Korallen, Bernicot, Coral Gardeners
Titouan Bernicot, der Gründer von Coral Gardeners in Französisch-Polynesien, inspiziert eine "Korallenkinderstube". Solche Korallengärten locken ein breites Spektrum an Meereslebewesen an.
©Rolex/Tim McKenna

Korallenriffe gehören zu den ersten Opfern der menschengemachten Klimakatastrophe. Steigende Wassertemperaturen und die Versauerung der Meere führen an vielen Orten zu einer Korallenbleiche und einem darauffolgenden Absterben der Nesseltiere. Das Verschwinden dieser überaus artenreichen Ökosysteme hat weitreichende Folgen. Nicht nur die Tourismuswirtschaft leidet unter dem Wegbleiben der Taucher, die Fischerei muss Einbußen hinnehmen, und die schützende Funktion der Riffe für die dahinterliegenden Ufer geht verloren. Gerade Bewohner von Küstenorten und Inselnationen, deren Alltag vom Meer geprägt ist, spüren diese Auswirkungen.

Mittlerweile tauchen über den ganzen Globus verteilt Initiativen auf, die das Korallensterben nicht hinnehmen wollen und die kahlen Riffe in mühevoller Kleinarbeit restaurieren und neu besiedeln. Zu den erfolgreichsten Organisationen in diesem Bereich gehört Coral Gardeners, beheimatet auf den Pazifikinseln von Französisch-Polynesien. Hier hat sich eine Gruppe junger Taucher zusammengeschlossen, um von der Insel Moorea aus systematisch Riffe mit besonders widerstandsfähigen Korallen neu zu besiedeln. Die seit 2017 bestehende NGO ist in den letzten Jahren schnell gewachsen und hat sich professionelle Strukturen gegeben. Man nutzt daten- und wissenschaftsbasierte Herangehensweisen, setzt neue Technologien gezielt ein und hat sich beim Finanzierungskonzept einiges einfallen lassen.

Korallen, Meer, Coral Gardeners
Die Taucherinnen und Taucher von Coral Gardeners besiedeln Riffe mit besonders widerstandsfähigen Korallen: "Es ist, als würden wir der Natur Steroide verabreichen."
©Rolex/Tim McKenna

Korallenrestaurierung

"Seit unserer Gründung haben wir etwa 31.000 Korallen neu angesiedelt. Gerade jetzt sind wir aber inmitten einer 'Massen-Transplantation'. Bis Ende 2023 sollen 70.000 Neuansiedlungen dazukommen, sodass wir insgesamt 100.000 Korallen in Französisch-Polynesien und an weiteren globalen Riff-Standorten erreichen", erklärt Karine Toumazeau, die den Bereich Strategie und internationale Entwicklung bei Coral Gardeners leitet. Für die Zukunft hat die NGO große Pläne: "Die Wissenschaft zeigt, dass die Riffe auf der ganzen Welt leiden. Wir wollen die Hotspots identifizieren und mit der Korallenrestaurierung starten – entweder selbst oder mit lokalen Partnern. Auf diese Art soll Coral Gardeners zu einer globalen Bewegung werden, die mit Standardisierten wissenschaftlichen Methoden vorgeht", skizziert Toumazeau.

Die florierenden Aktivitäten gehen auf die Initiative von Titouan Bernicot zurück. Er wuchs auf Ahe und Moorea auf, seine Familie hatte eine Perlenzucht. Das Meer war für ihn von klein auf der bestimmende Lebensraum. Beim Surfen als Teenager wurde er erstmals auf die zunehmende Zahl der Korallen aufmerksam, die in grellem Weiß erschienen. Er recherchierte und erkannte, dass der Lebensraum vor seinen Augen zugrunde ging. Im Alter von 16 Jahren beschloss Bernicot, mit seinen Freunden etwas dagegen zu tun – was schließlich zur Gründung von Coral Gardeners führte, die er bis heute leitet.

Rückkehr der Fische

Die mangelnde einschlägige Ausbildung machte er mit Tatkraft wett. Er sprach mit Forschern, sammelte Korallenfragmente am Meeresboden, begann zu experimentieren und hatte erste Erfolge. Die Korallen erblühten aufs Neue, Fische und Krabben kamen wieder zurück. Mit dem Wachsen der Organisation kam die Professionalisierung. "Heute sind bei Coral Gardeners Meeresbiologen und PhD-Forschende dafür verantwortlich, eine Strategie für die Restauration der Korallen zu entwickeln", sagt Toumazeau.

