Arbeitsminister Martin Kocher will eine faktenbasierte Diskussion rund um das Video von Bundeskanzler Karl Nehammer.
Heribert CORN

Das kontroverse Video von Bundeskanzler Karl Nehammer, das bei einer Veranstaltung der Halleiner ÖVP aufgenommen wurde, war gleich zu Beginn Thema der ORF-"Pressestunde" mit Arbeitsminister Martin Kocher. Dabei plädierte er für eine Kontextualisierung und Differenzierung der Aussagen Nehammers zu Kinderarmut und Frauen in Teilzeit. Es mache einen Unterschied, ob eine Rede in einem kleinen Kreis oder im Parlament gehalten werde, sagte Kocher sinngemäß. Auch inhaltlich verteidigte Kocher seinen Parteichef.

Angesichts der Darstellung der Zustände in Österreich in der Öffentlichkeit könne es passieren, "dass man hin und wieder in Rage gerät", meinte Kocher. Zwar gebe es sicher Sorgen und Nöte, dass es im Land aber generell weit verbreitet manifeste Armut gebe sei falsch. Diese Regierung sei laut Kocher "die sozialste Regierung seit Jahrzehnten", man hätte in Österreich derzeit etwa die höchste Sozialquote aller Zeiten.

Pressestunde: Reaktion zum kritisierten "Nehammer-Video"
ORF

"Dass in Österreich viele Kinder hungern müssen, das ist einfach nicht richtig. Das zeigen alle Zahlen", betonte Kocher außerdem. In der am Mittwoch an die Öffentlichkeit gelangten Aufnahme hatte der Kanzler einen Hamburger bei McDonalds mit einer warmen Mahlzeit für Kinder verglichen. Aussagen Nehammers wie "Und jetzt behauptet wirklich einer ernsthaft, wir leben in einem Land, wo die Eltern ihrem Kind dieses Essen nicht leisten können?" sorgen seit Tagen für Aufregung.

Auf die Frage, ob er die landesweite Empörung über das Video nachvollziehen könne, antwortete Kocher, dass es sich bei dem Video um einen spezifischen Kontext handle, "der nicht für die Öffentlichkeit gedacht war". Dies sei mittlerweile eines der Probleme "unserer Politik".

"Faktenorientierte Diskussion"

Inhaltlich ist dem Minister eine "faktenorientierte Diskussion" wichtig, wie er betonte. Über einzelne Punkte, die Nehammer angesprochen hat, könne man sicher diskutieren. Beim Thema Teilzeit bleibt aber auch Kocher auf dem Standpunkt, dass viele Österreicherinnen und Österreicher aus demografischen Gründen mehr Stunden arbeiten sollten, wenn sie es auch können. Kinderbetreuungspflichten seien dabei natürlich ausgenommen.

Auch an der Sozialpartnerschaft habe der Kanzler nicht generell Kritik geübt, interpretierte Kocher die Aussagen Nehammers. Diese spielten "eine sehr wichtige Rolle" in Österreich und es sei klar, dass diese ihre Interessen stark vertreten würden. Kritik gebe es aber daran, dass Maßnahmen der Regierung bei den Lohnverhandlungen nicht so stark einbezogen worden seien, "als wir uns gewünscht hätten".

Am Montag findet die erste Verhandlungsrunde zum Metaller-KV statt. Dabei fordern Arbeitnehmervertreter ein Plus von 11,6 Prozent, was Wirtschaftsforscher als "moderat" einstufen. Kocher sieht schwierige Voraussetzungen. Ratschläge will er keine erteilen, in der "Pressestunde" betonte er aber, dass die Inflation nach unten gebracht werden müsse. Die Regierung stehe bereit, wenn die Sozialpartner sie riefen.

Offener Brief von Babler

Positiv äußerte sich Kocher zur Zusammenarbeit mit den Grünen, obwohl es natürlich unterschiedliche Standpunkte gebe: "Insgesamt ist die Stimmung und das Klima in der Koalition sehr gut." Arbeit gebe es in der restlichen Legislaturperiode genug zu erledigen. Die Frage, ob Kocher - der mehrmals betonte parteifrei zu sein - auch in einer von der FPÖ angeführten Regierung seinen Job weiter machen würde, verneinte er: "Das kann ich mir nicht vorstellen."

Empörung in der ÖVP rief indes ein offener Brief von SPÖ-Chef Andreas Babler hervor, in dem er nach dem Auftauchen des Nehammer-Videos offen um christlich-soziale Wähler wirbt. "Jetzt ist die Katze aus dem Sack", befand Fritz Pöltl FCG-ÖAAB-Fraktionsvorsitzender in der AK-Wien, der ein Ablenkungsmanöver der SPÖ von der Sora-Affäre vermutet. Christliche Werte seien in Bablers Gedankengut "kaum bis gar nicht zu finden". (APA, awie, 1.10.2023)