Ob die Kollektivvertragsverhandlungen in der Metallindustrie auch heuer richtungsweisend sein werden, ist fraglich. Nach Rekordjahren läuft das Geschäft schlecht.
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Am 25. September beginnt die als wegweisend geltende Herbstlohnrunde der Metallindustrie. Die Arbeitgeber sehen keinen Spielraum für kräftige Lohnerhöhungen und argumentieren mit der schlechten Auftragslage und hohen Lohnstückkosten. Die Gewerkschaft kontert, dass sich Unternehmensgewinne prächtig entwickelten und die Löhne nun nachziehen müssen. Wie kann dieser Arbeitskampf ausgehen?

1. Die Sicht der Arbeitgeber: Kostentreiber überall

Die Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB), die zehnte in Folge, am vergangenen Donnerstag erleichtert die Sache nicht. Denn für Unternehmen verteuern sich Investitionen noch einmal, und das kommt für die Industrie zur Unzeit. Bereits jetzt muss die Hälfte der Unternehmen mit Kreditbedarf mehr Zinsen bezahlen oder bei der Darlehenshöhe Abstriche machen. Rund ein Drittel der vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo befragten Betriebe erhielt gar keine Kreditzusage oder beantragte keine Fremdfinanzierung – wegen Chancenlosigkeit bei der Bank oder weil die Bedingungen inakzeptabel waren: ein überraschend hoher Wert. Wenn bereits notwendige Ersatzinvestitionen zum Problem werden, bleibt für Investitionen in neue Anlagen, einen der wichtigsten Treiber für Konjunktur und Jobs, kaum Spielraum.

Dazu kommen die hohen Energiekosten in der Metallerzeugung und -verarbeitung. Strom und Gas sind noch immer deutlich teurer als vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. Energie sei um 54 Prozent teurer als 2021, beklagt der mit einem Produktionswert von knapp 50 Milliarden Euro größte Metallindustriefachverband, die Metalltechnische Industrie.

Die Energiekosten werden zwar vom Staat mit großzügigen Energiehilfen gedämpft. Aber es bleibt ein großer Kostenblock, der die Wettbewerbsfähigkeit der zu 80 Prozent vom Export abhängigen Branche auf den Weltmärkten senkt.

Entsprechend unter Druck sind die Margen in Maschinenbau und Metallverarbeitung. Denn deren Rohstoffkosten stiegen mit den Erzeugerpreisen von Stahl und Metallen. Anders als Energieerzeuger und Agrarindustrie, die laut Auswertung der Österreichischen Nationalbank zu den größten Profiteuren gestiegener Weltmarktpreise gehören, hatten die Metallverarbeiter einen Teil des Kostenauftriebs zu schlucken. Sie konnten von den gestiegenen Lohn-, Energie- und Rohstoffkosten nur einen Teil mit höheren Preisen an ihre Kunden weitergeben.

Balkengrafik mit der Inflationsrate und den jeweiligen KV-Abschlüssen der Metallindustrie seit 2017 
Metaller-Abschlüsse seit 2017

Alles nicht so schlimm, kontern die Gewerkschafter, denn bei den Gewinnausschüttungen habe es keinerlei Zurückhaltung gegeben. Sie vergessen dabei allerdings, dass dieses Bild verzerrt ist. Denn Jahresabschlüsse für 2022 liegen bisher nur von einer Minderheit der Metallerbetriebe vor. Und selbst dort zieht sich eine sinkende Umsatzrentabilität wie ein roter Faden durch. Die attestierte leichte Gewinnsteigerung im Vorjahr konzentrierte sich auf wenige Betriebe: Fast die Hälfte der von der Arbeiterkammer im Auftrag der Gewerkschaft untersuchten Unternehmen konnte ihre Gewinne nicht mehr steigern.

Die Industrie konnte es sich noch leisten, ihre Gewinnmargen zu senken, betonen Ökonomen, aber die Betonung liege auf "noch". Denn wie lang das noch so sein wird, bleibt angesichts der Rezession, in die Deutschland bereits geschlittert ist, fraglich. Die Auftragsbestände der gesamten Metallindustrie erhöhten sich 2022 um ein Fünftel auf 44,9 Milliarden Euro.

