Es wäre eine Illusion zu glauben, dass die Interessenkonflikte zwischen Tourismuswirtschaft und Bevölkerung so einfach überbrückt werden könnten, schreibt Wifo-Tourismusexperte Oliver Fritz in seinem Gastkommentar.

Blick auf Hallstatt, vorne der See, Aufkleber auf einem Pfosten, hinten der malerische Ort mit Bergkulisse
Auf dem Weg zum Freilichtmuseum? 800 Menschen leben in Hallstatt, an starken Tagen kommen 10.000 Gäste in den Ort.
Foto: Manfred Stipanitz

Während die Betten in der Covid-19-Pandemie zeitweise leer blieben, verschwand das Thema "Overtourism" von der Bildfläche. Mit dem Comeback des Tourismus wird das Stöhnen über zu viele Gäste auch hierzulande wieder laut. Tourismusstaatssekretärin Susanne Kraus-Winkler befeuerte das Thema jüngst mit ihrer Kritik an Hallstatt, der Overtourism-Hochburg des Landes. Was können wir gegen den "Übertourismus" tun?

"Wir haben ein paar Hotspots in Österreich, die ganz dringend ihre Hausaufgaben rund ums Besuchermanagement machen müssen."
Tourismus-Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler in der "Kleinen Zeitung", 23. 8. 2023

Von Overtourism spricht man, wenn die Lebensqualität der Bevölkerung erheblich durch eine hohe Anzahl von Touristinnen und Touristen leidet, aber auch das touristische Erlebnis der Gäste durch eine Überlastung der lokalen Infrastruktur oder einen Verlust an Authentizität einer Destination beeinträchtigt wird. Aus ökonomischer Sicht ist dieses Phänomen ein typisches Problem sogenannter Allmende-Güter: Das sind Güter, bei denen es einerseits schwierig ist, Menschen vom Konsum auszuschließen – im Tourismus kann man nicht nur das Reiseziel frei wählen, Touristinnen und Touristen bewegen sich an der Destination zumeist im öffentlichen Raum. Andererseits leiden Bevölkerung und Gäste darunter, wenn zu viele Menschen dasselbe Reiseziel oder dieselben Orte innerhalb dieser Destination frequentieren. Zwar sind aktuell vorwiegend Städte vom Overtourism betroffen (Venedig, Barcelona, Dubrovnik), aber auch Nischendestinationen, zum Beispiel Nationalparks oder einzigartige Orte wie Hallstatt.

Reisen als Lifestyle

Auch wenn Overtourism wesentlich von lokalen Gegebenheiten bestimmt wird, ist er stark vom Wachstum geprägt, das die Tourismusbranche bis zur Pandemie über Jahrzehnte verzeichnete und das sich nach aktuellen Prognosen in den nächsten Jahren fortsetzen wird. Die weltweite Zunahme der Reisetätigkeit hängt dabei nicht nur mit den in vielen Weltregionen, etwa Asien, erzielten Einkommenszuwächsen zusammen, welche die Nachfrage nach Reisen überproportional ansteigen lassen, sondern auch mit einem Rückgang der Kosten. Urlaubsreisen wurden für breite Bevölkerungsschichten leistbar und gehören immer öfter zum Lifestyle. So hat sich die Zahl internationaler, grenzüberschreitender Gäste zwischen 1999 und 2019 weltweit mehr als verdoppelt.

Begünstigt wird das Nachfragewachstum durch die Verbreitung sozialer Medien: Fotos auf Facebook oder Instagram und Influencerinnen und Influencer steigern das Verlangen nach Urlaubsreisen. Mit Unterstützung der Politik wurde auch das Angebot entsprechend ausgeweitet: Viele einst auf Land- und Forstwirtschaft spezialisierte Regionen in den heimischen Alpen, die für Industrie und wissensintensive Dienstleistungen ungünstige Standortbedingungen aufweisen, setzten erfolgreich auf den Tourismus und konnten damit Abwanderung verhindern sowie neue Arbeitsplätze und Einkommensmöglichkeiten schaffen.

Grenzen des Wachstums

Nun aber stößt das Wachstum vielerorts an seine Grenzen – an die ökologischen sowieso, aber auch an die der Erträglichkeit für die Bevölkerung in den Urlaubsorten: Lärm und Müll, Verkehr, hohe Preise bei Konsumgütern und Immobilien, in kleineren Gemeinden wie Hallstatt der Verlust an Rückzugsmöglichkeiten für die Dorfgemeinschaft. Was also tun? Gleich vorweg: Effektive Lösungen zu finden ist schwierig – Hallstatts "Scheitern" sollte nicht verwundern. Einer der entscheidenden Gründe dafür sind Interessenkonflikte: Tourismusunternehmen und ihre Beschäftigten profitieren von einer hohen Zahl an Gästen und wollen sie oft nicht einschränken, während für große Teile der Bevölkerung die Kosten den wirtschaftlichen Nutzen übersteigen.

Zwei Lösungsansätze

Zwei Lösungsansätze stehen im Vordergrund: die Beschränkung der Besucherzahlen und die räumliche oder zeitliche Umverteilung der Gäste. Amsterdam und Barcelona etwa versuchen die Bettenkapazitäten zu begrenzen. Venedig hat ein Anlegeverbot für Kreuzfahrtschiffe erlassen und plant Eintrittstickets für Tagesgäste. Auch in Dubrovnik und Palma de Mallorca werden die Transportkapazitäten verknappt. Hallstatt hat die Parkmöglichkeiten eingeschränkt. Hinweise auf alternative Attraktionen außerhalb touristischer Hotspots können Touristenströme umlenken, ebenso Echtzeitinformationen über Besucherandrang oder zeitliche Kapazitätsbeschränkungen für Attraktionen.

Die Bemühungen sind aber oft halbherzig, die Erfolge gering: Der geplante Eintrittspreis von fünf Euro pro Person wird kaum jemanden davon abhalten, Venedig zu besuchen; in Hallstatt tummeln sich trotz Parkraumbewirtschaftung noch immer zu viele Tagesgäste, und in Barcelona entstehen neue Betten nun eben in Gemeinden außerhalb der administrativen Stadtgrenzen. Restriktivere Maßnahmen scheitern am Widerstand der Tourismuswirtschaft, manchmal – man denke an Drehkreuze am Ortseingang – auch der eigenen Bevölkerung.

"Dann braucht es auch Konzepte für Wanderwege und Berggipfel."

Zudem droht sich das Problem mit dem Klimawandel weiter zu verschärfen und auf ländliche Regionen auszudehnen, wenn sich, wie erwartet, die Reiseströme innerhalb Europas im Hochsommer verändern: Wird es im Süden zu heiß, machen mehr Menschen in gemäßigteren Zonen Mittel- und Nordeuropas Urlaub, etwa in den Alpen. Dann braucht es auch Konzepte für Wanderwege und Berggipfel.

Nach der Pandemie ist vor der Pandemie – der Overtourism ist zurück. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass die Interessenkonflikte zwischen Tourismuswirtschaft und Bevölkerung so einfach überbrückt werden könnten. Dennoch führt kein Weg daran vorbei, dass jetzt umfassende Lösungsstrategien mit tragfähigen und wirkungsvollen Kompromissen gefunden werden müssen. (Oliver Fritz, 7.9.2023)