Ministerin Alma Zadić und Rapper Nazar im
Alma Zadić und Nazar sind im selben Jahr geboren, wuchsen beide in Wien-Favoriten auf – aber zum ersten Mal begegnet sind die beiden einander erst jetzt beim 2+1-Gespräch im Justizministerium.
Heribert Corn

Sie ist in Bosnien geboren, er im Iran, aber die Hood ihrer Kindheit und Jugend war Favoriten. Beide, Alma Zadić und Nazar, landeten nach ihrer Flucht im zehnten Bezirk Wiens, sie waren sogar, wie sich beim Begrüßungssmalltalk herausstellt, im selben Gymnasium, haben einander dort aber knapp verpasst: "Ich bin kurz vorher geflogen", erzählt der Rapper lachend.

STANDARD: Ministerin Zadić hat ein Gesetz in rein weiblicher Form vorgelegt. Männer seien, wie sonst immer Frauen, "mitgemeint". Das hat viele, vor allem auch die ÖVP, extrem aufgeregt. Nazar, regt Sie so etwas auf?

Nazar: Überhaupt nicht. Ich bin mit meiner Mutter aufgewachsen. Ich kenne die Probleme der Frauen ein bisschen, auch durch meine Lebensgefährtin und natürlich durch junge Frauen, die mir oft davon erzählen. Von daher war es ein genialer Marketingstreich, auch wenn das Thema sehr ernst ist. Ich finde es eher erschreckend, dass es Menschen gibt, die sich darüber so sehr echauffieren. Wenn es Frauen generell wichtig ist, dass das geändert wird, was habe ich da als Mann, dessen Leben es nicht beeinflusst, da überhaupt mitzureden?

Alma Zadić
Alma Zadić ist seit 7. Jänner 2020 Bundesministerin für Justiz.
Heribert Corn

Zadić: Ich finde diese Erklärung sehr schön, zu sagen, ich als Mann unterstütze das, weil es notwendig ist, um Frauen sichtbarer zu machen. Es zeugt auch von Selbstbewusstsein und Selbstwert, wenn man sagt: Es entwertet mich nicht, wenn das Ganze in weiblicher Form geschrieben ist. Ganz im Gegenteil: Es trägt zu Gleichberechtigung bei, weil es Ungleichheit aufzeigt. Dieselben Personen, die vorher immer gesagt haben, wenn man nur männlich schreibt, sind ja eh alle mitgemeint, haben plötzlich gemeint, es sollten schon beide Geschlechter genannt werden, weil ich als Mann fühle mich sonst nicht repräsentiert. Darum ist diese Debatte entlarvend, weil sie zeigt, dass es doch einen Unterschied macht. Denn wenn es wirklich egalitär wäre, dann wäre es vollkommen egal, aber das ist es eben nicht, wie man leider sieht.

STANDARD: Wobei es im Rap, auch in Ihren Texten, meist eher unfeministisch zugeht. Da werden "Bitches" besungen oder Söhne, mit denen man "beef" hat, die man auf dem Umweg über die Mutter beleidigt. Spielen diese gesellschaftlichen Sprachdiskurse für Sie in Ihrem künstlerischen Ausdruck eine Rolle?

Nazar: Ich bin kein Beauftragter des Staates, Kinder zu unterrichten oder das Vorbild der Sprache zu sein. Mittlerweile gibt es zum Glück auch viele "female artists", die sich viel mit dem Thema beschäftigen. Ich provoziere gern, um Missstände aufzuzeigen. Es sollte halt schon die Freiheit der Kunst bleiben, zu entscheiden, ob mir das etwas gibt, wenn ich das höre – und man sollte es nicht zu sehr auf das Leben überstülpen. Kein einziger Rapper spricht privat so, wie er das in der Musik tut. Wenn man das nicht unterscheiden kann, hat man generell ein Problem.

Zadić: Wenn wir echte Gleichberechtigung auf allen Ebenen wollen, müssen wir auch auf Missstände aufmerksam machen. Das kann auch Musik. Kunst kann aufrütteln, manchmal provoziert sie auch. Ob man das dann persönlich gut findet, ist eine andere Sache. Was wir aber jedenfalls brauchen, ist, auf Ungerechtigkeiten zu reagieren und Regelungen zu schaffen, wie Lohntransparenz und Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, damit wir mit echter Gleichstellung auch als Gesellschaft vorankommen.

Nazar: Wobei leider seit der Corona-Zeit immer öfter in Verschwörungstheorien die Vorstellung auftaucht, dass eh jeder ein mündiger Bürger sei und einem niemand etwas vorzuschreiben hat. Es ist aber wichtig – und darum haben wir eine Demokratie –, dass es Gesetze gibt, die vieles untersagen, gerade wenn es darum geht, dass Menschen diskriminiert, verletzt oder beleidigt werden.

STANDARD: "Nazar" bedeutet auf Persisch "Meinung". Ihnen folgen viele Menschen in den sozialen Medien. Inwiefern sehen Sie als Rapper, der ein Star in der Hip-Hop-Szene ist, da auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung? Zu welchen Themen wollen die Leute Ihre Meinung hören?

Rapper Nazar.
Nazar veröffentlichte 2018 seine Autobiografie unter dem Titel "Mich kriegt ihr nicht".
Heribert Corn

Nazar: Leider zu mehr, als es mir lieb ist. Aber obwohl ich aktuell sehr inaktiv bin, habe ich nach dem Urteil im Fall Teichtmeister so viele Nachrichten wie schon lange nicht gehabt. Da war so viel Hass, nicht mir gegenüber, sondern generell wegen des Themas. Und es hieß, dass ich mich zu diesem Thema äußern soll, und wenn ich es nicht tue, ob ich dann nicht auch zum Establishment gehöre. Ich habe mich dann ein bisschen mit dem Fall beschäftigt und muss ehrlich sagen, dass ich wirklich sehr schockiert war, auch über das Urteil, das da gefällt wurde.