Der Prozess sieht vor, erst gesunde Korallenkolonien zu identifizieren, die bereits in der Vergangenheit Bleichevents gut überstanden haben. Dort werden Fragmente gesammelt, die dann in eine "Kinderstube" kommen: Sie werden auf Seilen oder künstlichen Baumstrukturen unter Wasser platziert, wo sie zwölf bis 18 Monate unter guten Bedingungen stressfrei wachsen können und ein Vielfaches ihrer ursprünglichen Größe erreichen. Nach dieser Phase können entweder neue Fragmente entnommen oder der gesamte Bestand an seinen finalen Bestimmungsort – optimalerweise nicht weit von der "Kinderstube" entfernt – übersiedelt werden.

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Taiano Teiho verwendet Meereszement, um Korallenfragmente, die in der "Korallenkinderstube" gewachsen sind, am beschädigten Riff zu befestigen. Titouan Bernicot zeichnet die Details auf.
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Methode hat ihre Grenzen

Zumindest bis zu einem gewissen Grad sollen die neu etablierten Kolonien neuen Bleaching-Events standhalten. "Wir versuchen die Resilienz des Riffs zu erhöhen, indem wir nach Korallen suchen, die sich gut auf die höheren Wassertemperaturen einstellen können. Es ist, als würden wir der Natur Steroide verabreichen", vergleicht Toumazeau. "Aber natürlich ist diese Methode kein Allheilmittel. Wir werden keine Korallen finden, die 40 Grad aushalten." Für nächstes Jahr wird eine starke Ausprägung des globalen Wetterphänomens El Niño erwartet. Dann werde sich zeigen, ob die Strategie aufgeht. "Bisher halten sich die Kolonien sehr gut. Wir erwarten eine Überlebensrate von 90 Prozent der transplantierten Korallen", sagt Toumazeau.

Um die Restaurierung der Korallenbänke möglichst effizient durchführen zu können, greifen die Meeresschützer mittlerweile auf allerlei technische Gadgets zurück. 2020 kam Drew Gray an Bord der NGO, der einst der erste Techniker beim Autohersteller Tesla war, der für die Arbeit am Autopiloten eingestellt wurde. Bei Coral Gardeners hat er mit seinem Team etwa ein System entwickelt, das mittels Kamerasensoren und künstlicher Intelligenz die Gesundheit eines Korallenriffs automatisiert überwacht und die vorhandenen Fischspezies identifiziert – denn wenn die Fische zurückkommen, ist das ein Zeichen für ein gesundes Habitat.

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Eine Kamera nimmt den Korallengarten auf und sendet Bilder per Livestream. ReefOS heißt dieses von Coral Gardeners entwickelte System, das wertvolle Daten über den Fischbestand, die Artenvielfalt, das Korallenwachstum, die Korallenbedeckung sowie die Wassertemperatur sammelt.
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Finanzierungsmodelle

Um das alles finanzieren zu können, greift Coral Gardeners auf ein vielseitiges Finanzierungsmodell zurück. "Bestehende, auf Grants basierende Funding-Mechanismen fanden wir nicht zielführend. Wir wussten, wir müssen zu Unternehmern werden", sagt Toumazeau. "Also gründeten wir eine eigene Firma, deren Aufgabe es ist, Geld für den Meeresschutz zu lukrieren und dann der NGO zur Verfügung zu stellen. Wir sammeln Spenden und haben Partnerschaften mit Unternehmen, die uns fördern. Wir verkaufen Korallen-Patenschaften und T-Shirts. Gleichzeitig arbeiten wir dabei auch an unserer Aufgabe, möglichst viele Menschen für den Meeresschutz zu begeistern."

Mittlerweile arbeitet Coral Gardeners intensiv an der Internationalisierung. Als Erstes steht die pazifische Nachbarschaft im Fokus. "Wir sind mit Wissenschaftern und der lokalen Meeresschutz-Community von Fidschi bereits in Kontakt und arbeiten daran, mit ersten Operationen dort beginnen zu können", freut sich Toumazeau. (Alois Pumhösel, 29.9.2023)