Was will Kater Strom durch Markieren und Schreien seinen Besitzern mitteilen?
Was will Kater Strom durch Markieren und Schreien seinen Besitzern mitteilen?
Heribert Corn

Am Montag ist es die Couch. Dienstag die Vase auf dem Tisch, gestern die Balkontür, heute früh das Parkett direkt vor dem Schlafzimmer, damit ich ja reinsteige. Wo hat die Katze dieses Mal hingepinkelt? Jeder Tag beginnt mit derselben paranoiden Frage. Ich schnuppere an Kissen und Teppich, drehe Pflanzentöpfe, Kerzenständer und jeden einzelnen Schuh in der Wohnung um, krabble auf allen vieren am Boden, um im Lichteinfall eingetrocknete Urinflecken zu entdecken. Strom, unsere Katze, markiert seit Wochen die Wohnung. Nicht nur ein Eck, nein, nein, er besprenkelt ohne Hemmungen alles mit seinem beißend riechenden Harn.

Das alles ist der Höhepunkt eines monatelang andauernden "Folterterrors" (um meinen etwas dramatisierenden Freund zu zitieren), den die Katze betreibt. Denn sie markiert nicht nur. Bevor der Kater die Wohnung als sein hochheiliges Territorium zu kennzeichnen begann, fing er plötzlich an, die Nächte durchzuschreien. Nicht miauen, sondern richtiges Schreien. Seit Monaten wachen wir jede Nacht mehrmals auf. Glauben Sie mir, wir haben wirklich alles versucht, des Katzenjammers Herr zu werden. Vergeblich. Der einzige Ausweg: ein Katzencoach, der Strom "therapiert". Im Fernsehen funktioniert das ja auch so gut.

Terror auf vier Pfoten

Petra Ott macht nur zwei Schritte in die Wohnung und wird von einem laut miauenden Strom begrüßt. Die Expertin will beobachten, wie sich die Katze bewegt und wie wir mit ihr umgehen.

Petra Ott: Grundsätzlich werde ich immer zu Verhaltensproblemen gerufen. Diese Auffälligkeiten resultieren daraus, dass die Katze Stress hat: mit dem Menschen, mit einem Umzug, anderen Tieren oder ihrem Umfeld.

Zuerst dachten wir, es ist halt ein weiterer Spinner der Katze, die eh schon nicht ganz normal ist: Backen wie ein Hamster, keine Scheu vor Fremden und eine Plaudertasche, die sehr viel aus seinem katzigen Leben zu erzählen weiß. Ich besaß mein Leben lang Katzen, aber solch ein seltsames Viech mit einem noch seltsameren Verhalten war mir völlig neu.

Ott: Ich bin Katzencoach, aber eigentlich coache ich die Menschen. Das hören die Leute aber nicht gerne (lacht). Es geht darum, dass sie ihre Katzen besser verstehen. Die Besitzer machen ja nicht absichtlich Fehler. Mich zu rufen ist aber für viele Katzenbesitzer eine Hemmschwelle. Man muss viel von sich preisgeben.

Wir erzählen – immer den süßen, lauten Kater im Blick. Ott will unsere Geschichte und unsere Probleme hören. Nur so weiß sie, wie sie uns helfen kann.

Wir holten Strom vom Tierschutz Austria in Wien vor mehr als einem Jahr. Es war Liebe auf den ersten Blick. Weil sein Kopf breiter als der Körper ist und er sich beim Kennenlernen mauzend vor uns zum Streicheln geworfen hat. Es hätte uns schon eine Warnung sein sollen, dass er so gesprächig war. Er miaut, wir antworten. Cute! Aber nun, mitten und in jeder Nacht, gar nicht mehr so cute.

Ott: Er ist ein Spezialist. Obwohl er eine Katze ist, verhaltensbiologisch und körpersprachlich gesehen, ist er wie ein Hund. Der hockt unheimlich gerne beim Menschen. Das heißt, der will euch gefallen. Je mehr ihr mit dem redet, umso mehr quatscht er zurück.

Wenn wir nachts aufstehen, um nach ihm zu schauen, blickt er einen nur glubschäugig an und schreit weiter. Wir geben ihm mehr zu essen, er schreit. Wir waren bei der Tierärztin, er ist pumperlgesund, und er schreit. Wir spielen mit ihm, um ihn müde zu machen, und er schreit.

