Max Haimendorf sieht jung aus für sein Alter. Das sagt er selbst. "Und jetzt stellen Sie sich mal vor, wie ich mit 28 ausgesehen habe", sagt er und lacht. Damals, mit 28, wurde er der jüngste Schulleiter Großbritanniens. Und was er meint, ist: Man hätte ihn vermutlich auch für einen Schüler halten können, als er die Verantwortung für die King Solomon Academy im Londoner Stadtteil Marylebone übernahm.

16 Jahre später hat der heute 44-Jährige eine Erfolgsgeschichte vorzuweisen. Eine Geschichte, die von Chancenungleichheit handelt. Von der Vision, sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern eine Bildung zu ermöglichen, die ihnen aufgrund ihres sozialen Status' sonst verwehrt geblieben wäre. Und von dem unbedingten Willen, die Ungerechtigkeit im Bildungssystem zu besiegen. Mittlerweile hat sich die einstige Problemschule King Solomon Academy den Ruf einer Eliteschule erarbeitet, an der auch und vor allem sozial benachteiligte Kinder ausgebildet werden.

"Früher hat meine Mutter mit mir regelmäßig einen Ausflug zum Campus der Oxford-Universität gemacht", erklärt Haimendorf. "Um mich an den Ort zu gewöhnen, sodass ich da eines Tages studieren möchte." Die mütterliche Taktik hat funktioniert. In Oxford studierte Haimendorf Mathematik, bevor er zum Schulleiter ernannt wurde.

Seine Mutter machte einst mit ihm Ausflüge nach Oxford, um ihn an die Uni zu gewöhnen. Die Taktik ging auf: Max Haimendorf studierte dort Mathematik.
Leonhard Laurig

Aber er weiß auch: Die meisten Eltern machen einen solchen Ausflug mit ihren Kindern nicht. Deswegen macht Haimendorf es mit ihnen. Die Klassen seiner Schule besuchen regelmäßig die Top-Unis des Landes. Das stärke das Selbstbewusstsein der Schülerinnen und Schüler und gebe ihnen ein Ziel.

Olympischer Gedanke im Lehrberuf

"Für eine Woche wohnen wir mit den Schülern sogar auf dem Campus", erklärt Haimendorf, während er am Freitag auf einer Bühne im Wiener Erste Campus steht und im Rahmen des Wiener Bildungsfestivals seine Geschichte erzählt. Kann daraus auch Österreich lernen? "Nun", sagt er nach der Veranstaltung im Gespräch mit dem STANDARD, "zunächst einmal muss man sich anschauen, warum Schulen in London über die vergangenen Jahre so viel besser geworden sind."

Da sei zunächst die zusätzliche Finanzierung zu erwähnen. Durch Gehaltserhöhungen wurde es Lehrerinnen und Lehrern ermöglicht, auch im teuren London leben zu können. Außerdem helfe der Status als Akademie seiner Schule dabei, unkonventionelle Wege zu gehen. Die behördlichen Einflüsse sind dadurch weitaus geringer. Beispielsweise kann Haimendorf als Schulleiter das Lehrerkollegium selbst zusammenstellen: "Das hilft sehr dabei, die Qualität der Lehre zu steigern."

Schulleiter Haimendorf plädiert für "eine warme Strenge" mit den Schülerinnen und Schülern.
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Und ein praktischer Ratschlag? "Was bei uns sehr gut funktioniert, ist das Lehrer-Coaching", sagt der Schulleiter. "Früher war es so, dass man einfach sein Ding durchgezogen hat, sobald mal einmal Lehrer ist." Doch es brauche eine kontinuierliche Unterstützung und Weiterbildungen für Lehrerinnen und Lehrer. Den Lehrerberuf vergleicht Haimendorf mit einer Teilnahme an den Olympischen Spielen – ohne Coach unvorstellbar. "Es geht nicht darum, wie gut du bist, sondern darum, ob du besser werden willst."