Noch liegt die neue Konjunkturprognose nicht vor. Aber in den ersten fünf Monaten 2023 flachte der Auftragseingang spürbar ab, in der Nichteisen-Metallindustrie (Aluminium) war er bereits negativ. Laut Blitzumfrage des Fachverbands Metalltechnische Industrie im August rechnet inzwischen jedes zweite Unternehmen mit einem Produktionsrückgang, jedes dritte mit einem operativen Verlust (Ebit). Kurzarbeit und Stellenabbau dürften trotz Fachkräftemangels nicht auf sich warten lassen, bei Leiharbeitskräften habe er bereits eingesetzt.

Stapeln die Unternehmen vor der Herbstlohnrunde besonders tief, oder ist die Lage wirklich ernst? Es sieht nicht gut aus, sagen Makroökonomen. Der Auftragseingang bremse sich spürbar ein, das Wachstum habe sich von vier Prozent auf minus zwei gedreht. Das lasse sich nicht schönreden, die gesamtwirtschaftliche Produktivität – die Messlatte der Gewerkschaft für den Produktivitätsfortschritt gemäß Benya-Formel – sei "unterirdisch". Jeder Abschluss, der die Inflationsrate der vergangenen zwölf Monate, die rollierende Inflation, von 9,6 Prozent übersteige, sei daher illusorisch. Denn die Lohnstückkosten in Österreich gehören bereits zu den höchsten in Europa.

2. Die Sicht der Gewerkschaften: Kein Grund für Verzicht

Aus Sicht der Gewerkschaft ist die Sache klar: Die Nettolöhne pro Kopf sind in Österreich infolge der hohen Inflation und der Tatsache, dass die Teuerung immer nur zeitversetzt ausgeglichen wird, 2021 und 2022 gesunken. Im vergangenen Jahr sogar um fast drei Prozent. Heuer dürften die Nettoreallöhne wieder steigen, vor allem weil die kalte Progression, also die schleichenden Steuererhöhungen, abgeschafft worden sind. Doch das Minus der vergangenen Jahre wird damit nicht kompensiert, zeigen Zahlen des Forschungsinstituts Wifo. Daher ist eine kräftige Lohnerhöhung aus Gewerkschaftssicht angebracht.

Und was ist mit der angeblichen Krise in der Industrie? Die Produktionsgewerkschaft Pro-Ge verweist auf eine eigene Analyse zur Entwicklung in der Metallindustrie. Demnach sei die Lage der Branche besser, als Arbeitgeber behaupten. Laut Gewerkschaft beobachtet man die Kennzahlen in 135 Kapitalgesellschaften aus der Branche. Die Gewerkschaft argumentiert etwa, dass die Aufträge an die Unternehmen 2022 um 19,3 Prozent zugelegt haben und auch in den ersten fünf Monaten des Wirtschaftsjahres 2023 weiter zulegen konnten. Eine Krise sehe anders aus.

Von einer Gewinnzurückhaltung gebe es auch keine Spur. Die Dividendenausschüttungen für 2022 seien nominell um sieben Prozent angestiegen. Diese Ausschüttungsbeschlüsse werden laut Pro-Ge meist im zweiten Quartal 2023 getroffen, die Unternehmen hätten also die verschlechterte Wirtschaftslage schon berücksichtigen können.

Zudem ist aus Sicht der Arbeitnehmer schon deshalb kein Grund für Lohnzurückhaltung angebracht, weil bisher niemand verzichtet hat. Die Unternehmen haben in einem ersten Schritt ihre Preise als Reaktion auf die gestiegenen Energiekosten erhöht. Vermieter haben Mieten ebenfalls raufgesetzt. Warum sollen die Beschäftigten als größte Gruppe mit Lohnzurückhaltung beginnen?

Auch volkswirtschaftlich sieht der ÖGB keinen Grund dazu, von der bewährten Benya-Formel abzuweichen, wonach sich das Lohnplus an der rollierenden Inflation der vergangenen zwölf Monate und der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung orientiert. Zwar wird in Diskussionen immer gern vor einer "Lohn-Preis-Spirale" gewarnt, bei der hohe Inflation zu höheren Lohnabschlüssen führt, was wiederum die Preise treibt. Tatsächlich gibt es kaum Belege dafür: Laut Analysen der Nationalbank und des Forschungsinstituts IHS bringt eine Lohnerhöhung um einen Euro später einen Preisanstieg um 30 bis 50 Cent. Höhere Löhne führen also zu höheren Preisen, können aber keine Spirale in Gang setzen, denn der Preisauftrieb schwächt sich ab.

