Der Plan ging nicht auf. Weil die kosovarische Polizei die terroristische Truppe, die versuchte, den Kosovo zu destabilisieren, frühzeitig entdeckte, konnte ihr Vorhaben verhindert werden. Die Aufarbeitung ist noch in vollem Gange. Doch vieles weist darauf hin, dass Belgrader Politik- und Geheimdienstkreise dahinterstecken: Die Waffen sind aus Serbien, maßgebliche Angreifer stehen in Verbindung zu den Herrschenden in Serbien, auf einem der Fahrzeuge, das die Miliz nutzte, war sogar ein Abzeichen des serbischen Innenministeriums zu sehen.

Aleksandar Vučić steht im Westen immer noch hoch im Kurs, man glaubt ihn zu brauchen. Trotz allem.
EPA/ANDREJ CUKIC

Für den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić ist die gescheiterte Geheimdienstoperation ein Rückschlag: Denn erstens wurden jetzt die finsteren Machenschaften seiner Verbündeten im Kosovo noch deutlicher sichtbar, andererseits gerät Vučić politisch in die Defensive, wenn es um seine Interessen im sogenannten Dialog mit Kosovo geht. Denn der Westen kann nach dem Anschlag kaum noch argumentieren, dass es richtig sei, die Integrität des kosovarischen Staats zugunsten geopolitischer Machtinteressen zu opfern, wie dies in den vergangenen Monaten der Fall war.

Schwierige Argumentation

Vertreter der derzeitigen US-Administration, allen voran der Balkan-Beauftragte Gabriel Escobar und der US-Botschafter in Belgrad, Christopher Hill, hatten mithilfe des EU-Beauftragten Miroslav Lajčák nämlich einseitig Druck auf Kosovo ausgeübt, einen Verband serbischer Gemeinden im Norden Kosovos einzuführen, ähnlich wie ihn Belgrad sich vorstellt. So ein Gemeindeverband könnte jedoch die in der Verfassung geschützte Souveränität des Staates Kosovo untergraben.

Dem Westen geht es angesichts des russischen Angriffskriegs – wie schon zur Zeit Jugoslawiens unter Tito – nun vor allem darum, Serbien unter Kontrolle zu halten, dafür "darf" Serbien sich in hegemonialem Stil in den Nachbarstaaten einmischen. Im Klartext: Die kleineren Staaten Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Kosovo sollten dafür bezahlen, dass Vučić sich nicht vollends an die Brust von Russlands Präsident Wladimir Putin wirft.

Auf dem Balkan fühlt man sich vom Westen betrogen und verraten, es herrschen Furcht und Enttäuschung. Denn der hegemoniale Zugriff Serbiens führt dazu, dass die Demokraten – auch in Serbien – geschwächt, der Rechtsstaat und die Freiheitsrechte der Bürger angegriffen und der radikale Nationalismus wieder zur dominanten Ideologie erhoben werden. Offensichtlich ist, dass der Westen sein Demokratisierungprojekt aufgegeben hat. Unterstützt werden nämlich vorzugsweise der Autokraten. Trotz des Angriffs auf die kosovarische Polizei bleiben bislang auch EU-Sanktionen aus, weil Ungarn seine Hand über Freund Vučić hält.

Die kosovarische Präsidentin Vjosa Osmani versucht nun die Gunst der Stunde zu nutzen, um Nägel mit Köpfen zu machen. Sie hat vorgeschlagen, dass Kosovo gemeinsam mit den USA einen Vorschlag für einen Verband serbischer Gemeinden vorlegt, der mit der Verfassung vereinbar ist, also keine Exekutivrechte vorsieht. Alle blicken nun wartend auf die USA, denn Washington entscheidet, was passieren wird.

Wirklichkeitsferne Berichte

Vieles deutet jedoch darauf hin, dass man dort weiter hinter Vučić steht. Und dies, obwohl die bisherige Strategie nicht aufging – und Gewalt und Instabilität noch zunahmen. Gleichzeitig macht das serbische Regime mit schrillem Getöse und Drohungen noch mehr Druck. Wenn man dieser Tage die Titelblätter der Zeitungen in Belgrad liest, findet man sich in einer umfassenden Wirklichkeitsferne wieder.

Die serbischen Medien sind voll von erschreckendem Hass gegen die kosovarische Regierung, den Westen, die Nato und "die Albaner". "Kurtis Kriegshunde haben die Verwundeten erschossen", vermeldet etwa das Blatt "Informer" und insinuiert, dass die serbischen Angreifer die Opfer seien. "Večernje novosti" schreibt: "Kurti versteckt die Leichen ermordeter Serben", und "Alo!" meint: "Monster: Kurtis Söldner haben Serben brutal getötet". Die Zeitung "Politika" vermutet, eine westliche Verschwörung: "Kurti wurde von Berlin und London beauftragt". Und "Srpski telegraf" versucht der kosovarischen Regierung die Schuld für den Terrorakt in die Schuhe zu schieben: "Wegen Kurtis Terror: Aufstand der Serben im Kosovo".

