Es ist derzeit eines der am heißesten diskutierten netzpolitischen Themen. Mit neuen Gesetzen sollen Messenger-Anbieter dazu verpflichtet werden, direkt auf den Smartphones ihrer User nach gewissen Inhalten zu suchen und bei Auffinden die betreffenden Nutzerinnen und Nutzer an die zuständigen Behörden zu melden. Verkauft wird all das mit dem Kampf gegen die Verbreitung Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder, der sonst bei Ende-zu-Ende-verschlüsselten Messengern nicht mehr möglich sei.

Viel Widerspruch

Pläne, die nicht nur bei Messenger-Anbietern auf einhellige Ablehnung stoßen, auch externe Expertinnen und Experten warnen seit Jahren vor den Konsequenzen solch einer Entscheidung. Würden damit doch effektiv Hintertüren für Behörden, aber auch neue Angriffspunkte für Kriminelle geschaffen.

Ein Transparent mit dem Wortlaut
Öffentlicher Protest gegen die Chatkontrolle, hier bei einem Fußballspiel im März.
IMAGO/Fotostand

Dieser Streit hat dazu geführt, dass entsprechende Pläne in Großbritannien in letzter Minute gestrichen wurden. In der EU will man sich davon hingegen nicht beeindrucken lassen und hält an den entsprechenden Plänen unbeeindruckt fest. Eines der Argumente: Das Ganze soll ja nur auf dieses eine Thema beschränkt sein, bei dem sich ohnehin alle einig sind, dass es besonders verwerflich ist.

Europol will mehr

Eine neue Recherche von Balkan Insight und anderen europäischen Medien zeigt nun aber auf, dass diese öffentliche Darstellung nicht der Wahrheit entspricht. Hat Europol doch bereits vor einiger Zeit darüber hinausgehende Begehrlichkeiten angemeldet. In einem Schreiben an die Kommission wurde explizit der Wunsch vorgebracht, die so geschaffene Infrastruktur auch für andere Ermittlungen nutzen zu können.

Denkbar wäre dabei vieles: So ließe sich so ein System problemlos dazu verwenden, um Bilder, die von terroristischen Organisationen verbreitet werden, aufzuspüren – aber auch Materialien, die im Rahmen von Protesten von politischen Aktivistinnen und Aktivisten geteilt werden.

Die Kommission soll auf dieses Ansinnen zwar aufgrund der "sensiblen Thematik" ablehnend reagiert haben, und doch ist das neuer Wind in den Segeln der Kritikerinnen und Kritiker. Immerhin wird hier genau das von Polizeibehörden geäußert, wovor gewarnt wurde. Und ob die Kommission die ablehnende Position langfristig aufrechterhalten würde, darf durchaus angezweifelt werden. Gerade aktuelle Bedrohungslagen haben in der Vergangenheit immer wieder dazu geführt, dass eine angeblich klar begrenzte Überwachungsinfrastruktur plötzlich wesentlich breiter genutzt wird.

Netz aus Firmen, Politik und Sicherheitsbehörden

Die Recherche ist aber noch aus anderen Gründen von Interesse, zeichnet sie doch nach, wie ein Verbund aus zweifelhaften KI-Firmen, getarnt als gemeinnützige Organisationen, sowie Polizeibehörden und politischen Akteurinnen und Akteuren seit Jahren gemeinsam im Hintergrund Druck macht.

Thorn

Bereits bekannt war, dass Hollywoodstar Ashton Kutcher bei all dem eine zentrale Rolle spielt. Dieser steht hinter einer – angeblich – gemeinnützigen Organisation namens Thorn, die sich dem Kampf gegen "Child Sexual Abuse Material" verschrieben hat – kurz CSAM. Praktischerweise bietet Thorn aber unter dem Namen "Safer" auch gleich die passende Software, die mithilfe künstlicher Intelligenz nach entsprechenden Bildern sucht. Mit diesem Geschäft ist man durchaus erfolgreich, allein das US-Heimatschutzministerium soll für entsprechende Softwarelizenzen mehr als vier Millionen US-Dollar ausgegeben haben.

Ashton Kutcher
Ashton Kutcher: Schauspieler, Tech-Investor und oberster Lobbyist für die Chatkontrolle.
REUTERS

Natürlich würde man diese Software auch gerne für Chatkontrolle und Co ins Rennen werfen, und da heißt es investieren. Allein im Jahr 2022 soll Thorn mehr als 600.000 Euro an die Lobbyfirma FGS Global gezahlt haben, um Druck in Brüssel auszuüben, wie "Zeit Online" aufzeigt. Das scheint gefruchtet zu haben, Thorn-Vertreter nahmen jedenfalls an vielen Sitzungen als angeblich unabhängige Experten teil.

Gemeinsame Interessen

Die Verstrickungen von Thorn mit der EU-Politik sollen dabei mannigfaltig sein – und das auf höchster Ebene. So soll es enge Verbindungen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der EU-Innenkommissarin Ylva Johansson mit Thorn und anderen Lobbyvereinen geben. Kutcher hat sich übrigens vor kurzem bei Thorn zurückgezogen, nachdem er selbst in heftige Kritik geriet. Hatte er sich doch für einen befreundeten Schauspieler starkgemacht hat, der mittlerweile wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu mindestens 30 Jahren Haft verurteilt wurde.

WeProtect

Ein besonders eindrückliches Beispiel für diese zweifelhaften Verstrickungen mit der Politik ist die Organisation WeProtect Global Alliance, die sich ebenfalls für eine Chatkontrolle einsetzt. Gehört dieser doch Antonio Labrador Jimenez und damit ein ranghoher Mitarbeiter der Generaldirektion Inneres bei der EU-Kommission an, der dort selbst für die entsprechende Gesetzesinitiativen zuständig ist.

Was WeProtect besonders interessant macht: Die Organisation, die sich nach außen als zivilgesellschaftliche Initiative gibt, ist in Wirklichkeit regierungsnah. Sie ist aus der Verschmelzung zweier Initiativen von EU-Kommission und US-Behörden auf der einen und Großbritanniens auf der anderen Seite entstanden. Wohl nicht ganz zufällig laufen in all diesen Ländern derzeit Diskussionen über die Einführung einer Chatkontrolle. Im Vorstand von WeProtect sitzen Vertreter diverser Regierungen, aber auch von Sicherheitsbehörden.

Die treibende finanzielle Kraft hinter WeProtect bildet wiederum eine Oak Foundation genannte Organisation. Deren Präsident sitzt ebenfalls im Board von WeProtect, seit 2019 sollen allein von der Oak Foundation 24 Millionen Dollar an Organisationen wie Thorn gegangen sein. (Andreas Proschofsky, 26.9.2023)