Klickediklack, klickediklack. Tausend Fäden sind nach einem komplizierten System gespannt, metallene Weberschiffchen rasen auf Schienen zwischen ihnen hin und her und verdrehen sie hintereiner vordereiner links rechts ineinander, unten kommt millimeterweise eine glänzende Borte heraus. Man kommt sich vor wie mitten in einem ASMR-Video auf Youtube, das sind diese Filmchen, in denen angenehme Geräusche auf Dauerloop für Nervenberuhigung sorgen. Plötzlich machts nur mehr Klack, dann ist es ruhig. "Ui, jetzt ist ein Faden gerissen!"

Mitten im hippen siebenten Bezirk betreibt Albert Maurer die Posamentenfabrik.
Mitten im hippen siebenten Bezirk betreibt Albert Maurer die Posamentenfabrik.
Regine Hendrich

Albert Maurer, Chef der Posamentenfabrik M. Maurer in 6. Generation – der "M." im Firmenname war sein Urururgroßvater Matthias, Sohn des Firmengründers Hans Maurer – ist nicht weiter bekümmert. Wo gearbeitet wird, reißen Fäden, und der riesige, automatische Webstuhl ist drauf vorbereitet: Sobald in diesem komplizierten Fadenspiel ein Schnürchen fehlt, unterbricht ein Gewicht das Geratter und das Werkl steht kurz still, damit wieder eingefädelt werden kann und keine überflüssigen Längen fehlerhafter Borte produziert werden.

Der Webstuhl ist nur eine von zahllosen großen und noch größeren Maschinerien, die auf den drei Stockwerken im Firmensitz in der Wiener Kandlgasse ihrem täglichen Gewebe nachgehen. Posamenten, das sind, einfach gesagt, textile Verzierungen jeglicher Art – von Borten, Bändern und Fransen bis Quasten, Epauletten (Schulterspangen bei Uniformen) zu Spitzen und Stickereien. Über 5.000 Artikel verschiedene Artikel werden hier produziert, schätzt Albert Maurer, als er durch die verschiedenen Bereiche der Firma führt.

Quasteln: Über 5.000 verschiedene Artikel werden in der Wiener Fabrik produziert.
Quasteln: Über 5.000 verschiedene Artikel werden in der Wiener Fabrik produziert.
Regine Hendrich

Es mutet ungewöhnlich an, mitten in dieser teuren, boomenden Wohngegend, "dem" Bobo-Grätzl in Neubau, einen derart großen Betrieb zu finden. 25 bis 30 Mitarbeiter*innen sind hier angestellt, dazu kommen noch 17 Heimarbeiter*innen, und 5 Lehrlinge werden ausgebildet. "Wir waren eben zuerst da", kommentiert Maurer trocken. "Nach dem Krieg hatten wir fast 250 Mitarbeiter. Keine Ahnung, wo die hingepasst haben, aber die Zahl ist belegt." Seit 1883 ist die Firma im 7. Bezirk angesiedelt. "Eigentlich hätten wir also heuer unsere 160 Jahre-Feier, ich habe aber aber keine Zeit, sie zu organisieren." Es ist eine Frage der Prioritäten. Das Geschäft läuft zwar gut, aber wahrlich nicht von allein.

Vierkantschnüre und Feengold

Maurer zeigt auf ein mysteriöses, mannshohes Gebilde aus Gusseisen, Zahnrädern und dünnen Metallstangen, in die mehrere Fadenspulen eingespannt sind, irgendwas dreht sich rhythmisch und dann kommt oben eine dicke, viereckige Schnur heraus. "1906" steht in einer Ecke eingestanzt. "Das ist eine unserer ältesten Maschinen, damit macht man Tressen, das sind Vierkantschnüren etwa für Schulterspangen bei Uniformen." Für die vielen Maschinen gibt's im Haus auch einen eigenen Mechaniker, der sie richtet. "Bei den Ersatzteilen muss man allerdings oft kreativ sein", so Maurer, "vor allem weil manche Maschinen mein Großvater noch selber gebaut hat. Und für gewisse Maschinen müssen wir auch Leute aus der Schweiz einfliegen lassen, das kostet halt dann."

Der Familienbetrieb stellt seit 250 Jahren Schnüre, Borten, Kordeln und Krepelinen her, teilweise noch auf den historischen Maschinen, die Maurers Großvater selbst gebaut hat.
Der Familienbetrieb stellt seit 250 Jahren Schnüre, Borten, Kordeln und Krepelinen her, teilweise noch auf den historischen Maschinen, die Maurers Großvater selbst gebaut hat.
Regine Hendrich

Vorbei geht's an einer weiteren Maschine, der tatsächlich noch über Lochkarten gesteuert wird. "Das ist ein Bortenwebstuhl, mit dem macht man geschweifte Borten, die zweiseitig sind, also etwa für Krägen." Man lernt viel hier in den insgesamt sechs Bereichen der Posamentenfabrik: Stickerei, Flechterei, Weberei, Spinnerei, Handarbeit und Galon (maschinengehäkelte Schnüre, wie man sie etwa von Quasten kennt). Die wenigsten Menschen können ja überhaupt mit dem Begriff "Posamenten" etwas anfangen – doch hier geht's noch mehr ins Detail. Quasi im Vorbeigehen lernt man über Glanzgimpenfransen (das sind z. B. die goldenen, gedrehten Fransen auf Grabkranzschleifen), Krepinen (die blütenförmigen Borten z. B. auf Dirndloberteilen) und Portepees (spezielle Bömmel für Uniform-Degen). All das wird hier regelmäßig hergestellt.