STANDARD: Warum?

Nazar: Vor allem weil ich glaube, dass allein schon die Außenwirkung für andere pädophile Straftäter ein katastrophales Signal ist und der Richter Herrn Teichtmeister keinen großen Gefallen getan hat, dass er jetzt auf freiem Fuß ist. Wenn er eine Haftstrafe hätte antreten müssen, wären die Leute irgendwann, auch wenn es schade ist, vergesslich geworden, das gehört zum Menschsein dazu. Sie hätten mit dem Thema besser abschließen können, als mit diesem Urteil, das, wie ich glaube, wirklich niemand nachvollziehen kann. Und ich bin mir ziemlich sicher – auch wenn ich hoffe, dass sich meine Aussage nicht bewahrheitet – dass Herr Teichtmeister jetzt kein einfaches Leben haben wird. Nicht aufgrund der Schande, die er mit sich trägt, weil die ist nichts im Vergleich zu dem, was den Kindern auf diesen Fotos angetan wurde. Sondern weil es viele Menschen geben wird, die an ihm Selbstjustiz verüben wollen werden. Dass man in so einem Fall so ein Urteil fällt, auch mit der Argumentation, dass er ja eh schon gestraft ist, weil die Bevölkerung gerade so gegen ihn ist, das hat mir sehr wehgetan.

Zadić: Selbstjustiz darf in einem Rechtsstaat nie eine Option sein. Ich kann nachvollziehen, dass das Urteil viele Menschen aufregt, weil viele nach wie vor die Strafe auch als eine Art Wiedergutmachung ansehen. Leider kann kein Urteil der Welt das wiedergutmachen, was diesen Kindern angetan wurde, und dass es Menschen gibt, die diese abscheulichen Taten auch noch anschauen, vergrößert das Problem. Deswegen müssen wir alles daran setzen, dass Kinder nicht zu Opfern werden. Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder in Einrichtungen, die mit ihnen arbeiten, sei es beim Sport, in Vereinen, in Schulen, bestmöglich geschützt sind und es verpflichtende Kinderschutzkonzepte gibt, damit es Kindern gutgeht. Ich bin selbst Mutter eines Zweieinhalbjährigen und will wissen, dass mein Sohn sicher ist.

Nazar: Aber dieses Urteil? Ich will diesen Menschen nicht in einem Keller leiden sehen oder sagen: lebenslänglich! Das ist zum Glück die Aufgabe der Justiz, der ich weiterhin vertrauen möchte, dass so ein Mensch jedenfalls eine Zeitlang aus dem Verkehr genommen wird und das auch zu spüren bekommt. Natürlich auch psychologisch betreut wird. Aber was für eine Signalwirkung hat das? Er muss regelmäßig Drogen- und Alkotests machen, das ist alles sehr süß und lieb, dafür dass zigtausenden Kindern die Seele ruiniert wurde. Ich werde das nie verstehen. Es ist kein Geständnis, wenn ich ertappt werde und das vor Gericht zugebe. Allerdings habe ich auch die Bilder gesehen, wo Leute mit einem Galgen aufgetaucht sind und ihn am liebsten gelyncht hätten. Da muss ich auch sagen: Ich weiß nicht, in welchem Universum die leben, dass sie das für normal halten. Das ist es bei uns zum Glück nicht, und ich finde das auch sehr gut, dass wir hier ein anderes System der Bestrafung haben.

Zadić: Die meisten dieser Täter haben eine tiefliegende psychische Störung. Darum müssen sie engmaschig therapiert werden. Ich habe aber trotzdem, als der Fall bekannt wurde, justizpolitisch reagiert, weil für mich klar war, dass wir rechtlich nachschärfen müssen. Wir haben den Begriff geändert – Kinderpornografie ist verharmlosend, das sind Missbrauchsdarstellungen, und das muss man auch benennen. Vor allem haben wir die Strafen deutlich angehoben, weil es muss das Unrecht der Tat widergespiegelt werden. Bis jetzt waren die Strafen für den Besitz von Missbrauchsmaterial von Kindern eher niedrig, ein bis zwei Jahre. Mit der jetzigen Erhöhung, die für den Fall Teichtmeister nicht rückwirkend greifen kann, haben wir den Strafrahmen verdoppelt und sogar verdreifacht. Für die Herstellung von Missbrauchsdarstellungen drohen jetzt bis zu zehn Jahre Haft – und ich glaube, dass das auch generalpräventiv wirken kann.

STANDARD: Schauen wir noch schnell in Ihre alte Hood, in den Zehnten. Wo ist emotional bis heute Ihr Favoriten?

Nazar: Auch wenn ich seit einiger Zeit nicht mehr dort lebe, bleibt der Zehnte für mich immer Mundl, der sich einen Döner holt.

Zadić: Ein Eis beim Tichy oder das Café Cameo, wo ich für Uni-Prüfungen gelernt habe, wecken viele Erinnerungen. Letztens war ich auch in einem Café auf dem Reumannplatz, wo ich als Jugendliche mal Lokalverbot bekommen habe, weil eine Freundin und ich viel zu lange nur einen kleinen Braunen getrunken haben. Sie haben mich reingelassen. (lacht) (Lisa Nimmervoll, 14.9.2023)