Marlene Kelnreiter auf der Alm.
Marlene Kelnreiter auf der Alm.
Löwenzahn-Verlag / Lia Eliás

Die Wienerin Marlene Kelnreiter verbringt seit einigen Jahren die Sommer auf der Alm und stellt dort Käse her. Den Rest des Jahres wohnt sie in Wien und gibt in Workshops und in einem neuen Buch mit dem Titel "Käseglück" ihr Wissen übers Käsemachen weiter. Im Interview erzählt sie über die Unterschiede zwischen den beiden Lebenswelten, die Verwirklichung von Lebensträumen und warum sie ihren Bürojob aufgab. Das Gespräch fand kurz nach ihrer Rückkehr von der Alm im September statt.

STANDARD: Sie sind gerade nach drei Monaten auf der Alm in die Großstadt zurückgekehrt, wie geht es Ihnen damit?

Kelnreiter: Ich bin ja mittlerweile beide Lebenswelten gewöhnt, also sowohl die Alm als auch Wien. Aber nach der langen Zeit in den Bergen fühlt es sich am Anfang in der Stadt ein wenig so an, als hätte ich gerade geträumt. Und den Verkehrslärm empfinde ich nach jedem Sommer schlimmer, die Ruhe fehlt mir schon.

STANDARD: Wie kommt man überhaupt auf die Idee, vorübergehend auf einer Alm zu leben? Sind Sie auf einem Bauernhof aufgewachsen?

Kelnreiter: Nein, gar nicht, ich komme zwar aus einem kleinen Ort in der Nähe von Steyr, aber ich hatte gar keinen speziellen Bezug zu Tieren, und wir waren auch nicht so häufig wandern. Aber ich kannte diese Bilder, diese Almlandschaften, die rauen, leeren Gebirgszüge und Almmatten berührten mich. Daher hat es mir auch in Island so gut gefallen. Dort verbrachte ich ein Erasmussemester und schrieb meine Diplomarbeit über die Figur des Außenseiters. Dann arbeitete ich beim Reykjavík-Filmfestival und in einer Buchhandlung. In Wien machte ich unter anderem die PR für "An impossible project", danach arbeitete ich für den Dogenhof. Aber über die Jahre bereitete mir die Arbeit drinnen im Büro am Computer wirklich körperliche Pein, besonders bei wunderschönem Wetter.

STANDARD: Und warum gerade die Alm?

Kelnreiter: Kurz vor meinem dreißigsten Geburtstag vor neun Jahren dachte ich: "Entweder du fängst jetzt an, Träume zu verwirklichen, oder du träumst dein ganzes Leben nur dahin." So kam es dazu, dass ich das Arbeiten auf der Alm für sechs Wochen ausprobierte und bei einem Senner mithalf, gegen Kost und Logis. Der Moment, in dem ich das erste Mal beim Käseschmieren im Keller war und einen Laib nach dem anderen behandelte, war einfach großartig. Ich empfand es im Vergleich zu Marketing und Social-Media-Arbeit als extrem befriedigend, so ein Lebensmittel aus einem super Rohstoff zu produzieren. Ich erkannte, dass ich in der Natur und mit Sachen arbeiten möchte, und dachte, dass ich nie wieder Mails mehr schreiben möchte. Aber das ging natürlich nicht so schnell, denn wie arrangiert man sich so ein Leben, wenn man angestellt ist, und wie finanziert man das?

Marlene Kelnreiter beim Aufbringen von Salzlake.
Marlene Kelnreiter beim Aufbringen von Salzlake.
Löwenzahn-Verlag / Lia Eliás

STANDARD: Wie kann man sich so einen vorübergehenden Ausstieg überhaupt organisieren, drei Monate Urlaub sind ja kaum möglich?

Kelnreiter: Nun, vor vier Jahren hatte ich einen Partner, der auch Lust hatte, drei Monate auf einer Alm zu verbringen, und ich kündigte meinen Job. Zu zweit wagt man so einen Schritt wohl leichter, und er hatte davor sogar schon einen Sennerkurs gemacht, und ich lernte damals viel über die Verarbeitung von Milch. Die Beziehung war danach allerdings zu Ende, so ein Almsommer ist jedenfalls eine Prüfung für ein Paar.

