Vogeperspektive Wachau
Die Wachau und ihre Ernteschätze.
Jakob Pflügl

An einem Freitag Ende August hängt drückende Schwüle über Krems. Thomas Stoifl, Einsatzleiter der Hagelabwehr, empfängt mich am Flugplatz Langenlois. Dort hält er ab 13 Uhr die Stellung und beobachtet den Himmel. Der ausgebildete Pilot ist seit zwanzig Jahren dabei und weiß: Sobald ein Hagelunwetter am Radar sichtbar wird, ist es bereits zu spät.

An einem Gewittertag zählen daher vor allem zwei Dinge: Beobachtung und Geschwindigkeit. Wenn andere ihre Autos unterstellen, die Gartenmöbel in Sicherheit bringen und ins Trockene flüchten, holt Stoifl seine einmotorige Cessna aus dem Hangar. Er überprüft den Ölstand, kontrolliert die Klappen und checkt die Messinstrumente. Dann hebt er ab und steuert das Kleinflugzeug in Richtung der anrollenden Gewitterwolken.

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DER STANDARD

Fliegerstaffel in Bereitschaft

Stoifls Einsatztruppe ist eine Fliegerstaffel mit dreizehn Piloten und zwei Pilotinnen. Bei drohendem Hagelsturm rückt sie mit bis zu drei Flugzeugen aus und versprüht ein Gemisch aus Silberjodid und Aceton in die Gewitterkegel. Das soll Hagelschauer abschwächen und so die umliegenden Weinbaugebiete vor Unwetterschäden schützen.

An diesem Freitag hat Stoifl Bereitschaftsdienst. Über den Hangar bringt er mich in sein zweites Wohnzimmer: die Einsatzzentrale. Das Gebäude, eine kleine Holzhütte am Rand des Rollfelds, ist spärlich ausgestattet: Couch, Kühlschrank, zwei Bildschirme für das Wetterradar, eine Veranda mit Sicht auf die Landebahn. Von hier aus überblicken die Piloten etwa 90 Prozent des 1000 Quadratkilometer großen Einsatzgebiets: von Hollabrunn im Weinviertel im Norden über das Traisental im Süden bis nach Fels am Wagram im Osten und zum Jauerling im Westen.

Heute haben sich die Gewitterwolken aufgelöst, Stoifl nimmt mich aber auf einen "Betriebsbereitschaftsflug" mit, wie er es formuliert. Er schiebt die schwere Blechtür des Hangars zur Seite, zieht eines der Flugzeuge ins Freie und spult seine Routine ab: Nach dem Außencheck setzt er sich in das Flugzeug, funkt an den Tower und startet den Motor. "Für dich auch das erste Mal in so einem Gerät?", scherzt er beiläufig und bringt die Cessna auf der Startbahn in Position. Dann beschleunigt er und zieht das Flugzeug sanft in die Höhe. Stoifl hat beim Bundesheer fliegen gelernt und hunderte Stunden in der Luft absolviert. "Ab einem bestimmten Alter zählt man nicht mehr ganz so genau mit."

Flugzeug
Kleinflugzeuge mit Silberjodid-Generatoren sollen in der Wachau grobe Hagelschäden verhindern.
Jakob Pflügl

Wolken saugen die Impfung auf

Dem erfahrenen Piloten kann nicht entgangen sein, dass ich am Rollfeld deutlich gesprächiger war als in der Luft. Nach der ersten schärferen Rechtskurve bin ich eine Zeitlang sogar ganz still. Im Vergleich zu einem Einsatz ist unser heutiger Flug freilich ein Spaziergang: Ziehen Hagelgewitter auf, fliegen die Piloten zwar nicht direkt in die Wolken, aber knapp darunter oder seitlich vorbei. Da kann es schon einmal passieren, dass das Flugzeug durch die Thermik stark nach oben gerissen wird oder Hagel auf die Tragflächen trifft.

Bei ihren Einsätzen suchen die Piloten jene Stellen, an denen die Wolke "saugt", und aktivieren dort die Silberjodid-Generatoren auf den Tragflächen. Das Steuergerät dafür ist zwischen den Sitzen im Cockpit befestigt. Über dem metallenen Schalter klebt ein Sticker mit dem Schriftzug "Chemtrail".

"Ich habe vor einiger Zeit ein neues Gerät entwickelt und es spaßhalber so genannt", erzählt Stoifl. Im Laufe der Jahre sei er schon mit unterschiedlichsten Vorwürfen konfrontiert gewesen. Am häufigsten seien Umweltbedenken. Silberjodid – die Hagelflieger sagen "Silberstaub" dazu – sei jedoch ungefährlich und am Boden nicht nachweisbar.

