Es war eine absurd anmutende Szene, die sich vergangene Woche vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) abgespielt hat: Sechs Kinder und Jugendliche waren vor das Gericht gezogen, weil sie ihre Grundrechte von der stetig voranschreitenden Erderhitzung bedroht sehen – ihnen gegenüber standen über 80 Anwältinnen und Anwälte. Diese Armada an Rechtsexperten sollte die 32 Staaten verteidigen, die die Kinder geklagt haben. Dass der EGMR die Beschwerde zugelassen und sogar mündlich verhandelt hat, macht sie zu einer der wichtigsten Klimaklagen. Eine Verurteilung könnte nicht nur finanzielle Folgen für die Staaten haben, sondern auch eine enorme Strahlwirkung auf künftige Klimapolitik. Auslöser der Klage waren verheerende Brände in Portugal, bei denen über 100 Menschen starben und riesige Waldgebiete zerstört wurden. Die Kinder argumentieren, dass der Klimawandel die Flammen weiter befeuert hat, und fordern nachvollziehbare Konsequenzen von den Verursachern vulgo den angeklagten Ländern – darunter auch Österreich. Sie sollen endlich ihre Emissionen senken und ihre selbstgesteckten Klimaziele rasch und konsequent umsetzen.

Auslöser der Klage waren verheerende Brände in Portugal, bei denen über 100 Menschen starben und riesige Waldgebiete zerstört wurden.
imago/GlobalImagens

Noch absurder als klagende Kinder ist aber die Reaktion der Länder. Anstatt Maßnahmen zu beschließen, die effektiv Emissionen reduzieren, um für das 1,5-Grad-Ziel noch irgendwie die Kurve zu kratzen, engagieren sie Rechtsexperten. Anstatt ein Klimaschutzgesetz auf den Weg zu bringen, sollen Anwältinnen und Anwälte sie aus der Verantwortung ziehen. Zunächst sollten die Anwälte die Dringlichkeit der Klage aufheben, was jedoch nicht gelang. Danach sollten die Argumente der Kinder während der Verhandlung in Straßburg kleingeredet werden. Würden die 32 Staaten genauso viel Energie in den Klimaschutz stecken wie in ihre Verteidigung, wäre die Klimapolitik wohl bereits einen Schritt weiter. (Julia Beirer, 1.10.2023)