Nach der Rückkehr war alles anders, ich machte mich selbstständig mit PR und Kommunikationsarbeit, versuchte es dazwischen wieder als Angestellte, aber glücklich war ich damit nicht. Ich dachte, es muss einfach möglich sein, dass ich den Sommer in den Bergen arbeiten kann. Mittlerweile habe ich bereits vier Sommer auf Schweizer Almen verbracht, und es hat sich nun so entwickelt, dass der Käse ist auch im Rest des Jahres mehr und mehr in der Vordergrund gerückt ist. Ich halte Workshops, verkaufe ein bisschen was von dem Käse, den ich im Sommer gemacht habe, und im vergangenen Winter habe ich eben das Käsebuch geschrieben.

STANDARD: Warum arbeiten Sie in der Schweiz und nicht in Österreich, und wie organisiert man sich so einen Almsommer?

Kelnreiter: Das Arbeiten in der Schweiz hat ganz pragmatische, finanzielle Gründe, man verdient dort einfach besser, sodass man sich den Rest des Jahres zumindest teilweise finanzieren kann. Dort sind wir die Gastarbeiter aus dem Osten, wie hierzulande im Tourismus Menschen aus Ungarn oder der Slowakei. Für die Schweizer ist die Arbeit nicht gut genug bezahlt. Bevor man sich für einen Ort entscheidet, recherchiert man, telefoniert und fährt dann am besten hin und schaut, wie es dort ist. Dann kann man nur hoffen, dass man das Glück hat, dass es dann tatsächlich so wird, wie man es beim Kennenlernen empfunden hat.

STANDARD: Und die Tiere, deren Milch Sie dann verarbeiten, stammen von verschiedenen Bauern, die sie dann von Ihnen hüten lassen?

Kelnreiter: Letztes Jahr war ich auf einer Kuhalp mit Kühen von nur einem Bauern, das war eher klein und überschaubar. In diesem Jahr waren es insgesamt mehr als 300 Ziegen von 38 Bauern. Wobei auch welche von Leuten dabei waren, die hauptberuflich bei Versicherungen arbeiten und als Hobby drei Ziegen im Garten stehen haben, während andere Bauern 40, 50 Ziegen halten. Es ist insgesamt eine bunte Mischung, sowohl was die Tiere als auch was die Menschen angeht.

Im heurigen Sommer wurden Ziegen gehütet.
Foto: (c) Lia Eliás

STANDARD: Wird man manchmal dumm angeredet auf der Alm?

Kelnreiter: Und wie, also man ist sowieso Exotin auf so einem Schweizer Berghügel. Zuerst als Ausländerin und wenn man noch erwähnt, dass man aus Wien kommt, dann reagiert das Gegenüber laut mit einem überraschten "Aus Wiiiiien!", das kommt sowohl von Ansässigen als auch Touristen. Insgesamt ist es sowieso ein ganz schöner Clash verschiedener Lebenswelten und -einstellungen dort. Die Älplerinnen, die ich bis jetzt kennengelernt habe, sind so wie ich eher urban, kosmopolitisch, viel am Reisen und der Biosparte anhänglich. Im Gegensatz dazu trifft man dann auf alteingesessene Bäuerinnen und Bauern, die das alles nicht leben und verstehen oder auch nicht gut finden. Man beäugt sich dann immer so ein bisschen mit den jeweiligen Eigenarten. Aber sie brauchen uns im Sommer zum Hüten und Käsen und wir sie.

STANDARD: Wie geht es mit der Einsamkeit?

Kelnreiter: Bis jetzt war ich nie ganz allein, sondern immer in einem Team, manchmal würde ich sogar gerne mehr allein sein. Heuer waren da beispielsweise auch zwei Hirtinnen und ein Hirt, die mit den 330 Ziegen auf den Berg rauf gingen. Man lebt wie in einer WG mit den anderen Leuten. Aber es ist schon auch immer ein Ereignis, wenn man mal runter ins Dorf in einen Supermarkt kommt in dieser Zeit.

STANDARD: Die Arbeit auf der Alm ist ja auch körperlich anstrengend, erst recht wenn man das nicht gewöhnt ist, nehme ich an.

