Die Warnungen sind noch gar nicht richtig verhallt: Österreich baue zu viele Wohnungen, hieß es noch im Sommer 2021. Der Wohnbau habe sich von der Haushaltsentwicklung entkoppelt, auch das erste Corona-Jahr mit seinen Lockdowns sorgte nur für eine kleine Delle im heimischen Wohnbau. 2022 wurde dann mit rund 75.000 neuen Wohneinheiten sogar zum Rekordjahr. Doch mit den Folgen des Ukrainekrieges wie der hohen Inflation sowie dem rasanten Zinsanstieg geht der Bauboom nun ziemlich abrupt zu Ende.

Eine Baustelle, auf der gerade die Fußbodenheizung verlegt wird.
Aktuell wird vielerorts in Österreich noch gebaut, doch neue Projekte werden immer seltener in Angriff genommen.
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"Wohnbau steht so gut wie still"

Die Vereinigung Österreichischer Projektentwickler (VÖPE), also der großen gewerblichen Bauträger, schlug bereits vor wenigen Tagen Alarm. Heuer dürften nur noch Baugenehmigungen für rund 15.000 Wohneinheiten im mehrgeschoßigen Segment erteilt werden, 2020 waren es noch fast 45.000. Die hohen Zinsen, Baukosten und Grundstückspreise, viel Bürokratie sowie die mittlerweile berühmte KIM-Verordnung, die seit August 2022 die Kreditvergabe streng reglementiert, stellen die Branche vor große, fallweise existenzielle Schwierigkeiten. Jedenfalls werde der Wohnbau in den kommenden Jahren "so gut wie stillstehen", sagte VÖPE-Präsidiumssprecher Andreas Köttl, Chef des Entwicklers Value One, auf einer Pressekonferenz.

Ein Blick auf die Baubewilligungsstatistiken bestätigt den Abwärtstrend. 2022 wurden in ganz Österreich etwas weniger als 60.000 Wohneinheiten baubewilligt, wobei da die Zahlen der Wiener Dachausbauten fehlen. Grundsätzlich ist der Trend aber rückläufig, sagt Wohnbauforscher Wolfgang Amann, der seine eigene Statistik führt. Ab 2021 zeigen die Kurven für Fertigstellungen und Bewilligungen steil nach unten. "Es zeichnet sich ein scharfer Einbruch in die Richtung von nur noch 50.000 Einheiten ab."

Grafik: Fertiggestellte Wohnungen in Österreich, mit Bedarfs-Schätzung ab 2023
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Bedarf von 51.000 neuen Wohneinheiten, ...

Amann hat jüngst auf den "Tagen des Eigenheims" in St. Wolfgang, einer Tagung der ÖVP-nahen Gemeinnützigen, aber auch eine neue Bedarfsschätzung abgeliefert. Und diese besagt: Eigentlich sollten in den nächsten zehn Jahren jährlich etwa 51.000 neue Wohneinheiten fertiggestellt werden. Bei den Einfamilienhäusern wird der Bedarf seiner Ansicht nach ein wenig schrumpfen, nämlich auf etwa 8000 Stück. Rund 43.000 Wohneinheiten braucht es dann in neuen sowie in bestehenden Gebäuden.

Und eben gerade weil der gewerbliche Sektor so arg in die Bredouille geraten ist, sollte der Neubau im geförderten Bereich nun "keinesfalls nachlassen", sagt Amann. "Denn das System der Gemeinnützigen dient auch als Schock-Absorber." Das habe sich zuletzt kurz nach der Finanzkrise 2008/09 gezeigt, als der gemeinnützige Wohnbau sein Niveau zumindest halten konnte.

Doch nun geht es auch im geförderten Neubau, sowohl im Eigenheim- als auch im großvolumigen Segment, im Wesentlichen schon seit zehn Jahren bergab; die Ausgaben für die Wohnbauförderung in den Ländern und damit auch die Förderzusicherungen für neue Sozialwohnungen sind rückläufig.

