Würfelqualle Tripedalia cystophora
Die Würfelqualle Tripedalia cystophora lernt in kürzester Zeit, Hindernissen auszuweichen. Forschende haben die zugrunde liegenden Mechanismen untersucht.
Jan Bielecki

Sie sind gerade einmal so groß wie ein Fingernagel, durchsichtig und bestehen fast zur Gänze aus Wasser. Ein zentrales Gehirn haben sie nicht, ebenso wenig ein Herz oder Blut. Vielmehr ist ihr Nervensystem über den ganzen gallertartigen Körper verteilt. Das schlichte Wesen von Quallen spricht daher nicht für besondere kognitive Leistungen, wie Fachleute bisher ihre Schlüsse zogen. Und doch nehmen Karibische Würfelquallen (Tripedalia cystophora) viel mehr wahr, als man gemeinhin glauben würde.

Im Gegensatz zu vielen anderen Nesseltieren, zu denen neben Quallen auch Korallen und Seeanemonen gehören, zeichnet sich T. cystophora durch ein ausgefeiltes visuelles System aus: Während die meisten Artgenossen nur vage Lichtquellen detektieren können, hat die Würfelqualle ganze 24 Augen, die sich in Clustern rund um den Schirm befinden. Das hilft ihnen, um durch das wurzelreiche, trübe Wasser der karibischen Mangrovensümpfe zu navigieren, wo sie Wasserflöhe jagen.

Dennoch: Forschende waren überzeugt, dass Lebewesen ohne Gehirn nicht fähig zu fortgeschrittenen Formen des Lernens wären. Das konnte nun ein Team aus Biologinnen und Biologen der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und der Universität Kopenhagen widerlegen. In einer im Fachblatt "Current Biology" erschienenen Studie konnte die Gruppe erstmals nachweisen, dass Quallen aus Erfahrung lernen können, ähnlich wie der Mensch und andere komplexe Lebewesen.

Überraschend schnelles Lernen

Um herauszufinden, wie viel kognitive Leistung in den unscheinbaren Tieren steckt, simulierte das Forschungsteam ihren natürlichen Lebensraum mit einem Wasserbecken, dessen Wände mit grauen und weißen Streifen als visuelle Stimuli versehen waren. Die grauen Streifen sollten weitentfernte Mangrovenwurzeln darstellen, denen es auszuweichen galt, die weißen Streifen die Wasserumgebung. Da die Tiere die Wurzeln nicht als unmittelbares Hindernis wahrnahmen, stießen sie zu Beginn des Experiments häufig gegen die grauen Streifen. Doch bereits nach 7,5 Minuten prallten sie nur noch halb so oft dagegen. Die Zahl der Drehungen, mit denen sie erfolgreich den vermeintlichen Wurzeln auswichen, hatte sich sogar vervierfacht.

Taucher und Qualle im Mangrovensumpf
In den karibischen Mangrovensümpfen haben Jan Bielecki und sein Team das Verhalten der Würfelqualle in ihrem natürlichen Lebensraum untersucht.
Daniel Sacristán, TH Lübeck

"Wie schnell diese Quallen gelernt haben, hat uns wirklich überrascht", sagt Jan Bielecki vom Physiologischen Institut der CAU, der die Tiere schon lange erforscht. "Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Quallen durch die Kombination von visuellen und mechanischen Reizerfahrungen lernen können", sagt Anders Garm, Meeresbiologe an der Universität Kopenhagen. Die Fähigkeit, zwei verschiedene Reizarten zu kombinieren und das Verhalten daran anzupassen, ist ein Merkmal des assoziativen Lernens – eine Form des Lernens, die man gehirnlosen Nesseltieren bisher nicht zugetraut hat.

Um mehr über die neurobiologischen Mechanismen dahinter herauszufinden, haben die Forschenden die visuellen Sinneszellen der Quallen, die sogenannten Rhopalia, isoliert. Jedes der vier Zentren, in denen auch die elektrischen Signale zur Bewegungssteuerung erzeugt werden, enthält sechs Augen und in etwa 1.000 Nervenzellen. Bielecki zeigte dem Rhopalium sich bewegende graue Balken, um zu simulieren, dass sich die Qualle einem Hindernis annähert. Zunächst gab es keine Reaktion im Sehsystem. Erst als der Forscher schwache elektrische Stimuli hinzufügte und damit einen Aufprall simulierte, reagierte es und erzeugte Signale, die die Qualle zum Ausweichen brachte. Bielecki geht daher davon aus, dass im Rhopalium die Lernprozesse lokalisiert sind.

Modell für Mustererkennung

"Wenn bereits diese Tiere in der Lage sind zu lernen, könnte es sich um eine grundlegende Fähigkeit von Nervenzellen oder neuronalen Netzwerken handeln", sagt Bielecki. "Das weist darauf hin, dass sie seit dem Beginn der Evolution existiert und damit früher als bisher in der Forschung angenommen." Immerhin leben Quallen schon seit mehr als einer halben Milliarde Jahre auf unserem Planeten und gehören damit zu den ältesten Lebewesen überhaupt.

Dass die Würfelqualle mit so wenigen Nervenzellen Muster erkennen kann, mache sie zu einem idealen Modellorganismus, sagt der Kieler Nanoelektroniker Hermann Kohlstedt. Die Ergebnisse der Studie fließen ein in den von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereich zum Thema Neuroelektronik. Ziel ist es, elektronische Schaltkreise zu entwickeln, die beispielsweise zur Mustererkennung eingesetzt werden können. "Bisher läuft das über Computersoftware, die dabei aber viel Energie verbraucht", sagt Kohlstedt. "Doch aus der Natur und der Evolution wissen wir, dass es sehr viel energieeffizientere Wege gibt, Informationen zu verarbeiten." (Karin Krichmayr, 26.9.2023)