen Kollegin Liza Moscovice vom deutschen Forschungsinstitut für Nutztierbiologie in Dummerstorf nach. Gesponsert werden die Arbeiten durch den Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG. Bei jeweils 200 Schweine in beiden Ländern wird in den nächsten drei Jahren nicht nur getestet, inwieweit sie anderen helfen, sondern auch, was sie dabei antreibt.

Unabhängig davon zeichnete 2020 die Wildtierkamera eines tschechischen Forschungsteams eine bis dahin nie beobachtete Szene auf. Zwei junge Wildschweine waren in eine Kastenfalle geraten, doch Hilfe nahte: Ein erwachsenes Weibchen, das mit seiner Rotte dazukam, entfernte mit großem Körpereinsatz die Balken, mit denen die Falle verschlossen war. Auf diese Weise befreite sie die beiden Jungtiere, die bis dahin verzweifelt, aber erfolglos versucht hatten, aus eigener Kraft zu entkommen.

Kluge Experimente

Freilich kann man Tiere bei derartigen Aktionen nicht nach ihrer Motivation fragen. Daher braucht es klug aufgesetzte Experimente, um aus dem Verhalten der Tiere auf ihre Beweggründe schließen zu können – noch dazu, wo aus Gründen der wissenschaftlichen Rigorosität zuerst die einfachsten Motive angenommen werden, und das sind egoistische. So könnte man jemanden auch aus einer misslichen Lage befreien, um sein lautes Klagen zu beenden und damit Stress für sich selbst zu vermeiden. In einem Vorprojekt, an dem 75 Schweine beteiligt waren, konnten Rault und Moscovice auf jeden Fall schon einmal belegen, dass die Tiere in den meisten Fällen fähig und willig sind zu helfen.

Sie verwendeten für ihre Versuche dabei einen neuen Ansatz, bei dem die Schweine in ihrer angestammten Gruppe – im konkreten Fall jeweils neun bis zehn Individuen – und ihrer gewohnten Umgebung bleiben. An den Stall wurden lediglich zwei identische Abteile mit jeweils einem Gitterdrahtfenster und einer Tür angebaut. Letztere lässt sich nur von der Stallseite her öffnen, und zwar, indem eine Art Klinke angehoben wird. Im Zuge mehrerer Sitzungen hatten die Tiere Gelegenheit, sich mit dem Mechanismus vertraut zu machen, mit dem sie vorher noch nie konfrontiert waren. Von den 75 Versuchstieren war nur eines bis zum Schluss unfähig, die Klinke zu betätigen.

Geschickte Türöffner

Danach wurde ein Schwein von der Gruppe getrennt und in eines der beiden Abteile gebracht. Das ist zwar völlig ungefährlich, aber doch unangenehm: Schweine sind nicht gern allein. Die Reaktion auf das kurzzeitige Exil kann je nach Individuum verschieden ausfallen: Manche regen sich mehr auf, andere weniger. Seine Kameraden haben es nun in der Hand – oder eigentlich der Schnauze –, die Klinke hochzudrücken und das Versuchsobjekt wieder zur Gruppe zu lassen.

85 Prozent der isolierten Schweine wurden innerhalb von maximal fünf Minuten von ihren Artgenossen befreit. Allerdings betätigten sich nur knapp die Hälfte (44 Prozent) der potenziellen Helfer als Retter in der Not, und zwar am häufigsten jene, die sehr gut im Türöffnen waren. Umgekehrt hatten Schweine, die sichtlich oder hörbar gestresst waren, zweieinhalb Mal so gute Chancen, befreit zu werden, als entspanntere Probanden.

Beziehungsstudien

Mit demselben Aufbau werden im Zuge des Projekts ab kommenden Herbst drei Aspekte genau untersucht, wie Rault ausführt: Welche Individuen helfen? Wem wird geholfen? Und zu guter Letzt: Warum? Zur ersten Frage werden die Schweine Persönlichkeitstests unterzogen: Wie draufgängerisch oder vorsichtig sind sie, wie rasch lösen sie Probleme, wie sensibel reagieren sie auf fremdes Ungemach? Sind bestimmte Eigenschaften mit Hilfsbereitschaft gekoppelt? Für die zweite Frage werden die Forschenden die Beziehungen der Tiere zueinander genau unter die Lupe nehmen: Wer schläft bevorzugt neben wem? Von anderen Arten – inklusive der unseren – weiß man, dass Freunden eher geholfen wird als Fremden.

Für die Frage nach dem Warum werden in verschiedenen Situationen Stresshormone und Herzschlagraten bestimmt. So werde die emotionale Verfassung von Helfern und Nichthelfern erhoben, erklärt Rault. All diese Daten werden dann mit den Videoaufzeichnungen der Isolationstests verschnitten, und das soll schließlich unter anderem zeigen, ob Schweine zu Empathie fähig sind, wobei Rault "Empathie als Empfänglichkeit gegenüber den Zuständen anderer" definiert. Dafür müssen sich natürlich nicht alle Versuchstiere als Helfer betätigen: Auch bei uns Menschen ist Hilfsbereitschaft nicht bei jedem Individuum gleich stark ausgeprägt. (Susanne Strnadl, 16.9.2023)