Ott: Es ist schlecht, Katzen überzubeschäftigen. Ich hatte Klienten, die spielten zwei, drei Stunden am Tag mit ihrer Katze. Das ist eine Katastrophe, das ist zu viel. Lieber zweimal am Tag für zehn Minuten, nicht mehr.

Man hat ja ein ambivalentes Verhältnis zu seinem Haustier: Egal wie sehr man es in der Nacht hasst, am nächsten Tag, beim Streicheln und Kuscheln, ist alles wieder vergessen. Man will nur das Beste fürs Tier, aber gleichzeitig versteht man nicht, was das Viech überhaupt von einem will.

Ott: Man erkennt an der Schwanzhaltung gut, wann die Katze gestresst ist. Der Schwanz sollte grundsätzlich immer ruhig von der Katze weggehen. Sobald er zuckt oder tippt, weiß ich, irgendetwas stimmt nicht.

Hilfe auf zwei Beinen

Nicht mehr durchschlafen zu können zehrt an mir, aber vor allem an meinem Freund. Er ist ein leichter Schläfer, selbst Ohropax helfen ihm nicht. Seit vier Monaten, solange quält uns Strom schon, ist er müde, unausgeglichen, grantig. Auf die Katze, und irgendwann auf mich. Weil ich mir nicht mehr jeden Tag anhören kann, was wieder mit der Katze ist. Hinzu kommt die Wut, weil die Wohnung zum Katzenklo verkommt und wir nichts dagegen ausrichten können.

Petra Ott beim Hausbesuch. Sie analysiert Stroms Verhalten – und meines.
Die Tipps der Katzenexpertin klingen so einfach: weniger streicheln, weniger reden, und alles wird gut? Schwierig ist die Umsetzung.
Heribert Corn

Ott: Was ihr machen müsst, ist, vier bis sechs Wochen Ruhe geben, nicht mit ihm reden und auch nicht streicheln. Wenn ihr ihn so viel streichelt, weil er so süß ist und so oft zu euch kommt, zerstört ihr seine Geruchsschutzschicht. Er riecht nicht mehr nach sich selbst und deswegen markiert er überall hin. Es soll nach ihm riechen, nicht nach euch.

Die Tipps der Katzenexpertin klingen so einfach: weniger streicheln, weniger reden, und alles wird gut? Schwierig ist die Umsetzung. Weil er eben so verdammt süß ist, wie die Katzenexpertin sagt.

Wir ignorieren ihn, wenn wir bei der Tür reinkommen, wir antworten Strom nicht auf sein Miauen, und wenn wir aufwachen, gibt es statt eines herzlichen Kuschlers die kalte Schulter. Das taugt ihm natürlich nicht. Liegen wir auf der Couch, springt er demonstrativ auf uns drauf, schnurrt und tritt mit seinen starken Pfoten in unsere Weichteile. Schaut mich an! Streichelt mich!

Wir setzen die Tipps der Katzenexpertin, so gut es geht, um. Manchmal überkommt es einen. Dann streichelt man Strom von Kopf bis Fuß. Und busselt ihn ab. Aber man merkt, dass sich langsam Veränderungen einstellen. Er schreit, aber seltener. Oder er gibt schneller auf. Markiert hat er auch schon länger nicht mehr. Einmal haben wir ihn ins Schlafzimmer gelassen, eigentlich ein No-Go, dann hat er neben dem Kopf meines Freundes das neue Nachtkastl eingeweiht. Aber bis auf das, keine Vorfälle.

Ott: Oft sagen die Katzenhalter, meiner Katze ist fad oder sie ist traurig. Wenn die Katze ganz entspannt irgendwo sitzt, die Ohren nach vorn richtet, Schnurrbarthaare seitlich abstehen und der Schwanz abliegt, macht das eine Katze aus. Meditativer Yogalehrer, sage ich immer. Dann hat man die perfekte Katze zu Hause.

Die Katzentherapie ist ein Prozess. Die Früchte davon ernten meine Eltern. Dort verbringt er seine Sommerfrische, während wir auf Urlaub sind. Er klettert auf Bäume und fängt Vögel. Von meinem Freund aus kann die Katze für immer dort bleiben. Denn er schläft derzeit durch. (RONDO, Kevin Recher, 14.10.2023)