Serbiens Außenminister Ivica Dačić sagte sogar, die Aufnahmen von den Terroristen seien gar nicht am Sonntag gemacht worden, weil auf dem Video angeblich Schnee zu sehen sei. Der Leiter des Kosovo-Büros, Petar Petković, verbreitete, dass die verwundeten Serben – gemeint sind die terroristischen Milizen – kaltblütig von der Polizei ermordet worden seien. Auch Vučić streut Zweifel an den Fakten. Nach außen hin scheinen die Täuschungen, Lügen und die Verschleierungspropaganda platt und peinlich. Doch man sollte nicht überstehen, dass die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Serbien und in dem bosnischen Landesteil Republika Srpska sowie im Norden Kosovos denkt, dass dies die Wahrheit ist.

Die Finger des Kremls

Die Situation ist auch deshalb so gefährlich, weil ganz offensichtlich der Kreml seine Finger im Spiel hat. Zwei Tage vor dem Terrorakt am Sonntag, traf sich der russische Außenminister Sergej Lawrow mit Dačić. Nach dem Terrorakt tauchten in Moskau Plakate mit der russischen und serbischen Flagge und dem Slogan auf: "Wir trauern gemeinsam mit Serbien – Eine Farbe, ein Glaube, ein Blut" auf. Serbien und Russland haben die gleichen Flaggenfarben. Vor einem Jahr schloß Serbien mit Russland ein außenpolitisches Abkommen. Auch MiG-Kampfjets wurden von Russland und Weißrussland nach Serbien geliefert.

Ähnlich wie der Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine wurde der Angriff auf die Integrität Kosovos am Sonntag angekündigt. Im Sommer schon tauchten in Serbien vermehrt Graffiti mit der Aufschrift "Wenn die Armee in den Kosovo zurückkehrt" auf, Kriegsverbrechern wurden öffentlich gehuldigt, und Vučić versuchte Kurti zu diskreditieren, indem er ihn einen "terroristischen Abschaum" nannte und behauptete, Kurti wolle Serben aus dem Kosovo vertreiben oder ethnische Säuberungen gegen Serben durchführen.

Das erinnert an die Rhetorik der 1990er-Jahre, als Vučić unter anderem noch Propagandaminister unter Slobodan Milošević war. Damals wurde der Bevölkerung in Serbien eingeredet, es würde ein Genozid gegen sie vorbereitet – tatsächlich wurde von serbischen Rassisten der Völkermord an Bosniaken in Bosnien durchgeführt. Diese Propaganda soll offenbar künftige Entscheidungen "legitimieren". Vučić drohte bereits mehrmals damit, serbische Sicherheitskräfte in den Kosovo zu entsenden. Immer wieder kamen Truppen bis dicht an die Grenze.

Neue Pfade für die EU-Diplomatie

Eine These ist, dass man mit der Geheimdienstoperation im Norden Kosovos einen Konflikt heraufbeschwören wollte, um zu rechtfertigen, dass die serbische Armee in der Folge "zum Schutz des serbischen Volkes" in den Norden Kosovos einmarschiert und so die Teilung des Kosovo erwirkt. Vučić will auf jeden Fall, dass der Norden des Kosovo an Serbien angeschlossen wird. Weil ihm trotz kostenintensiver Lobby-Investitionen und Gesprächen über einen Gebietstausch während der Trump-Administration nicht gelungen ist, dies auf dem Verhandlungswege zu erreichen, werden nun offenbar andere Pfade gesucht. Unter anderem soll Vučić über den EU-Dialog "etwas bekommen", wie das Diplomaten nennen.

Vielen Menschen auf dem Balkan macht vor allem Angst, dass der Westen nicht bereit ist, die Gewalt und die permanenten Provokationen von Gruppen wie der serbischen Miliz im Kosovo zu stoppen. Viele haben ihr Leben und ihre Zukunft bereits in den 1990ern verloren, als der Westen sich auch schon feige wegduckte und trotz all der schönen Sonntagsreden vom "Nie mehr wieder" jahrelang ethnische Säuberungen und die Zerstörung von Staaten wie Bosnien-Herzegowina zuließ. Man könnte meinen, dass man aus dieser Geschichte lernen sollte. Aber offenbar schaut man auf den Balkan mit halb kolonialem, halb arrogantem und vollständig ignorantem Blick hinab, so, als handle es sich nicht wirklich um Europa. (Adelheid Wölfl, 29.9.2023)