Diese Woche findet die erste reguläre Nationalratssitzung in diesem Parlamentsjahr statt.
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Nach 65 Tagen hat die tagungsfreie Zeit des Nationalrats – vulgo Sommerpause –, die lediglich von einer Sondersitzung unterbrochen wurde, ein Ende: Die Tagungsperiode für das neue Parlamentsjahr und die ersten Ausschusssitzungen starteten in der Vorwoche, am Mittwoch ist die erste reguläre Plenarsitzung des Nationalrats angesetzt.

Die Sondersitzung zur Teuerung vor drei Wochen, in der es massive gegenseitige Vorwürfe hagelte, war wohl nur ein Vorgeschmack darauf, in welcher Tonart es im Parlament weitergehen wird. Denn der Nationalrat steht nunmehr vor seinem letzten Jahr in dieser Legislaturperiode – in der bereit 90 Plenar-, 24 Sonder- und 830 Ausschusssitzungen stattgefunden haben (siehe Grafik).

Die zahlenmäßige Bilanz des Parlaments in der aktuellen Legislaturperiode.

Damit ist zu erwarten, dass das Parlament zwölf Monate vor der Wahl – sofern nicht vorzeitig gewählt wird, findet der Urnengang im Herbst 2024 statt – vollends zur Wahlkampfbühne gerät. Alles, was bis zur Wahl noch an Parlamentsarbeit geschehe, sei zwar "durchaus inhaltbezogen, wird jedoch seitens der im Nationalrat vertretenen Parteien auch mit Blick auf die gleichzeitige Tauglichkeit im Wahlkampf geplant", sagt Politologe Peter Filzmaier im Gespräch mit dem STANDARD. Schließlich könne die "Parlamentsbühne sehr gut in den Wahlkampf eingebunden werden". Zum einen durch Anträge und Sondersitzungen, um Themen zu setzen. Andererseits für Reden "im Stil einer unmittelbaren Wahlkampfkommunikation", sagt Filzmaier, schließlich werden die Sitzungen live im Fernsehen übertragen. Parteien haben außerdem die Möglichkeit, Ausschnitte von Reden über Social-Media-Kanäle zu verbreiten. "Entweder, um die Aussagen der eigenen Redner mit inszenierter Begeisterung zu multiplizieren, oder auch, um auszugsweise Aussagen der politischen Mitbewerber für ,negative campaigning‘ zu nutzen."

Für die Parlamentsparteien geht es im letzten Jahr vor der Nationalratswahl jedenfalls um viel. Was sind ihre größten Baustellen – und welche Strategien sind zu erwarten?

ÖVP: Durch Distanzierung das eigene Profil schärfen

Die ÖVP geht als Kanzlerpartei in ihr letztes Jahr vor der nächsten Nationalratswahl. In den vergangenen Monaten ließen Vertreterinnen und Vertreter der ÖVP kaum eine Gelegenheit aus, um sich auf FPÖ-Chef Herbert Kickl einzuschießen und sich von ihm –nicht aber von der FPÖ – abzugrenzen. Mit Start des neuen Parlamentsjahres kann die Volkspartei ihrem "Gottseibeiuns" nun auch direkt vom Rednerpult Unfreundlichkeiten ins Gesicht schleudern. Ob das Kalkül aufgeht, dadurch den Freiheitlichen Wählerinnen und Wähler abspenstig zu machen, bleibt abzuwarten.

Ansonsten wird die Volkspartei darauf bedacht sein, ihr Profil weiter zu schärfen, was wohl auch mit einer weiteren Distanzierung vom grünen Koalitionspartner einhergeht. "Kinderbetreuung, Mieten, Gemeindepakete und der Kampf gegen die Teuerung sind wichtige Maßnahmen, die wir setzen werden, ebenso wie das Thema ,Leistung muss sich lohnen‘", sagt Klubobmann August Wöginger.

SPÖ: Ein Ende des Schlingerkurses muss her

Dem neuen Parteichef Andreas Babler fehlt mangels Mandats etwas, was alle anderen Parteispitzen für sich und die Präsentation ihres Programmes nutzen können: die nicht unwichtige Bühne im Parlament. Das ist ein Jahr vor der Wahl für einen erst seit kurzem im Amt befindlichen Parteichef keine ideale Ausgangsposition. Darüber hinaus schlingert die SPÖ nach wie vor in mehreren inhaltlichen Fragen, Stichwort Migrationskurs und Ukrainekrieg.

