Das inzwischen vieldiskutierte Video von Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor Funktionären bei einer Veranstaltung in einer Halleiner Vinothek beginnt gleich mit einer Wutrede gegen Frauen. Österreicherinnen und Österreichern gehe es ja gar nicht so schlecht, argumentiert der Kanzler, denn sonst würden nicht so viele Frauen in Teilzeit arbeiten. Auch bei Frauen, die keine Betreuungspflichten haben, "erhöht sich die Teilzeitquote nicht", sagt der Kanzler. "Wenn ich zu wenig Geld hab, geh ich mehr arbeiten, weil dann muss ich ja mehr Geld haben. Das passiert aber nicht", schließt Nehammer seine Argumentation.

Abgesehen davon, dass der Kanzler sich wohl versprochen hat und gemeint war, dass die Teilzeitquote nicht sinkt, strotzt auch der Rest seiner Ausführungen vor Halbwahrheiten und verhöhnt die Frauen und Mütter in diesem Land.

Von der ÖVP forciert

Aber fangen wir mit dem an, womit der Kanzler richtig liegt: Im Jahr 2012 arbeiteten noch 45,1 Prozent der Frauen in Teilzeit. Im Jahr 2022 betrug die Teilzeitquote in Österreich insgesamt durchschnittlich 30,5 Prozent, bei den weiblichen Erwerbstätigen betrug sie 50,7 Prozent. Damit hat der Kanzler also recht, die Teilzeitquote sinkt nicht. Im Gegenteil, sie steigt, bei beiden Geschlechtern übrigens. Daraus aber zu schließen, dass Teilzeit immer freiwillig ist, keine Einbußen bringt und es uns Frauen in Österreich offensichtlich zu gut geht, ist bestenfalls populistisch und zu kurz gedacht.

Dass ein ÖVP-Kanzler aber vor ÖVP-Parteifreunden plötzlich Frauen und Mütter angreift, die nicht Vollzeit arbeiten, ist eine kleine Sensation und eine große Frechheit. Schließlich hat die ÖVP genau dieses Lebens- und Familienmodell jahrzehntelang erfolgreich forciert.

Unübersetzbare Rabenmutter

Die Teilzeitquote der Frauen war in Österreich schon immer relativ hoch im Vergleich zu ähnlich entwickelten europäischen Ländern. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren verheiratete Frauen und Mütter, wenn sie überhaupt erwerbstätig waren, jahrzehntelang bestenfalls Dazuverdienerinnen. In der Vollzeit arbeitende Frauen, die ihre Kinder "fremdbetreuen" ließen, wurden als Rabenmütter gebrandmarkt. Ein Wort übrigens, das auf Länder außerhalb des deutschsprachigen Raums schwer übertragbar ist. Ähnlich verhält es sich mit dem dazugehörigen Phänomen des "Schlüsselkinds".

Während es zum Beispiel in Skandinavien, aber auch im sozialistisch und kommunistisch geprägten Osten Europas jahrzehntelang selbstverständlich war, dass es ein Betreuungsangebot für Kleinkinder gibt, diskutieren wir in Österreich noch immer über "flächendeckende Kinderbetreuung".

Das liegt vor allem an dem konservativen Frauen- und Mütterbild, das sich vor allem im ländlichen Österreich nur schleppend ins 21. Jahrhundert bewegt. Noch im Juni 2023 sah der oberösterreichische ÖVP-Klubobmann Christian Dörfel in der Forderung nach einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr den "direkten Weg zur Zwangsarbeit junger Mütter". Jeder solle "nach seinen Vorlieben die Erziehung der Kinder durchführen" können. Der Rechtsanspruch würde zu einem "Auslaufmodell Familie" führen, sagte der Oberösterreicher.

Dörfels Argumentation und das Schreckensbild, das er zeichnet, sind prototypisch für die ÖVP-Ideologie und ihre reale Politik der letzten Jahrzehnte. Unter dem Schlagwort "Wahlfreiheit" wurde mit Nachdruck die Modernisierung des Betreuungsnetzes verhindert.

Was ist freiwillig?

Und auch wenn ein gute Kleinkindbetreuung wichtig ist, ist sie nicht der einzige Faktor, der die Erwerbsquote der Frauen beeinflusst. Die Teilzeitthematik ist komplexer, als der Kanzler sie darstellt. Ist es eine freiwillige Entscheidung, wenn ich als Mutter lieber zu Hause bleibe, als in teure Kinderbetreuung zu investieren, die meinen Lohn automatisch "frisst"? Ist es eine freiwillige Entscheidung, wenn ich neben Erziehung, Haushalt und Pflege der Eltern schlicht nicht mehr als 20 Stunden in der Woche einer Erwerbsarbeit nachgehen kann? Ist es eine freiwillige Entscheidung, wenn es in meiner näheren Umgebung schlicht keine Stellen gibt, die in Vollzeit angeboten werden?

Ja, es gibt tatsächlich auch Frauen, und natürlich auch Männer, ohne Betreuungspflichten, die sich für Teilzeitarbeit entscheiden. Das sind Menschen, die andere Einkommensquellen und weniger Ausgaben haben. Das sind Menschen, die in gut bezahlten Berufen arbeiten, wo der Lohn aus der Teilzeitarbeit ein gutes Auskommen sichert. Oder Menschen, die schlicht mit weniger Geld auskommen und ihre Prioritäten anders setzen. Ja, das ist der berühmte und begrüßenswerte neue Trend zu mehr Lebensqualität, abseits der Erwerbsarbeit. Und er passiert gleichzeitig mit der Krise, in die gerade Menschen mit niedrigen Einkommen in Österreich immer tiefer schlittern.

Diese Gleichzeitigkeit der Lebensrealitäten, vor allem jener von uns Frauen, lässt sich aber nicht in salopper Stammtisch-Rhetorik abhandeln. Vor allem dann nicht, wenn der Stammtisch eine schicke Vinothek ist. (Olivera Stajić, 28.9.2023)