Viktor Orban
Unter Premier Viktor Orbán ist Ungarn zu einer kleptomanischen Autokratie geworden.
REUTERS/BERNADETT SZABO

In den 80er- und frühen 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war ich ziemlich oft in den Ländern des sogenannten "Ostblocks". Es waren intensive, äußerst informative Reisen mit Erhard Busek, der als Einziger in der ÖVP erkannt hatte, dass der Kommunismus nicht unbesiegbar war. Mit ihm trafen wir Heroen des Widerstands wie Lech Wałęsa und katholische Intellektuelle in Polen, Oppositionelle in Ungarn, serbische Dissidenten in Belgrad, slowenische Unabhängigkeitspolitiker aller Richtungen in Laibach. Mit Karl Schwarzenberg hatten wir Begegnungen mit Václav Havel und einer ganzen Reihe von tschechischen und polnischen Oppositionellen. Bei offiziellen Besuchen mit österreichischen Politikern oder Wirtschaftsdelegationen lernten wir die Wirklichkeit der Sowjetunion kennen. Wir bekamen eine Ahnung, auf welch schwachen (ökonomischen und geistigen) Fundamenten all diese Regime standen.

Der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums wenig später war atemberaubend. Umso ernüchternder ist es heute, dass eine ganze Reihe von osteuropäischen Staaten, die damals ihre Freiheit bekamen, in autoritäre, antidemokratische Systeme abdriftet, diesmal in einen rechtsextremen Nationalpopulismus. Was ist passiert? Was kommt? Der große Eindruck war, dass praktisch alle in Ost und Südosteuropa "nach Europa" wollten. Für die meisten bedeutete das, den Wohlstand Westeuropas zu erreichen. Für viele bedeutete das auch "europäische Werte": Demokratie, Rechtsstaat, Pluralismus, Abkehr vom Nationalismus.

Düstere Entwicklung

Die Sowjetunion – heute Russland – war ein Sonderfall. "Ordnung" war wichtiger als Freiheit. Inzwischen haben die osteuropäischen Länder, von denen überhaupt der Zusammenbruch des "Ostblocks" ausging, zum Teil eine düstere Entwicklung genommen. Das Wohlstandsversprechen wurde erfüllt, aber die Menschen wenden sich trotzdem autoritären, nationalistischen Parteien zu. Polen, Ungarn waren Vorreiter der Öffnung und leiteten den Zerfall des KP-Systems ein. Heute ist Ungarn eine kleptokratische Autokratie unter Viktor Orbán und ein Maulwurf Putins in der EU. In Polen regiert eine reaktionäre Rechtsregierung, die versucht, bürgerliche Freiheiten zu beseitigen, und trotzdem nach der Wahl im Oktober vielleicht mit Rechtsextremisten koalieren muss. In der Slowakei kommt wohl demnächst der korrupte, russenfreundliche Nationalpopulist Robert Fico wieder ans Ruder. Serbien ist fast für den Westen verloren. In den ostdeutschen Bundesländern (der ehemaligen DDR) wird die rechtsextreme bis neonazistische AfD stärkste Partei.

Russland selbst ist schon längst wieder in eine totalitäre Diktatur verwandelt. Und es führt Krieg in Europa. War alles umsonst? All der Mut der Dissidenten, all die Hilfen durch den Westen, der EU-Beitritt, all die ökonomischen Erfolge? Immerhin: In Tschechien und Slowenien haben nach autoritären Entartungen gemäßigte Parteien wieder gewonnen. Kroatien, Bulgarien und Rumänien halten sich so gerade. Die baltischen Länder, früher Teil der Sowjetunion, sind stabile Demokratien. Und die Ukraine wird, wenn kein Unglück passiert, ebenfalls "nach Europa" kommen.

"Europa", das demokratische, freie, wohlhabende Europa, hat eindeutig einen Sieg über den Kommunismus erzielt, ist größer geworden, aber es ist ihm eine neue Bedrohung entstanden. Von außen durch Russland, von innen durch antidemokratische, nationalistische Tendenzen. Das wird der Kampf der nächsten Jahre – in dem, das sei nur kurz angemerkt, Österreich seiner Rolle derzeit nicht gerecht wird. (Hans Rauscher, 22.9.2023)