Es ist auch kein Handwerk, das droht, verloren zu gehen – selbst wenn auch hier immer nach Nachwuchs gesucht wird. "Die Techniken sind allesamt verschriftlicht, oder auch in den Lehrbüchern festgehalten", versichert der Firmenchef Bei Maurer werden insgesamt vier Lehrberufe gelehrt, neben Bürokaufmann sind das Weberei, Posamentriererei und Stickerei. Und doch kommen angesichts mancher Stücke im Lagerbestand staunende Zweifel auf, ob das heute noch wer zusammenbrächte: Meterweise geklöppelte Goldspitze etwa, ein himmlisch schönes, kunstvolles Gewirke aus metallenen Fäden von unglaublicher Komplexität, einfach so verborgen in einer Pappschachtel – wie ein kurzer Blick in eine andere, wundersame, geheimnisvolle Welt aus Glanz und Feenstaub.

Industrie mit Einzelstücken

Aber zurück in die Realität. Auch wenn hier viel mit traditionellen Techniken und auf alten Maschinen gearbeitet wird, für nostalgische Betrachtungen nimmt Maurer sich keine Zeit. Hier wird für das Hier und Heute produziert, hauptsächlich für B2B. "Vorproduziert wird bei uns nur sehr wenig. Sachen halt, von denen man weiß, dass sie gefragt sind – Bänder, Schnüre, sowas. Aber zum Großteil arbeiten wir nach Auftrag." Zum Kundenstock gehören etwa die österreichischen Feuerwehren, das Bundesheer, aber auch Theater- und Filmproduktionen, Möbelhersteller und Modedesigner. "Die kommen dann mit ihren Ideen und Entwürfen zu uns, ob als Bleistiftskitze oder Vektorgrafik, und wir arbeiten dann mit ihnen zusammen."

Für Lena Hoschek hat M. Maurer etwa eine ganze Kollektion an eigens designten Borten produziert, ein paar Rollen davon liegen im kleinen Verkaufsraum, der jeden Dienstag und Donnerstag auch für Privatkundschaft geöffnet ist. "Wir können aus technischen Gründen ja keine Kleinstmengen produzieren, und man muss auch immer mit kleinen Fehlern rechnen, daher gibt es eigentlich immer etwas Überproduktion." Das heißt, eine Spule Zierband mit einem Monogramm als Weihnachtsgeschenk wäre nicht so einfach machbar? "Machbar schon, klar, aber es kostet. Weniger wegen des Materialaufwands, sondern weil man die Maschinen für jedes Design ganz neu programmieren und einstellen muss, das ist ein recht aufwändiger Prozess. Unter 100, 200 Metern fange ich gar nicht zu produzieren an", so Maurer.

Zu m Kundenstock gehören die österreichischen Feuerwehren, das Bundesheer, Theater- und Filmproduktionen, Möbelhersteller und Modedesigner.
Zu m Kundenstock gehören die österreichischen Feuerwehren, das Bundesheer, Theater- und Filmproduktionen, Möbelhersteller und Modedesigner.
Regine Hendrich

M. Maurer ist tatsächlich hierzulande die einzige und letzte selbst produzierende Posamentenfabrik mit Einzelstückanfertigungen, und zwar "als Industriebetrieb, nicht als Gewerbebetrieb", darauf ist man stolz. Genau wie auf die Tatsache, dass hier sowohl hohe Qualitätsstandards garantiert werden als auch die Herstellung in Österreich. "95 Prozent unserer Waren produzieren wir selbst, bei außergewöhnlichen Wünschen müssen wir manchmal zukaufen, aber auch aus dem Inland." Die Rohmaterialien, also Stoffe, Garne, Fäden etc., werden, soweit es möglich ist, aus Europa bezogen. Verarbeitet wird "… alles. Seide, Kunstseide, Baumwolle, Wolle, synthetische Fasern – kommt darauf an, was der Kunde möchte und was er bezahlt. Ich frage überlege immer:, Lässt es sich machen‘, und wenn es geht, dann machen wir es."

Daneben spannen gerade zwei Mitarbeiterinnen über die Länge eines Raums mehrere Fäden auf, nach einem speziellen System, hier entstehen lange, glänzende Seile aus ineinander verdrehten Schnüren, wie sie etwa für Kirchenampeln verwendet werden. "Da dürfen wir jetzt nicht hineingehen, sonst haben die gar keine Freude mit uns", sagt Maurer, und wie auf Befehl beginnt neben ihm einer der Webstühle zu rattern. (Gini Brenner, 3.10.2023)