... ein Drittel sollten Sozialwohnungen sein

17.500 neue Wohneinheiten jährlich, und damit etwa ein Drittel von Amanns Bedarfsschätzung, sollten Sozialwohnungen sein, sagt Michael Gehbauer, Geschäftsführer des gemeinnützigen Bauträgers WBV-GPA und Obmann des Vereins für Wohnbauförderung, dem Zusammenschluss der SPÖ-nahen Genossenschaften. Im Jahr 2022 wurden 16.100 Wohneinheiten von den gemeinnützigen Bauträgern fertiggestellt, und für die nächsten Jahre ist auch hier ein starker Rückgang zu erwarten – wenn nicht noch von der Politik gegengelenkt wird. Als "Sofortmaßnahme" fordert Gehbauer eine "zweckgebundene Wohnbaumilliarde" aus dem Bundesbudget, außerdem Haftungsübernahmen des Bundes für Kapitalmarktdarlehen sowie die Wiedereinführung der Zweckwidmung der Wohnbaufördergelder (siehe auch unten). Und dass den Gemeinnützigen im Zuge des geplanten Mietendeckels der Regierung rund 160 Millionen Euro pro Jahr fehlen dürften, will man naturgemäß auch nicht so einfach hinnehmen. Ein Sonderfonds in gleicher Höhe für ökologische Maßnahmen wird verlangt.

Gehbauer ist außerdem dafür, dass die Wohnbauförderung nur noch den gemeinnützigen Bauträgern zugutekommen soll. Diese Forderung untermauerte er auch in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit SPÖ-Chef Andreas Babler vor wenigen Tagen. Babler wirkte leicht überrumpelt, als er von Journalisten daraufhin gefragt wurde, ob er auch dafür sei, dass es für Häuslbauer keine Wohnbauförderung mehr geben sollte. Der SPÖ-Chef druckste ein wenig herum und sprach schließlich von einer "Priorisierung" der Gemeinnützigen.

Forderung nach Abschaffung der KIM-VO

Christian Struber, Chef der Salzburg Wohnbau und Bundesobmann der Arge Eigenheim, ist kürzlich ebenfalls mit Politikerinnen und Politiker seiner Couleur in St. Wolfgang zusammengetroffen, nämlich mit zahlreichen ÖVP-Wohnbausprechern aus Bund und Ländern – diskutiert wurde dort aber hinter verschlossenen Türen. Worüber, ist klar: Auch Struber wünscht sich schon länger so einiges, etwa die Abschaffung der KIM-VO, denn auch die Gemeinnützigen tun sich schwer, Wohnungen zu verkaufen. Und schon vor Wochen brachte er zwei neue "Fördertöpfe" innerhalb der Wohnbauförderung ins Spiel, für Klimaschutz und für Menschen mit geringen Einkommen.

Was das Bauen betrifft, sei es in seinem Heimatbundesland Salzburg nicht mehr so schlimm wie zuvor, sagt Struber dem STANDARD. "Das Baupreisthema stabilisiert sich. Das Problem liegt eher darin, baureife Projekte zu bekommen." Dass Bauverfahren viel zu lang dauern, kritisierte auch die VÖPE kürzlich auf ihrer Pressekonferenz. Die wären allerdings Sache der Gemeinden.

In mehreren Ländern wird über Reformen der Wohnbaufördersysteme verhandelt, diverse Zusatzbudgets werden geschnürt. In Niederösterreich soll die ÖVP bereits eine Lösung gefunden haben, muss sie aber noch mit dem Koalitionspartner abstimmen. Auch in Wien soll es demnächst zu einer Novelle kommen.

Die Armutskonferenz brachte kürzlich eine alte Idee ins Spiel: Eine Wohnbau-Investitionsbank (WBI) soll Gelder der Europäischen Investitionsbank abholen und günstig über Darlehen an Bauträger weiterreichen. Die gab es vor ein paar Jahren schon – wurde aber politisch abgedreht. Vielleicht war das ja doch etwas voreilig. (Martin Putschögl, 19.9.2023)