Schwerbewaffnete Polizeikräfte nach dem Terroranschlag vom 2. November 2020 in Wien.
Die Exekutive traf den Jihadisten vergangene Woche Montag an seiner Wohnadresse nicht an. Erst tags darauf gelang die Festnahme.
AFP

Am Montag vergangener Woche standen Polizisten und Staatsschützer eigentlich bereit. Sie wollten nach einem Hinweis eilig einen 16-jährigen Jihadisten festnehmen. Nur: An seiner Wohnadresse trafen die Sicherheitsbeamten den Jugendlichen mit türkischen Wurzeln nicht mehr an. Er war nämlich bereits mit einem Kampfmesser bewaffnet Richtung Wiener Hauptbahnhof losgezogen, um mutmaßlich wahllos Passantinnen und Passanten zu erstechen. Seinen Anschlag brach er in letzter Sekunde aber ab. DER STANDARD berichtete. Der Verdächtige kam nach seinem Rückzieher am Bahnhof auch nicht mehr nach Hause.

Er übernachtete in einer Moschee. Was bisher unbekannt war: Der Bursche soll sich auch noch am Dienstag dort aufgehalten und auch gebetet haben, ehe er auf offener Straße festgenommen wurde. Das Messer mit längerer Klinge, das er sich erst tags zuvor besorgt haben soll, trug er da noch bei sich. Offenbar dürfte es sich um eine Moschee im 21. Wiener Gemeindebezirk gehandelt haben. Eine Anfrage des STANDARD dazu ließ das besagte Gebetshaus bisher unbeantwortet.

Seit vergangener Woche befindet sich der Verdächtige in U-Haft. In seiner Polizeieinvernahme machte der Jugendliche kein Hehl aus seinen Anschlagsplänen. Er wollte wohl mit einem feuerwerkskörperähnlichen Kracher für Unsicherheit in einer größeren Menschenmenge auf dem Bahnhof sorgen, um dann mit dem Messer zuzustechen. Diese Recherchen des STANDARD bestätigte die zuständige Staatsanwaltschaft Wien.

Laut STANDARD-Informationen soll der Jihadist in der Einvernahme auch seine Abneigung gegenüber Christen, Polizisten und Homosexuellen zum Ausdruck gebracht haben. Das will eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft zwar weder bestätigen noch dementieren. Die Justizbehörde stellt aber klar: "Er ist nicht dort hingefahren, um gezielt gegen Polizisten vorzugehen, sondern weil dort viele Menschen sind." Seinen eigenen Tod hätte er dabei in Kauf genommen, sagte der Jihadist aus. Der 16-Jährige soll das bewusste Ziel gehabt haben, von der Polizei getötet zu werden und für seine Tat ins "Paradies" zu kommen.

Seit Juli auf dem Radar

Auf den Verdächtigen wurden die heimischen Staatsschützer erst durch einen Hinweis von einem anderen Dienst aufmerksam. Der 16-Jährige war bisher unbescholten und kein bekannter Akteur der Jihadistenszene in Österreich. In ein Netzwerk soll er nicht eingebunden gewesen sein. Angeblich steht er aber seit Juli auf dem Radar ausländischer Ermittler. Er dürfte in einem einschlägigen Telegram-Kanal aktiv gewesen sein, in dem auch Anleitungen für Bomben und Sprengstoff kursiert sein sollen. In diesem Chat habe er dann auch ein Bekennerfoto samt eindeutiger Anschlagsankündigung gepostet, heißt es aus Sicherheitskreisen. Auf dem Foto ist der Jihadist mit Messer und in Tarnkleidung zu sehen, den Finger hält er zum IS-Gruß ausgestreckt.

Exakt dieses Foto bekam der heimische Staatsschutz schließlich zugespielt. Die eilige Suche nach dem Verdächtigen begann. Dass der Jugendliche einen Rückzieher machte, wird in Sicherheitskreisen als enormer Glücksfall gesehen. Ohne den Tipp aus dem Ausland wäre der Staatsschutz blind gewesen, ist zu hören. Der oberste Staatsschützer Österreichs, Omar Haijawi-Pirchner, fordert seit geraumer Zeit für Fälle wie diese einen Staatstrojaner für anonyme Messengerdienste. (Jan Michael Marchart, 20.9.2023)