Bergkarabach
Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach bleibt ungelöst.
AP/Hayk Manukyan

Feuerpause in Bergkarabach. Die dort stationierte russische Schutztruppe hatte sie am Mittwoch vereinbart. Ab 13 Uhr schwiegen die Waffen. Doch der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region ist damit nicht gelöst. Und der Waffenstillstand ist ein brüchiger. Denn Aserbaidschan stellt Bedingungen, die fast einer Kapitulation gleichkommen. Die Armenier in Bergkarabach müssten ihre Waffen abgeben. Und sie müssten Gespräche über die Integration der mehrheitlich von Armeniern bewohnten Region in das verfeindete Nachbarland Aserbaidschan akzeptieren. Sprich: Die Menschen in Bergkarabach könnten bleiben, wären dann aber Aserbaidschaner.

Für die meisten Armenier ist das nicht akzeptabel. In der Hauptstadt Eriwan sind sie auf die Straße gegangen, gegen die Schutzmacht Russland, gegen ihren eigenen Präsidenten. Sie fühlen sich im Stich gelassen von Russland und vom Westen sowieso.

Und sie haben recht. Formal gehört Bergkarabach aus UN-Sicht zu Aserbaidschan, die Region hat aber 1991 seine Unabhängigkeit von der Regierung in Baku erklärt. 2020 eskalierte der Konflikt in einen Krieg, der nach sechs Wochen mit einem von Russland vermittelten Waffenstillstandsabkommen endete. Aserbaidschan hatte zuvor weite Teile der Region erobert. Nun will man ganz Bergkarabach. Russland, Armeniens Schutzmacht, lässt Aserbaidschan gewähren.

Das Leid der Menschen bleibt

Aserbaidschan wird den Krieg fortsetzen, sofern die Armenier in Bergkarabach die von Baku diktierten Bedingungen nicht akzeptieren. Dort hatte man zu Recht kalkuliert, dass sich Russland nicht allzu stark engagieren wird. Einerseits ist Russland militärisch in der Ukraine stark gebunden. Andererseits ist Aserbaidschan für Russlands Handel wichtig. Und mit der Türkei, der Schutzmacht Aserbaidschans, will man es sich auch nicht verscherzen. Für Russland ist die Türkei ein zentraler Partner, das Land trägt die Sanktionen des Westens im Ukrainekrieg nicht mit, viele sanktionierte Waren kommen über die Türkei ins Land. Das soll so weitergehen.

Und der werteorientierte Westen? Warme Worte und Verurteilungen gab es bereits. Aus Aserbaidschan wird allerdings auch Gas in die EU geliefert. Hinzu kommt: Im Unterschied zur Ukraine ist Armenien geostrategisch und auch wirtschaftlich uninteressant. Allzu viel unternehmen wird man also nicht.

Auf der Strecke bleiben, wie so oft, die Menschen. In Bergkarabach bedeutet der Krieg Angst. Hunger kennen sie dort schon seit Monaten. Das Leid der Menschen in Bergkarabach wird bleiben und sehr wahrscheinlich größer werden. Schon jetzt fehlen Nahrungsmittel und Medikamente. Die Schlangen vor den Geschäften werden immer länger. Und Menschenrechtler vor Ort berichten von den ersten Hungertoten. Ein Satz eines Einwohners von Stepanakert, der Hauptstadt von Bergkarabach, bleibt hängen: Es gibt buchstäblich einen Mangel an allem.

Was also tun? Waffen an Armenien liefern? Nein. Gefragt ist jetzt echte, ehrliche Diplomatie. Warum eigentlich keine Autonomie für Bergkarabach, etwa für die nächsten 15 Jahre? Unter dem Schutz von UN-Blauhelmen. Und dann ein echtes Referendum unter internationaler Kontrolle. Versuchen könnte man es. Denn das Selbstbestimmungsrecht der Völker gilt. Das Selbstbestimmungsrecht der Menschen allerdings auch. (Jo Angerer, 20.9.2023)