Sieben Winter in Teheran
Shole Pakravans Tochter wurde zum Tode verurteilt.
Julia Daschner

Eine Filmpremiere kann auch ganz ohne Glamour zu einem wichtigen Ereignis werden. Die Uraufführung von Sieben Winter in Teheran bei der diesjährigen Berlinale war ein solches Ereignis. Als der Abspann der Doku von Steffi Niederzoll vorbei war, bat die Regisseurin die Mutter ihrer Protagonistin auf die Bühne, die einen persönlichen Appell ans Publikum richtete. Shole Pakravan lebt mittlerweile im Exil in Deutschland.

Der Film porträtiert das siebenjährige Martyrium ihrer Tochter, Reyhaneh Jabbari. Die Studentin wurde 19-jährig als mutmaßliche Mörderin verhaftet und zum Tode verurteilt, nachdem sie in Notwehr einen Vergewaltiger tödlich verletzt hatte. Vor Gericht wird ihr als Frau nicht geglaubt. Der Mann war ein 47-jähriger Familienvater, den die junge Frau verführt haben soll.

Im Prozess will die Blutrache-Justiz der iranischen Theokratie sie zu einem Geständnis zwingen, damit die Familie des Opfers ihr vergeben könne. Doch die junge Frau weigert sich. Der Fall Reyhaneh sorgte international für Aufsehen. Ihr Schicksal ist kein Geheimnis und das Ende der Doku kein Spielfilm-Spoiler. Doch die Chronik der sieben Jahre in der Todeszelle, die Steffi Niederzoll in ihrem Film nachzeichnet, ist ebenso spannend wie berührend. Vor allem aber macht sie wütend.

Regimekritisches Kino

Die Weltpremiere in Berlin fiel mit den Protesten iranischer Frauen gegen das Regime zusammen. Reyhaneh Jabbari ist ebenso wie Mahsa Amini eine Heldin im Kampf gegen die patriarchal-islamistische Unterdrückung im Iran. Steffi Niederzoll arbeitet in ihrem angenehm dichten Debütfilm Sieben Winter in Teheran mit unterschiedlichstem Material und verweigert sich dem Trend des Dokumentar-Minimalismus. Der Gefängnisraum etwa wurde als Modell nachgebaut. Dafür zeichnet Gali Blay verantwortlich, die bereits für die letzten beiden Wes-Anderson-Filme gearbeitet hat. Der Protagonistin bringen einen aber vor allem die privaten Videoaufnahmen der Familie nahe, ergänzt von teilweise heimlich gemachten Aufnahmen rund um die späteren Gefängnisbesuche.

Sieben Winter in Teheran
Reyhaneh Jabbari wurde 19-jährig als mutmaßliche Mörderin verhaftet und zum Tode verurteilt, nachdem sie in Notwehr einen Vergewaltiger tödlich verletzt hatte.
MIG

Der Film lässt Reyhaneh als Erzählerin ihrer eigenen Geschichte zu Wort kommen, in Sprachnachrichten und Briefen aus dem Gefängnis. Die Stimme leiht ihr die iranische Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi, selbst aus dem Iran geflüchtet. Im Thriller Holy Spider spielte sie vergangenes Jahr eine Journalistin, die einem Frauenmörder auf der Spur ist, und wurde damit zum Star des iranischen Exil-Kinos.Bei den gerade zu Ende gegangenen Filmfestspielen von Venedig ist sie als Co-Regisseurin des großartigen Spielfilms Tatami zu Gast gewesen, der die Geschichte einer iranischen Judo-Athletin erzählt, die vom Regime unter Druck gesetzt wird.

Realpolitische Ebene

Die aktuelle Doku aus Deutschland liefert somit eine realpolitische Ebene zu den vielen Geschichten, die mutige Filmschaffende aus der alten Kinonation Iran seit Jahren auf die Leinwand bringen. Viele davon verhandeln den drakonischen Vollzug der Todesstrafe, die für das Regime ebenso essenziell ist wie die Kopftuchpflicht. Mit mindestens 576 Exekutionen ist die Islamische Republik Iran laut Amnesty-Bericht 2022 für 65 Prozent aller weltweit bekannt gewordenen Hinrichtungen verantwortlich.

Filmemachende wie Mohammad Rasulof (Doch das Böse gibt es nicht, 2020), Ali Ahmadzadeh (Critical Zone, 2023) oder Massoud Bakhshi (Yalda, 2019) erzählen spannende Spielfilme rund um die Thematik und feiern damit internationale Festivalerfolge. Im Zuge der jüngsten Proteste hat nun aber das Regime die Schrauben für Filmregisseure und -regisseurinnen noch einmal enger angezogen und internationale Festivalpremieren unter Strafe gestellt, während iranische Filme im Heimatland illegal rege Verbreitung finden. Für die Kraft des Kinos und die aus dem Exil unterstützten Proteste darf das als Erfolg gewertet werden. Und auch Reyhanehs Mutter kämpft von Deutschland aus weiter gegen das Regime. (Marian Wilhelm, 13.9.2023)

SIEBEN WINTER IN TEHERAN | Trailer deutsch german [HD]
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