Senkrecht stehen sie in gleichmäßigen Reihen mitten im Feld. Graue Gerüste, die dunkelblaue Mosaiksteine halten. Zehn Meter trennen die Reihen voneinander. Dazwischen gedeihen Wintergetreide, Sojabohnen und Luzerne.

Die grauen Gerüste mit den dunkelblauen Mosaiksteinen sind vertikal errichtete, sogenannte bifaziale Photovoltaikmodule. Sprich: Sie fangen auf zwei Seiten Solarenergie ein. Die Solarmodule stehen seit 2021 in Ost-West-Ausrichtung am Standort Schafflerhofstraße in Wien-Donaustadt. Die Wien Energie und die Universität für Bodenkultur Wien (Boku) forschen hier an der sogenannten Agrar-Photovoltaik, kurz Agri-PV. "Salopp gesagt: dass ein Traktor neben PV-Modulen vorbeifahren kann und nichts Gröberes passiert", erklärt Projektleiterin Julia Wenin von Wien Energie.

Traktor erntet Getreide in einem Feld zwischen vertikal stehenden Solarmodulen
Die Boku testet gemeinsam mit Wien Energie vertikale Module, die auf beiden Seiten Solarenergie aufnehmen.
Wien Energie/Raphael Faschang

Ackerbau nimmt größte Fläche ein

12,5 Hektar ist die Photovoltaikanlage im 22. Wiener Bezirk groß. Auf etwa 5.000 Quadratmetern davon stehen die vertikalen Module. Viel Platz brauchen sie nicht, lediglich etwa ein Prozent der Fläche, so der Energiekonzern. Rund 85 Prozent nimmt der Ackerbau in Anspruch. Den Rest macht der Ein-Meter-Abstand zwischen den Modulen und dem Feld aus. Dieser soll verhindern, dass etwa ein Traktor die Photovoltaikanlage beschädigt. Bestenfalls, ohne dabei von Unkraut überwuchert zu werden.

Das Team testete dafür mehrere Möglichkeiten. Eine Mulchschicht aus Häckselgut fiel durch. Ein Blühstreifen mit Pflanzen einer "klassischen Bienenweide", wie Rotklee und Ringelblume, überzeugte ebenso wie eine Wiesensaat. "Der Blühstreifen ist aber aus unserer Sicht die beste Variante", erklärt Wenin. Dieser sei förderlich für die Biodiversität am Standort, was sich dann entsprechend auf die landwirtschaftlichen Erträge auswirke.

Der Ernteerfolg lässt sich im Moment noch kaum beurteilen. Erst Ende 2024 können drei Erntejahre verglichen werden. Bisher zeigte sich Wien Energie zufrieden, wobei die Erträge mittig zwischen den Modulen, wo die Verschattung am geringsten ist, laut Wenin am besten waren. Durch die doppelte Bewirtschaftung der Fläche werde das Land effizient genutzt – und die Landwirte von einem zweiten Standbein profitieren.

Doppelte Ernte

Zur Energieernte lässt sich hingegen mehr sagen. Denn diese fangen direkt neben mehr als 25.000 klassischen, horizontalen, nach Süden ausgerichteten Modulen Solarenergie ein. "Bei den Stromerträgen, die für uns als Energieversorger natürlich am interessantesten sind, haben wir festgestellt, dass sie vergleichbar sind mit der konventionell süd-aufgeständerten Anlage daneben", gibt Wenin an. Verglichen wurde der Ertrag pro Modul beziehungsweise die installierte Leistung. Durch die Ost-West-Ausrichtung produzieren sie dann Strom, wenn er vorwiegend gebraucht wird. Eine Kombination von klassischen und bifazialen PV-Modulen könnte das Erzeugungsprofil über den Tag glätten.

Heuer im Oktober sät das Projektteam noch einmal Wintergetreide an, im Frühjahr 2024 dann Sojabohne. Wie es danach auf den agrarischen Testflächen weitergeht, ist bisher offen. Aber man denkt bereits weiter. Als "nächsten Schritt" plant der Energiebetreiber größere Projekte gemeinsam mit Landwirten. Für Letztere soll sich im Arbeitsalltag nicht viel ändern: Die Wien Energie pachtet die Fläche, errichtet die Anlage und speist den Strom ins Netz ein. "Jeder fokussiert sich auf seine Kernkompetenz", sagt Wenin.