Videoreportage: Im Mai beginnt die Almsaison im Bregenzerwald. Aber immer weniger junge Menschen wollen als Senner oder Hirten arbeiten – das Problem spitzt sich zu. Steht die Almwirtschaft vor dem Aus?
DER STANDARD

Kelnreiter: Oh ja, zum Glück ist mein Körper noch so jung, dass ich mir das wieder schnell antrainiere. Aber aktuell, nach dem Sommer, merke ich schon eine große Müdigkeit und Erschöpfung, die sich angesammelt hat. Es kommt einem so vor, als ob man ein halbes Jahr dort verbringt, nicht nur ein viertel. Denn die Zeit ist sehr intensiv und man arbeitet ja wirklich durch, ohne freie Tage, kann nie loslassen. Am Anfang ist alles aufregend, man muss sich erst einfinden in die Arbeitsabläufe, die Tiere, die Leute. Nach drei bis vier Wochen kommt man in so einen Flow und man denkt an nichts anderes und lebt völlig im Moment. Gegen Ende zu wird es dann ein bisschen zäh und man freut sich auch wieder auf den Wechsel und das Leben in der Stadt.

STANDARD: In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie man die unterschiedlichsten Käsesorten auch daheim herstellen kann, und haben das ja auch alles selbst gemacht. Wie funktioniert das in der Stadt?

Kelnreiter: Eine Dachgeschoßwohnung ohne Keller ist tatsächlich ein ungünstiger Ort, um Käse zu erzeugen. Während der Produktionszeit war mein Schlafzimmer voller Styroporboxen, in denen der Käse reifte. Die Deckel waren wegen der nötigen Sauerstoffversorgung nicht ganz geschlossen und in den Boxen waren zusätzlich Kühlakkus, die ich täglich tauschte. Damit wurde eine Temperatur von 14 bis 15 Grad erreicht und auch eine fast ideale Luftfeuchtigkeit, die durchs Auftauen der Akkus entstand. Im Prinzip hatte ich monatelang das Gefühl, ich füttere Tamagochis, die nicht sterben dürfen.

Auf der Alm gab es Melkmaschinen, bei einem Aufenthalt auf Teneriffa lernte Kelnreiter aber auch händisch melken.
Foto: (c) Lia Eliás

STANDARD: Und der Geruch?

Kelnreiter: Der ist mir nicht aufgefallen, aber man stumpft sicher ab, das merke ich auch auf der Alm, dass man über die Zeit unempfindlicher wird.

STANDARD: Wo soll es im nächsten Jahr hingehen?

Kelnreiter: Das ist auch eine finanzielle Frage. Ich würde wahnsinnig gern nach Italien, Frankreich oder Irland gehen und dort eine andere Käsekultur kennenlernen, denn jetzt waren es vier Sommer in der Schweiz. Vielleicht mache ich es aber gesplittet so wie im heurigen Jahr, als ich im Frühling nur einige Wochen auf Teneriffa auf einer Ziegenfinca war, dort lernte ich auch, händisch zu melken.

STANDARD: Gibt es langfristige Perspektiven?

Kelnreiter: Ich plane derzeit eigentlich nur mehr von Quartal zu Quartal, da sich in der Vergangenheit Dinge ergeben haben, von denen ich nicht zu träumen wagte. Das betrifft sowohl das Buchprojekt, das mir vor zwei Jahren vom Löwenzahn-Verlag angeboten wurde, als sie auf meinen Instagram-Account aufmerksam wurden. Und dann gibt es die Workshops. Die Idee hatte Alexandra Liberda von Augora Fermente, die ja viele Kurse zu Fermentation anbietet, aber Käse hatte sie noch nicht im Programm.

Natürlich habe ich Visionen, eine davon ist, selbst eine Alm zu pachten und dort womöglich anderen den Ausstieg auf Zeit inklusive Käsemachen zu ermöglichen. Im Winter möchte ich mich einem neuen Buchprojekt widmen, das sich unter anderem mit den norddeutschen Milchmädchen beschäftigt, denn das Schreiben mochte ich schon immer. (Petra Eder, 23.10.2023)

Das Buchcover von
Marlene Kelnreiter, "Käseglück", € 29,90, Löwenzahn-Verlag.
Löwenzahn Verlag

Geschichten vom Almleben und ihr geballtes Käsewissen hat Marlene Kelnreiter in ihr Buch gepackt, die 40 Käserezepte sind für daheim mit einfachem Zubehör geeignet. Zum Einstieg empfiehlt sie Simples wie Joghurt oder Paneer, Fortgeschrittene können sich an den Blauschimmelkäse (s. u.) wagen.

