Die Pandemie ist zu Ende, und die Touristen kommen zurück, zahlreicher denn je. Das freut die Wirtschaftskammer, aber nicht unbedingt die einheimische Bevölkerung.

In Hallstatt gingen die Stadtbewohner, längst eine Minderheit gegenüber den Gästemassen, verzweifelt protestierend auf die Straße. Und in Wien haben sich die Einheimischen daran gewöhnt, Graben und Kärntner Straße tunlichst zu meiden. Dort sind die Marschkolonnen der Touristen unterwegs, voran der Reiseleiter mit der Fahne des zuständigen Tourismusunternehmens.

Wien Tourismus Graben
Die Touristen kommen wieder in Scharen nach Wien. Ein beliebtes Ziel ist natürlich der Graben.
Theresa Wey / AP / picturedesk

Touristen sind geduldige Wesen. Sie stehen Schlange vor dem Café Central und dem Restaurant Figlmüller. Das Central war einst beliebter Treffpunkt von berühmten Literaten und Intellektuellen, und das Figlmüller gilt als Heimstätte des Wiener Schnitzels. Beide werden offenbar als "typisch wienerisch" in einschlägigen Reiseführern empfohlen. Das hat freilich zur Folge, dass "typische Wiener" dort kaum zu sehen sind und die Touristen es in den vielgelobten Traditionslokalen praktisch ausschließlich mit ihresgleichen zu tun bekommen. Als disziplinierte Reisende nehmen sie das Schlangestehen in Kauf, obwohl es in der nahen Umgebung jede Menge Etablissements gibt, in denen man ohne diese Mühsal Kaffee trinken und Schnitzel essen kann.

Eine Art Ehrenzeichen

Menschenschlangen gibt es auch vor dem Louis-Vuitton-Geschäft in der Wiener Innenstadt. Eine Tasche dieser Luxusmarke zu besitzen ist ein Privileg, für das man nicht nur viel Geld zahlen, sondern auch ein bisschen leiden muss. Geldausgeben scheint überhaupt eine Art Ehrenzeichen zu sein. Ein bekannter Touristenscherz berichtet von einem Kunden, der seinem Freund stolz seine neue Armbanduhr zeigt: Schau, für die hab ich zehntausend Euro bezahlt! Worauf der Freund erwidert: Du Trottel, ich hab genau die gleiche für zwanzigtausend bekommen.

Es ist das Glück und das Unglück schöner Städte, dass alle Welt sie sehen und besuchen will. Wien hat es geschafft, in internationalen Rankings den ersten Platz sowohl als lebenswerteste wie als unfreundlichste Stadt Europas zu besetzen. Gut? Schlecht? Beides? Expats berichten, dass die österreichische Hauptstadt in letzter Zeit auch dem bei Künstlern und Intellektuellen besonders angesagten Berlin den Rang abgelaufen hat, weil dieses zu teuer geworden ist.

Man muss es der Wiener Stadtverwaltung zugutehalten, dass sie nach Kräften versucht, die Balance zwischen Attraktivität und Übertourismus zu finden. So gibt es ein Verbot, in sogenannten Wohnzonen Airbnb-Wohnungen anzubieten, was viele Vermieter ärgert, aber viele Mieter freut. Trotzdem ist das "klapp, klapp, klapp" der Rollköfferchen, mit denen die Gäste in ihre temporären Heimstätten ein- und später aus diesen wieder ausrücken, in vielen Mietshäusern ein vertrautes und nicht unbedingt willkommenes Geräusch.

Die Wiener sind bekannt dafür, dass sie gerne jammern. Es gibt derzeit viele gute Gründe für Unzufriedenheit. Die Gefahr des drohenden Übertourismus ist einer davon – aber gewiss nicht der ärgste. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 14.9.2023)