Strom bringt mehr ein als Getreide

Diese Aufteilung ist auch der "Trend" hierzulande, den Christian Mikovits vom Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung an der Boku feststellt. An dem Projekt der Wien Energie ist er nicht beteiligt. Wobei Trend wohl das falsche Wort ist. Laut dem Forscher befindet sich Agri-PV hierzulande noch vorwiegend im Pilot- und Forschungsbereich.

Mikovits und ein Team der Boku Wien haben das Potenzial für Agri-PV mittels Modellrechnungen untersucht und dabei verschiedene Agri-PV-Systeme näher betrachtet: sogenannte "Überkopf-Anlagen", sprich Solarmodule, die auf silbernen Stahlmasten über dem Acker aufgebaut werden, und die vertikalen, bifazialen PV-Anlagen wie bei der Wien Energie. Letztere brauchen zwar mehr Platz, werfen aber weniger Schatten und schneiden in den Punkten ökologische Nachhaltigkeit und soziale Akzeptanz besser ab, so Mikovits.

Im Vergleich zu dem Flächenertrag einer Freiflächenanlage errechneten die Forschenden mit den Überkopf-Anlagen eine Stromproduktion von etwa 60 Prozent, bei den vertikalen, doppelseitigen Modulen eine Stromproduktion von etwa 35 bis 40 Prozent. Das klingt vielleicht nach wenig. Trotzdem bräuchte es bei dieser Technik laut den Forschenden nur etwa drei bis fünf Prozent der geeigneten Ackerfläche Österreichs, um die Erneuerbaren-Ausbau-Ziele für Photovoltaik bis 2030 zu schaffen.

Traktor erntet Getreide zwischen vertikal stehenden Solarmodulen
Laut Christian Mikovits ist die Energiegewinnung für Landwirte lukrativer als der Ertrag aus landwirtschaftlichem Anbau.
Wien Energie/Raphael Faschang

Zudem errechneten sie deutliche finanzielle Vorteile für den Landwirt oder die Landwirtin, wenn sie zum Gemüse auch Solarenergie ernten. Und diese am Markt verkaufen. "Die Ergebnisse zeigen ganz stark, dass die Erträge aus der Energieproduktion ganz pauschal in etwa das Zehnfache von den Erträgen aus der landwirtschaftlichen Produktion ausmachen", sagt Mikovits.

Blumen für Bienen

Ob und wie viel Agri-PV für die heimische Biodiversität bringen könnte, ist bisher deutlich weniger untersucht. "Prinzipiell: Potenzial ist da", sagt Andreas Tribsch von der Paris Lodron Universität Salzburg und Leitungsmitglied des Österreichischen Biodiversitätsrates. Gerade im Hinblick auf vorher intensiv genutzte Ackerflächen, wo kein Busch mehr den Weg kreuzt, ist das wenig überraschend. Denn PV-Module geben den künstlich vereinheitlichten Flächen wieder mehr Struktur. Struktur, die, wenn rechts und links neue Blühstreifen entstehen, Futter für Bienen und Hummeln bieten und anderen Arten wie etwa bodenbrütenden Vögeln oder Hasen Schatten und Unterschlupf bieten kann.

Trotzdem plädiert er dafür, Agri-PV-Anlagen auch immer auf ihre möglichen Auswirkungen auf die Biodiversität zu überprüfen. Denn nicht jede landwirtschaftliche Fläche ist ein staubiger Acker. Manche sind auch Grenzertragsflächen, die sich landwirtschaftlich aktuell kaum mehr auszahlen. Für den Schutz der heimischen Artenvielfalt aber schon. "Das sind Magerwiesen, das können Feuchtwiesen sein, und das können natürlich auch Flächen werden, die bei zunehmender Trockenheit solche werden", führt Tribsch aus. Für die Reste der Kulturlandschaft, werde diese "intensiv" mit PV-Anlagen zugepflastert ohne Rücksicht auf die vorhandene Biodiversität, hat das "sicher negative Effekte". Klimaschutz vor Biodiversität macht jedenfalls keinen Sinn. Aber Agri-PV hätte das Potenzial, beides zu verbinden. (Jasmin Spreer, 3.10.2023)