The Super Models
Linda Evangelista, Christy Turlington, Naomi Campbell und Cindy Crawford sind die Protagonistinnen der Serie "The Super Models".
Linda Evangelista, Christy Turlington, Naomi Campbell and Cindy Crawford in The Super Models. Foto: Misan Harriman

Los geht alles am Set mit dem Fotografen Arthur Elgort, heute Anfang achtzig: Christy Turlington und Linda Evangelista, in ihren Fünfzigern, stehen im Studio Rücken an Rücken, haken sich ein, man will ein gemeinsames Elgort-Foto aus dem Jahr 1989 nachstellen. Gekicher – das Nachstellen klappt mehr oder weniger. Zwischen damals und heute liegen eben über drei Jahrzehnte, fast ihr halbes Leben.

Danach nehmen die Frauen in weißen Regiestühlen Platz – und erzählen, ungefähr vier Stunden lang. Mit der vierteiligen Doku "The Super Models" setzen sich Linda Evangelista, Christy Turlington, Naomi Campbell und Cindy Crawford ein Denkmal, keine Frage. "Warum sollten wir nicht etwas Kontrolle über unsere eigene Geschichte haben?", hat Campbell im Vorfeld der Ausstrahlung in der "Vogue" gefragt. Und ja, das stimmt schon. Meist waren es die dicken Bildbände der Fotografen, die von den Neunzigerjahren erzählten. Oder Bücher wie das des Journalisten Michael Gross: "Model – The Ugly Business of Beautiful Women". Nun also sprechen die Models selbst. Eine Kollegin hat bereits vor zwei Jahren gezeigt, wie das geht. Supermodel Claudia Schiffer kuratierte damals die Ausstellung Captivate! Modefotografie der 90er.

Deutungshohheit

Mit der Serie übernehmen die Frauen die Deutungshoheit über ihre Geschichten – und, nicht ganz unwichtig, auch deren Vermarktung. Die Supermodels der Neunziger erzählen in vier Kapiteln über ihre Herkunft, ihre Karrieren, über die Zeit der telefonbuchdicken Septemberausgaben der Modemagazine, der mächtigen Fotografen und Modelagenten, die – abgesehen von Ausnahmeerscheinungen wie Eileen Ford – meist männlich waren. Prominente Branchengrößen wie Edward Enninful, der scheidende Chef der britischen "Vogue", oder die Modejournalistinnen Robin Givhan und Suzy Menkes ordnen als Zeitzeuginnen ein.

Linda Evangelista, Cindy Crawford, Naomi Campbell und Christy Turlington nehmen in der Doku auf Regiestühlen Platz.
© Apple TV+

Was über "The Super Models" sonst noch zu sagen ist? Die US-Produktion erscheint aus einem Guss. Noch mehr, sie ist so glatt wie das aktuelle September-"Vogue"-Cover von Linda, Christy, Naomi und Cindy geworden. Ein Serien-Fast-Food der bekömmlichen Sorte - mit unterhaltsamem Material für alle. Für die Jungen, die die Neunziger Jahre lieben. Aber auch für die Älteren, die die schönen Frauen damals in "Vogue" und "Elle" bewunderten oder ihnen Calvin Klein-Parfums nachkauften: Es wird jede Menge Retro-Material aus den Familienalben der Models und den Archiven von MTV gereicht. In alten Aufnahmen betont Peter Lindbergh, er wolle Frauen nicht in Micky Mäuse verwandeln. Irgendjemand macht nochmal klar, dass es in jener prädigitalen Ära "kein Instagram und Facebook" gegeben habe. Das kann der Generation Z nicht oft genug gesagt werden.

Und ja, es menschelt, Naomi Campbell gesteht ihre Schwäche für Zigaretten und schwört, mit dem Rauchen aufzuhören. Ihr Sager zu den Wechseljahren ("fühle mich wie gerade in den Ofen gestiegen") wurde in den vergangenen Tagen von den Medien bereitwillig zitiert. Und ja, es wird durchaus auf die dunklen Seiten des Business eingegangen, allerdings wohldosiert. Es geht um Campbells frühe Rassismus-Erfahrungen und um Missbrauchsvorwürfe gegen Modelagenten wie Evangelistas Ex-Mann Gérald Marie. Linda Evangelista kommt überhaupt die dramatischste Rolle der vier Models zu: Sie zeigt sich auf dem Krankenbett, erzählt von ihren Brustkrebserkrankungen und ihrer missglückten "CoolSculpting"-Behandlung.

Kein Investigativreport

Wer allerdings auf neue Erkenntnisse oder möglicherweise Skandale aus ist, kann sich die Serie sparen. Hier ist kein vierköpfiges Investigativkommando unterwegs. Das mag zum einen daran liegen, dass Linda Evangelista, Christy Turlington, Naomi Campbell und Cindy Crawford in den vergangenen Jahren schon so manche Geschichte ausgeplaudert haben, meist verbunden mit einem glamourösen Titelbild auf der "Vogue": Naomi Campbells späte Mutterschaft, Linda Evangelistas verpfuschte Schönheits-OP, viel Pulver wurde bereits verschossen.

Letztendlich beweisen die vier mit dem Filmprojekt etwas ganz anderes: Das Marketing um "The Super Models" läuft wie geschmiert. Die Frauen sind momentan überall zu sehen: Christy Turlington eröffnete auf der New Yorker Modewoche die Ralph-Lauren-Show, Cindy Crawford wirbt derzeit für Handtaschen von MCM, Naomi Campbell für Hosenanzüge von Boss, Steven Meisel hat ein Fotobuch mit Linda Evangelista in limitierter Edition herausgebracht. Während der London Fashion Week traten Christy, Cindy, Linda und Naomi in schillernden Metallic-Kleidern auf. Frohe Botschaft an alle Models und Influencerinnen von heute: Auch mit Mitte 50 lassen sich noch Mode und Kosmetik verkaufen. (Anne Feldkamp, 20.9.2023)