Auf alternative Berechnungsmethoden umzusteigen ist für die Gewerkschaft auch wenig attraktiv. So kursiert seit Monaten die Idee, nur den inländischen Preisauftrieb als Basis für die Lohnverhandlungen herzunehmen. Die im Ausland eingekaufte Energie wird dabei rausgerechnet, weil das Geld für teuer gewordenen Sprit und Gas ins Ausland abfließt. Dieser sogenannte BIP-Deflator lag laut Zahlen der Statistik Austria im zweiten Quartal 2023 bei um die sieben Prozent. Das wäre unterhalb der Inflationsrate, ließe sich die Gewerkschaft darauf ein, würden die Reallöhne 2024 sinken.

Bei den Einkommensprognosen geht das Wifo übrigens davon aus, dass die Reallohnverluste erst 2024 überkompensiert werden. Die Nettolöhne sollen dann um 3,2 Prozent steigen. Diese Prognose basiert auf der Annahme, dass bei den Lohnrunden etwa bei der rollierenden Inflation abgeschlossen wird, sagt Wifo-Experte Benjamin Bittschi. Kurzum: dass es keine Lohnzurückhaltung gibt.

3. Wie ein Abschluss aussehen kann: Prämien statt Prozente

Der Stehsatz von der "schwierigsten Metallerlohnrunde" dürfte angesichts der hohen Inflation, die zeitverzögert die Löhne in die Höhe treibt, heuer zutreffen. So tief in ihre Positionen eingegraben waren Industrie und Gewerkschaft selten. Eine Herausforderung wird die Kommunikation eines Kompromisses, denn jede Kollektivvertragserhöhung unter der rollierenden Inflation von 9,6 Prozent würde für die Gewerkschaften Pro-Ge und GPA einen Gesichtsverlust bedeuten.

Opfer werden beide Seiten bringen müssen. Denn es geht im Kern darum, ob die Rechnung für die ins Ausland geflossenen Energiezahlungen die Industrie allein schultern muss. Das sei nicht zwangsläufig notwendig, sagt Wifo-Konjunkturexperte Marcus Scheiblecker, denn der Staat habe die Einkommen der Privathaushalte im Wege von Energie- und Antiteuerungsmaßnahmen gestützt. Ähnlich sehen das die Volkswirte in der Nationalbank, die Haushaltseinkommen seien dank Energiekosten- und Antiteuerungshilfen gestiegen. Der Schock komme von außen und sei herauszurechnen. Aber die Gewerkschaft lehnt die niedrigere Kerninflation als Messgröße brüsk ab, weil diese volatile Größen wie Energie- und Lebensmittelpreise ausklammert. Die Beschäftigten müssten beides bezahlen, Herausrechnen sei unfair.

In dieser schwierigen Situation einen Kompromiss zu finden ist die vornehmste Aufgabe der Sozialpartner. Sie könnten sich notfalls auf die Abgeltung nur eines Teiles der rollierenden Inflation einigen und den Rest in Form einer Einmalzahlung auszahlen, die heuer noch steuerfrei ausgezahlt werden kann (bis zu 3000 Euro). Das ist zwar nicht nachhaltig, wie die Gewerkschaft nicht müde wird zu betonen, aber es bleibt mehr Netto vom Brutto – und treibt die Lohnkosten nicht dauerhaft in vollem Umfang in die Höhe. Als Faustregel gilt: 1000 Euro Prämie entsprechen einem Lohn- und Gehaltsplus von 2,8 Prozent. Das Prämienmodell ist insbesondere bei den im Verhandlungsteam einflussreichen Voestalpine-Beschäftigten unbeliebt, denn sie haben ihre steuerfreie Prämie bereits in Form der Dividende bekommen.

Vorstellbar ist angesichts hoher Gewinne in der Metallindustrie auch die sogenannte Verteiloption. Dabei wird ein Teil der Ist-Lohnerhöhung innerbetrieblich verteilt, etwa an Leistungsträger.

Für Unternehmen mit Verlusten gab es in schlechten Jahren Erleichterungen: Wer ein negatives Betriebsergebnis (Ebit) vorweisen konnte, musste die Ist-Lohnerhöhung nicht voll umsetzen. Allerdings ist angesichts der hohen Inflationsrate und der hohen Überzahlungen in der Metallindustrie eine Spreizung zwischen Kollektivvertrags- und Ist-Löhnen höchst unwahrscheinlich.

Fix scheint, dass es keinen raschen Abschluss geben wird. Arbeitskampf nicht ausgeschlossen. Die Arbeitgeber haben es nicht eilig. (András Szigetvari, Luise Ungerboeck, 15.9.2023)