Hohe Kosten trotz Ehrenamt

Ähnlich sieht das Josef Eitzinger, Professor für Meteorologie und Klimatologie an der Universität für Bodenkultur in Wien. Silber zähle zwar zu den Schwermetallen, die Mengen, die von Hagelfliegern versprüht werden, seien aber relativ gering. "Im Vergleich zu Silvesterfeuerwerken fällt das überhaupt nicht ins Gewicht", sagt Eitzinger. "Pro Einsatz sind es ein paar Kilo Material, die sich auf mehrere Quadratkilometer Fläche verteilen."

Stoifl steuert das Flugzeug die Donau entlang, wir fliegen in rund 900 Meter Höhe. Kurz nach Dürnstein dreht er nach rechts ab und gleitet am linken Ufer zurück Richtung Krems. Der Flug dauert etwa 30 Minuten; ein richtiger Einsatz zwischen ein und zwei Stunden. Stoifl und seine Pilotenkollegen arbeiten ehrenamtlich und teilen sich die Bereitschaftsdienste auf. Doch Sprit, Material und Wartung kosten Geld. Finanziert wird das Projekt seit Jahrzehnten hauptsächlich von Gemeinden und landwirtschaftlichen Betrieben – nicht aber von der Österreichischen Hagelversicherung. Die zweifelt daran, dass die Abwehr tatsächlich funktioniert.

Styroporplatten
Mithilfe von Styroporplatten wird die Wirkung der Hagelabwehr analysiert.
Jakob Pflügl

Früher Raketen, jetzt Flugzeuge

Bekannt ist die Technologie der "Wolkenimpfung" bereits seit mehr als achtzig Jahren. Früher schossen die Bauern Raketen in den Himmel, seit den 1970er-Jahren sind in Niederösterreich Flugzeuge im Einsatz. In der Theorie funktioniert die "Impfung" so: Hagelkörner bilden sich stets um Kristallisationskerne – zum Beispiel um Staubpartikel. Das Silberjodid soll die Anzahl der Kristallisationspunkte erhöhen und so die einzelnen Hagelkörner kleiner machen – im Idealfall so klein, dass sie beim Auftreffen auf den Boden längst wieder zu Regen geschmolzen sind.

In der Steiermark, wo ebenfalls Hagelflieger eingesetzt werden, beschäftigt sich die "Hagelplattform" seit 2006 mit der Wirksamkeit der Abwehr. "Bisher allerdings ohne hilfreiche Ergebnisse", heißt es auf Anfrage des STANDARD bei der Hagelversicherung, die das Forschungsprojekt gemeinsam mit dem Land Steiermark betreibt. Die internationale Wissenschaft sei nicht einig, ob die Hagelbekämpfung wirkungsvoll ist.

Auch die Zentralanstalt für Meteorologie (ZAMG, nun Geosphere Austria) machte einst eine Studie. Sie analysierte über einen mehrjährigen Zeitraum die durchschnittliche Größe der Hagelkörner mit ausgebrachten Styroporplatten (siehe Bild oben). Im Gegensatz zur Hagelplattform Steiermark kam die ZAMG allerdings zum Ergebnis, dass größere Hagelkörner im Einsatzgebiet seltener wurden.

Flugzeug und Forscher
Thomas Stoifl ist Einsatzleiter einer Staffel von über zehn Pilotinnen und Piloten.
Jakob Pflügl

Tiefe Sonne und Seitenwind

"Im Labor ist die Wirkung bewiesen", sagt Experte Eitzinger. Bei praktischen Einsätzen sei sie allerdings schwer nachzuweisen – schließlich habe man keinen Vergleich. "Jedes Gewitter, jede Wolke ist anders. Man weiß nie, was passiert wäre, wären keine Hagelflieger geflogen", erklärt er. Dass es keinen direkten Beweis gebe, bedeute aber nicht, dass die Hagelabwehr keine Wirkung habe.

Stoifl hat an der Effektivität seiner Einsätze jedenfalls keine Zweifel. Mittlerweile hat er den Sinkflug eingeleitet. "Findest du den Streifen?", fragt er mich – und meint damit die Landebahn. "Ja", antworte ich selbstbewusst, obwohl ich da eigentlich nicht so sicher bin. "Gegen die tiefstehende Sonne, Wind von der Seite. Für eine Landung könnten die Bedingungen kaum ungünstiger sein als jetzt", meint Stoifl und macht mich noch einmal nervös. Dann fliegt er eine letzte Kurve und setzt das Flugzeug sanft auf der Landebahn auf.

"Wir nehmen nicht jeden mit", sagt Stoifl bei der Verabschiedung auf dem Rollfeld. Er ärgere sich immer wieder über Medienberichte, die die Mitglieder der Hagelabwehr als risikofreudige Kampfpiloten darstellen. Das Gegenteil sei der Fall: Sicherheit hat höchste Priorität. "Wir sind keine Halsbrecher, wir machen einfach unsere Arbeit." (Jakob Pflügl, 17.9.2023)