Politiker sagen vor jeder Wahl, dass diese so wichtig sei wie nie zuvor. Für die Europa-Wahl 2024 trifft das zu.

China ist ein global dominanter Akteur mit expansionistischen Zielen. Indien gewinnt kontinuierlich an Einfluss. Wie werden sich Europas Beziehungen zu den USA verändern, sollte Trump erneut Präsident werden? Für ein kleines Land wie Österreich ist ein starkes vereintes Europa nicht nur eine Frage des wirtschaftlichen Wohlstands, sondern auch eine der nationalen Sicherheit. Die Entwicklungen in der Ukraine verdeutlichen die Notwendigkeit einer soliden Union, die in der Lage ist, ihre Mitgliedsstaaten zu schützen und zu unterstützen. Das ist das defensive Argument für Europa.

EU-Flaggen in Brüssel
Die EU ist zunehmend das wichtigste politische Feld Österreichs. So sollten wir auch handeln.
Reuters / Yves Herman

Aber Europa ist mehr; die EU wird in unseren Leben immer wichtiger. In essenziellen Bereichen wie der Regelung digitaler Märkte und Dienstleistungen und der künstlichen Intelligenz führt die Union nicht nur für ihre Mitgliedsstaaten, sondern weit darüber hinaus. Im Ukrainekrieg bietet die Union ein entschlosseneres Bild als bei fast allen außenpolitischen Themen der Vergangenheit. Auch sonst schreitet die Einigung voran, mit leisen, stetigen Schritten; seit 2001 haben zum Beispiel zehn weitere Länder den Euro eingeführt.

Wachsende Bedeutung

Die wachsende Bedeutung der EU ist im Bewusstsein der Wählerinnen verankert. Während die EU-Wahl-Beteiligung in Österreich zwischen 1999 und 2014 stabil um 46 Prozent betrug, schnellte sie 2019 auf fast 60 Prozent. Auch europaweit kletterte sie 2019 um acht Prozent, vor allem bei jüngeren Wählern. Die Redewendung des "demokratischen Defizits" – die oft auf einem mangelnden Verständnis der EU-Gesetzgebung beruht – wird zunehmend gegenstandslos.

In den nächsten Jahren hat die EU viele große Brocken zu bewältigen. In der Ukraine wird es zu einem Waffenstillstand, vielleicht sogar einem Frieden kommen. Die Union muss dabei eine wichtige Rolle spielen als Partner und Sicherheitsgarant der Ukraine. Die nächste Erweiterung der Union wird bis zu acht Länder umfassen, neben der Ukraine auch Moldawien, Bosnien, Montenegro, Albanien, Kosovo, Nordmazedonien und vielleicht auch Serbien. So strategisch wichtig die Erweiterung ist, gerade für Österreich, so schwierig wird sie. Außenminister Alexander Schallenberg hat in einem Interview in Alpbach schon angekündigt, dass er sich für diese Länder eine Art Zweite-Klasse-Mitgliedschaft vorstellt, was bei jenen auf heftigen Widerstand stoßen wird. Der Kosovo wird noch nicht einmal von allen Mitgliedsländern als unabhängiger Staat anerkannt.

Undenkbare Blockade

Die zunehmende Bedeutung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, wie auch eine Union mit drei Dutzend Mitgliedern, wird eine Veränderung der Spielregeln und mehr Mehrheitsentscheide mit sich bringen müssen. Es ist undenkbar, dass ein einzelnes Land wie Ungarn oder in Zukunft vielleicht Serbien den Willen des gewählten EU-Parlaments und von über 30 nationalen Regierungen mit bis zu 98 Prozent der von ihnen repräsentierten Bevölkerung blockieren kann. Am Beispiel der OSZE und des Uno-Sicherheitsrats kann man sehen, wie wertlos eine Organisation wird, wenn ein einziges Land sie lähmen kann.

Die EU entscheidet den Budgetrahmen in Sieben-Jahres-Zyklen. Der für 2028 bis 2034 wird der schwierigste bislang, da mehr Themen finanziert werden müssen und es durch Erweiterungen große Umschichtungen geben wird. Einige Nettoempfänger werden durch den Beitritt von ärmeren Ländern Nettozahler werden; Nettozahler wie Österreich werden einen höheren Beitrag fürs Budget leisten müssen.

Es sollte auf der Hand liegen, dass die Gestaltung dieser Veränderungen für Österreich ein vitales nationales Interesse ist; dass wir unseren Einfluss so gewichtig wie möglich geltend machen. Das ist in den Parteizentralen noch nicht angekommen: Die EU-Wahlen werden als Appendix nationaler Wahlen betrachtet, EU-Listenplätze sind oft ein Ausgedinge.

Ungeschickt im Brüsseler Spiel

Österreich ist auch ungeschickt im Brüsseler Spiel. Um Einfluss zu haben, muss man gute Nachbarschaftspolitik betreiben, intelligent moderieren und zum Konsens bereit sein. Das hat handfeste politische Vorteile. (Anderswo in der Welt zu vermitteln aufgrund einer mythischen Neutralität ist nett, aber im Vergleich unwichtig und selten.) Die Ablehnung des Schengen-Beitritts von Rumänien und Bulgarien ist ein Beispiel, wie man es nicht macht: Dieser taktische, innenpolitisch getriebene Stunt schadete Österreich, ohne im Gegenzug viel zu erreichen.

Luxemburg zeigt, dass es anders geht. Dessen Parteien schicken politische Schwergewichte nach Brüssel; unter seinen sechs derzeitigen Mitgliedern des EU-Parlaments sind ein ehemaliger Außenminister, der Generalsekretär der größten Partei und eine ehemalige Parteivorsitzende. Drei der bisher 13 Präsidenten der EU-Kommission kamen aus Luxemburg, mehr als aus jedem anderen Land. Das ist nicht nur, weil Luxemburg so brillante Kandidaten hatte; aber sie waren natürliche Kompromisskandidaten, wenn sich große Länder gegenseitig blockierten.

Die EU ist zunehmend das wichtigste politische Feld Österreichs. So sollten wir auch handeln. (Veit Dengler, 11.9.2023)