Es sieht düster aus. Die Konjunktur, die Lage in den westlichen Demokratien und die politische Entwicklung in Österreich.

Widerwillig nehmen viele allmählich doch zur Kenntnis, dass in Europa Krieg ist; dass dieser Krieg nicht nur wirtschaftliche Auswirkungen hat, sondern auch unsere freie Lebensweise bedroht. Der russische Imperialist Wladimir Putin sagte jetzt, er wolle "eine neue Welt errichten" – gegen den Westen. Aufstrebende extrem rechte Parteien in Europa, darunter die AfD und die FPÖ, finden das ganz gut. Die größte westliche Demokratie, die USA, hält noch dagegen, aber die US-Demokratie zeigt Risse.

41 Prozent der Wahlberechtigten wollen laut einer STANDARD-Umfrage eine grundlegende Änderung des politischen Systems in Österreich.
APA/ROLAND SCHLAGER

Österreich liegt da mittendrin und weiß sich nicht recht zu helfen. ÖVP, Grüne, SPÖ und Neos finden keinen Boden unter den Füßen. Nur die FPÖ ist stark, und Herbert Kickl wird täglich dreister. Er sagt immer deutlicher, was er sich als "Volkskanzler" vorstellt: ein hart rechtes, pseudo-demokratisches Regime, teils nach historischem, teils nach aktuellem (Orbán) Vorbild. Vor allem aber ist die Stimmungslage unter den Wählern alarmierend: 40 Prozent wollen nach einer STANDARD-Umfrage "was anderes", ein anderes politisches System. Wenn es nicht so ganz demokratisch ist, auch recht, kann man vermuten.

Scharfe Gegnerschaft

Und nun das "Aber": Die Widerstandskräfte in Österreich sind da, aber verstreut und (noch?) nicht gebündelt. SPÖ, Grüne, Neos werkeln derzeit nur so vor sich hin. In der ÖVP gibt es welche, die eine Koalition mit der FPÖ, schon gar unter einem Kanzler Kickl, scharf ablehnen, aber es gibt auch die anderen. Die Landeshauptleute von Vorarlberg, Tirol, Steiermark sind gegen die FPÖ, die von Oberösterreich, Salzburg und Niederösterreich haben sich bereits gefügt.

Die Zivilgesellschaft ist vorhanden, wäre auch zu mobilisieren. Zeit wird’s. Der Bundespräsident kann gegen einen Kickl, der über eine parlamentarische Mehrheit (mit der ÖVP) verfügt und den Kanzleranspruch stellt, auf Dauer nichts ausrichten, im Extremfall nur demissionieren. Das wäre die Staatskrise. Dann gibt es die Medien. Der ORF wird gerade so "reformiert", dass man nicht weiß, ob seine kritischen Elemente erhalten bleiben. Die Krone ist erstaunlich FPÖ-kritisch, die Frage ist, ob das so bleibt. Die Bundesländerzeitungen sowie Presse und Kurier sind bürgerlich-liberal bis bürgerlich-konservativ. Werden alle im Fall des Falles (Kickl-Machtübernahme) "halten"? DER STANDARD lässt keinen Zweifel an seiner liberalen Haltung und an seiner scharfen Gegnerschaft zu Kickl und FPÖ. Durch die in den letzten Jahren erreichte enorme Ausweitung der Online-Präsenz (3,5 Millionen sogenannte Unique User pro Monat) sind wir zu einem Power-Medium geworden, das über die liberale Kernschicht hinausreicht.

Fundamentale Herausforderung

Die Konjunktur wird sich nächstes Jahr bessern, sagt die Wirtschaftsforschung. Europa hat begriffen, dass es vor einer fundamentalen Herausforderung durch Putin steht. In Österreich wäre der Widerstand gegen eine "Orbánisierung" zu organisieren.

Aber Widerstand reicht nicht. Das Gefühl von sehr vielen in Österreich, dass irgendetwas fundamental schiefläuft und nur eine vielleicht bedenkliche, aber jedenfalls "starke" Umwälzung die Lösung wäre, ist der eigentliche Ansatzpunkt.

Gibt es einen echten Dialog der Politik, aber auch der Medien mit den Menschen, die sich übergangen fühlen, die systemverdrossen sind? Zum Beispiel ist das Kapitel "Corona-Maßnahmen" und warum so viele so rabiat reagierten, unaufgearbeitet. Wo wäre noch anzusetzen? Meldungen sind willkommen. (Hans Rauscher, 7.10.2023)