Blauschimmelkäse – Ein Rezept aus dem Buch

Der Schimmelpilz, der für die geschmackvolle Marmorierung aus bläulich-grünlichen Adern verantwortlich ist, heißt Penicillium roqueforti. Ganz ursprünglich wurde er auf Brotlaiben in den Felsenkellern von Roquefort gezüchtet. Versetzt man die Milch mit seinen Sporen, gibt der Pilz während der Käsereifung verschiedene Methylketone in den Käse ab, wodurch das charakteristische Aroma entsteht. Damit sich der Pilz im Käse entfalten kann, braucht er allerdings Sauerstoff – weswegen der Käse "pikiert" wird, sprich: Mit einer Metallnadel werden mehrere Luftkanäle in ihn hineingestochen. Entlang dieser Kanäle kann das Penicillium roqueforti dann fröhlich vor sich hin blühen – und das erklärt auch, warum Gorgonzola und Roquefort von solch blauen Adern durchzogen sind.

Zutaten für circa 200–300 g Blauschimmelkäse

2 l Milch
40 ml Schlagobers
40 ml Buttermilch oder anderer Säurewecker nach Wahl
1 daumengroßes Stück eines Blauschimmelkäses
oder 1 Messerspitze gefriergetrocknete Blauschimmelkulturen
4 Tropfen Lab

Zusätzliche Ausstattung

Kuchen- oder Stricknadel

Zubereitungszeit

circa 50 Stunden

Reifezeit

1–2 Monate

Zubereitung

Wärmen, Säuren und Impfen: Ein Stück Blauschimmelkäse in etwas kaltes Wasser zerbröseln und darin 5 Minuten lang ziehen lassen, ab und zu umrühren. Die Milch mit dem Obers verrühren, auf 33 °C erwärmen und die Buttermilch unterrühren. Dann noch mit der Blauschimmelkultur impfen, indem entweder das Wasser-Käse-Gemisch oder die gefriergetrocknete Pilzkultur untergemischt wird. Ab jetzt bis zu 1 Stunde säuern lassen.

Einlaben: Sichergehen, dass das Gemisch noch circa 32 °C warm ist. Das Lab in etwas kaltem Wasser auflösen und in die gesäuerte Milch einrühren. Circa 1 Stunde dicklegen lassen.

Schneiden: Nach positiver Festigkeitsprobe den Bruch in circa 2,5 cm große Würfel schneiden. Dann den Bruch circa 5 Minuten lang setzen und nachdicken lassen.

Ausführen: Den Bruch in den nächsten 40–60 Minuten alle 5–10 Minuten vorsichtig umrühren, die Temperatur dabei konstant auf 33 °C halten.

Der fertige Blauschimmelkäse.
Der fertige Blauschimmelkäse.
Löwenzahn-Verlag / Lia Eliás

Abfüllen und Wenden: Die Bruchkörner im Topf 5 Minuten lang absetzen lassen, dann die Molke abgießen und auffangen. Die Bruchmasse mit einem Schöpflöffel in eine Käseform heben und in den nächsten 24 Stunden bei Raumtemperatur abtropfen lassen, den Käse dabei ab und zu insgesamt 3- bis 5-mal wenden.

Salzen und Trocknen: Den Käse aus der Form nehmen, an den Oberflächen mit Salz einreiben und nochmals 24 Stunden lang bei Raumtemperatur trocknen lassen.

Reifen: "Bevor du den Käse in eine Reifekammer verfrachtest, durchbohre ihn mit einer abgekochten Metallnadel von allen Seiten mehrmals tiefgehend, um Luftkanäle für das Schimmelwachstum im Inneren zu schaffen. Drehe den Käse täglich um und achte darauf, dass er trocken liegt. Etwaiges Fremdschimmelwachstum an der Oberfläche mit Salzlake abwischen, ebenso das Blauschimmelwachstum in Grenzen halten. Sobald blauer Oberflächenschimmel sichtbar ist, das Durchbohren des Käses mit einer Metallnadel wiederholen, um weitere Luftkanäle zu schaffen. Nach circa 14 Tagen kann der Käse in ein Käsepapier oder in Aluminiumfolie eingewickelt und für 1–2 Monate im Kühlschrank fertiggereift werden. Sollte sich währenddessen an der Oberfläche Blauschimmel oder Schleim ansetzen, diesen immer wieder mit einer leichten Salzlake abwischen." (Rezept aus "Käseglück" von Marlene Kelnreiter, Löwenzahn-Verlag 2023)