Strenge Regeln – aber kein Spielkonsolen-Bann

Im Umgang mit Schülerinnen und Schülern sei außerdem wichtig, was Haimendorf "Verhaltensmanagement" oder "eine warme Strenge" nennt. Schulen in London sind für ihre starke Führung bekannt. Einmal sorgte Haimendorf international für Schlagzeilen, als berichtet wurde, dass seine Schule die Spielkonsolen von Schülerinnen und Schülern konfisziert hätte, um die schulischen Leistungen zu verbessern.

Heute lacht Haimendorf über diese Berichte. In den verganegnen 15 Jahren sei es zweimal vorgekommen, dass Eltern ihn darum gebeten hätten, die Spielkonsole des Kindes symbolisch zu "konfiszieren". Die Geschichte sei dann von den Medien hochgejubelt worden, sagt er. Dennoch spricht er sich für strenge Regeln in Schulen aus. Das gebe den Kindern und Jugendlichen Orientierung.

Laut Studie zu wenig Freiraum

Sollte Österreich sich also an den Methoden der Londoner King Solomon Academy bedienen? So leicht ist es leider nicht, weiß Haimendorf. Er will Österreich nicht das britische Bildungssystem aufdrücken. Ihm sei bewusst, dass sich Lehrerinnen und Lehrer immer nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten und behördlichen Vorgaben bewegen können.

Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie von Roland Bernhard, Professor für Schulentwicklung und Leadership an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule (KPH) Wien/Krems. Er hat vor kurzem 22 Führungskräfte in elf englischen Schulen befragt, die trotz fordernder Rahmenbedingungen besonders gute Lernergebnisse erreichen. In den Interviews betonten diese die Bedeutung einer klaren Vision, die darauf abzielt, dass Schülerinnen und Schüler besser lernen.

Doch in Österreich sind die Schulleitungen in ihren Handlungsmöglichkeiten durch einen Mangel an Freiraum, Zeit und Ressourcen vergleichsweise eingeschränkt, wird in der Studie betont. "Wenn Schulleitungen mit administrativen Tätigkeiten 'zugedeckt' werden – dies ist eine häufige Klage von Schulleitungen in Österreich –, wird echtes pädagogisches Leadership kaum möglich sein", fordert Bernhard eine Entlastung von Administration und die Einführung eines mittleren Managements.

Budget und Suche nach Lösungen

Und dennoch passiert in Österreich etwas, um sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler zu fördern. Seitens der türkis-grünen Bundesregierung wurden sogenannte Brennpunktschulen zuletzt mit zusätzlichem Budget unterstützt (Projekt "100 Schulen – 1.000 Chancen"): Seit Beginn des Schuljahrs 2021/2022 konnten 100 Volks- und Mittelschulen mit besonders schwierigen Bedingungen anmelden, was konkret sie brauchen – und innerhalb von drei Semestern insgesamt 15 Millionen Euro abrufen. Zwei Drittel des Geldes wurden für Sachmittel (etwa Lernmittel, IT, Mobiliar) vorgesehen, ein Drittel für Personal. Die Standorte wurden anhand von Faktoren wie der Anzahl von Kindern mit nicht-deutscher Umgangssprache, bildungsfernen Elternhäusern oder auffälligen Ergebnissen bei den Bildungsstandard-Testungen ausgewählt.

In Wien hat die die rot-pinke Stadtregierung 2022 ein eigenes Programm namens Wiener Bildungsversprechen ins Leben gerufen, um Brennpunktschulen unter die Arme zu greifen. Sozial benachteiligte Kinder und Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache sollen davon profitieren. Im Rahmen des Programms entwickeln die Schulen binnen zwei Jahren Lösungen für Herausforderungen an ihrem Standort. Welche das sind, legen sie selbst fest: Es wird geschaut, was die jeweilige Schule gerade braucht.

Vielleicht ist das am Ende genau das, was Schulen in Österreich von der King Solomon Academy lernen können: mutig genug zu sein, die Strukturen aufzubrechen und neue, individuelle Konzepte zu entwickeln. Und eine Vision zu spinnen. Max Haimendorfs Vision ist es, allen Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, nach ihrem Abschluss an einer Top-Uni des Landes zu studieren, und zwar "whatever it takes", also "was immer es koste" – auch ohne Geld. (Leonard Laurig, 7.10.2023)