Die SPÖ gedenkt jedenfalls, sich auch im letzten Parlamentsjahr vor der Wahl "den wirklichen Problemen Österreichs" zu widmen, sagt Klubobmann Philip Kucher. Und meint damit: Bekämpfung der Teuerung, Rettung des Wirtschaftsstandorts und des Gesundheitssystems. Und man wolle "Steuern auf Arbeit senken und extrem hohe Vermögen stärker besteuern", sagt Kucher. In Sachen Vermögensbesteuerung präsentierte die SPÖ erst vor wenigen Tagen ihr adaptiertes Konzept.

FPÖ: Ablehnung und Abgrenzung als Erfolgsrezept

Die FPÖ muss angesichts ihrer Umfragewerte – sie steht seit langem stabil an der Spitze – eigentlich nur eines machen: weiter wie bisher. Im Hinblick auf Arbeit und Auftritte im Parlament heißt das: möglichst gegen alle von anderen Parteien – insbesondere der Regierung – vorgebrachten Vorschläge sein und die Ablehnung lautstark kundtun. Die Themenlage spielt den Blauen seit geraumer Zeit in die Hände. Inhaltlich werden die Freiheitlichen deshalb wenig überraschend auf blaue Gassenhauer setzen.

Klubobmann Herbert Kickl kündigt Anträge zum Schutz des Bargelds in der Verfassung und zu den Themen "Genderwahn" und direkte Demokratie an. Außerdem sind Anträge zur Entlastung der Bevölkerung – Stichwort Teuerung – und zur "Komplettumstellung des Asylsystems" geplant. Schwerpunkt wird weiter die Abgrenzung von allen anderen sein: Die FPÖ werde "auch weiterhin die einzige echte Oppositionskraft im Parlament sein und sich für die Wiederherstellung der alten Normalität einsetzen", sagt Kickl.

Grüne: Die Uhr für Umsetzung von Maßnahmen tickt

Es war eine überraschende Einigung, die ÖVP und Grüne Ende August präsentierten: Der noch im Frühjahr aufgrund des Widerstands der Volkspartei geplatzte Mietpreisdeckel kommt nun doch. Es war ein Erfolg, den die Grünen nach einer Durststrecke für sich verbuchen konnten. Noch so viel wie möglich durchs Parlament zu bringen dürfte Vorsatz der Grünen sein, die nach geschlagenen Wahlen damit rechnen müssen, nicht mehr in einer Regierung vertreten zu sein. Jedenfalls nicht mehr in dieser Konstellation, die sich nach derzeitigem Stand weder ausgeht, noch politisch gewollt ist.

Insbesondere an der Bewältigung der Klimakrise werde man "weiterhin hartnäckig" arbeiten, kündigt Klubobfrau Sigrid Maurer an. Seit zwei Jahren ausständig ist hier etwa das Klimaschutzgesetz. Darüber hinaus sei man weiter "darum bemüht, das Regierungsprogramm abzuarbeiten", sagt Maurer und führt als Beispiel die Abschaffung des Amtsgeheimnisses an.

Neos: Die Gefahr, in der Debatte unterzugehen

Die Regierung würde "Arbeitsverweigerung" und "Bullshitpolitik" betreiben, schleuderte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger kürzlich bei der Sondersitzung in Richtung ÖVP und Grüne. Die Wortwahl der Chefin der kleinsten und jüngsten – die Neos sitzen seit zehn Jahren im Nationalrat – Oppositionspartei taugte zur Schlagzeile, und das war wohl alles andere als Zufall. Für die Neos, die sich stets konstruktive Oppositionspolitik auf die Fahnen heften, besteht die Herausforderung nämlich darin, in der politischen Debatte und im Kampf um mediale Aufmerksamkeit nicht unterzugehen.

Es gebe jedenfalls zahllose Themen, die man "im kommenden Jahr mit aller Kraft voranbringen" wolle, sagt Klubobfrau Meinl-Reisinger. Darunter das Klimaschutz- und Informationsfreiheitsgesetz, der Ausbau der Kinderbetreuung und der Abbau der Bürokratie an Schulen, die Entlastung von Arbeitnehmern und Unternehmen sowie die Unabhängigkeit von russischem Gas. (Sandra Schieder, 18.9.2023)