Es kann nicht sein, sich täglich ein billiges Schnitzel reinzuhauen, sagt Volker Plass. Norbert Totschnig warnt vor mehr Importen zulasten österreichischer Bauern. Auf einen grünen Zweig kommen die beiden weder in Fragen der Klimapolitik noch des Fleischkonsums.

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) und Arche-Noah-Chef Volker Plass: "Es geht um unsere Ernährung."
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STANDARD: Bundeskanzler Karl Nehammer hat in einem Video Burger und Pommes als warme Mahlzeit für Kinder empfohlen. Reißt es einen da nicht als Landwirtschaftsminister? Das Gros der Bauern lebt ja nicht von Fastfood, sondern von Vielfalt auf dem Teller?

Totschnig: Es waren Funktionärsgespräche, und man muss den Kontext sehen. Es wird zusehends versucht, Österreich schlechtzureden. Karl Nehammer wollte betonen, dass die Bundesregierung angesichts der hohen Inflation sehr viel für die Entlastung der Familien getan hat, von der Abschaffung der kalten Progression bis hin zur höheren Kinderbeihilfe. Und jenen, die hilfsbedürftig sind, wird auch weiterhin geholfen.

Plass: Ich war lange genug in der Politik, um zu wissen, dass man unter seinesgleichen deftiger formuliert. Was ich traurig finde, ist, dass es bei Karl Nehammer und der ÖVP ein Verständnisdefizit gibt, was Armut bedeutet. Sie ist nicht ein Mangel an einigen Euro oder guten Kochrezepten, sondern ein tiefgehendes strukturelles Problem. Es ist eines Kanzlers nicht würdig, das mit saloppen Ratschlägen an alleinerziehende Frauen abzutun. Und auch der Staat trägt gewisse Verantwortung, was gesunde Ernährung betrifft.

STANDARD: Kommt der Staat dieser nach? Die öffentliche Beschaffung etwa ist bei Bio wenig ambitioniert.

Totschnig: Ziel ist, den Anteil an regionalen, biologischen Lebensmitteln auszubauen. Das ist in manchen Bereichen aufgrund des hohen Kostendrucks alles andere als einfach. Deshalb arbeiten wir intensiv daran.

Norbert Totschnig: "Essen lässt sich nicht verordnen. Konsumenten sollen weiter die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, was sie kaufen und was sie essen."
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STANDARD: Ich habe Ihnen etwas mitgebracht. Eine Laune der Natur gepaart mit Selektion hat in einem Garten aus diesen winzigen schwarzen Bohnen prächtige große gemacht. Ein Gesetzesvorschlag für die EU-Saatgutverordnung will die Erzeugung und Weitergabe von Saatgut aber drastisch einschränken. Kontrollieren bald wenige große Konzerne unsere Ernährung?

Totschnig: Das EU-Saatgutrecht ist aus den 60er-Jahren. Es ist höchste Zeit für eine Reform. Sortenvielfalt und Saatguttausch müssen weiter möglich sein. Es braucht einen Schutz für die kleineren Züchter. Es muss sich aber auch die Saatgutwirtschaft weiterentwickeln können. Es geht um Biodiversität, aber auch um klimafitte Sorten.

Plass: Für Hausgärtner gibt es gewisse Liberalisierungen. Für Bauern ist der Vorschlag der EU-Kommission jedoch ein Entrechtungspaket, das Ihnen größte Sorge bereiten sollte. Bäuerliche Weitergabe von Saatgut wird praktisch verboten. Vier Konzerne dominieren bereits die Hälfte des globalen Saatgutmarkts. Es geht um die Basis der Ernährung. In Ihrem Haus sollten alle Alarmglocken schrillen. Das Mindeste, das ich mir wünsche, ist, dass Organisationen, die wie die Arche Noah eine genetische Schatzkiste bewahren, aus bürokratischen Fesseln befreit werden.

Totschnig: Es darf kein zusätzlicher bürokratischer Aufwand entstehen, hier bin ich bei Ihnen. Wir stehen aber erst zu Beginn der Verhandlungen. Unser gemeinsames Ziel ist es, Sortenvielfalt zu erhalten.

STANDARD: Weltweit gibt es tausende Sorten Bohnen. Supermärkte bieten nicht einmal eine Handvoll an. Ähnliches gilt für die bunte Palette an Obst und Gemüse. Stört Sie dieser Einheitsbrei?

Totschnig: Uns ist wichtig, nachhaltige regionale Produkte anzubieten. Das ist im Sinne des Klimaschutzes. Was verkauft wird, entscheiden jedoch die Konsumenten, Konsumentinnen und der Lebensmittelhandel. Dieser hat in Österreich etwa zu einer starken Ausweitung der Bioproduktion beigetragen.

Plass: Einspruch. Nicht alles, was regional produziert wird, ist gut. Ein unter elenden Bedingungen in Niederösterreich gehaltenes AMA-Schwein hat nichts mit Qualität und Bio zu tun. Die Konzentration aufs Regionale bedient vielleicht das Narrativ "Mia san mia". Viel wesentlicher aber ist, unter welchen Bedingungen produziert wird.

Volker Plass: "Bäuerliche Weitergabe von Saatgut wird praktisch verboten. Vier Konzerne dominieren bereits die Hälfte des globalen Saatgutmarktes. In Ihrem Haus sollten alle Alarmglocken schrillen."
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STANDARD: Werden regional und Bio zu oft gegeneinander ausgespielt?

Plass: Bio schlägt immer Regionalität. Eine Biotomate aus Italien hat einen geringeren ökologischen Fußabdruck als eine konventionell produzierte aus einem fossil beheizten Glashaus in Österreich. Es würde bei Bio so viel mehr gehen, in Kindergärten und Schulen, in der öffentlichen Beschaffung. Wir könnten eine nationale Strategie fahren. Ziel müssten 100 Prozent Bio sein. Wir brauchen eine Landwirtschaft, in der Böden nicht ruiniert werden, in der es genetische Vielfalt gibt, wo Bauern keine am Subventionstropf der EU hängende Opfer sind.

Totschnig: Österreich ist mit einem Bioflächenanteil von fast 28 Prozent Weltmeister in der Bio-Produktion. Ausgleichszahlungen fließen in Mehrleistungen, die Biodiversität wurde ausgebaut. Wir erhalten mit unserer Art der Landwirtschaft kleine Strukturen. Und es gibt tausende Betriebe, die alles für die Tiergesundheit tun. Dass einige wenige aus Gründen wie persönlichen Schicksalsschlägen damit Probleme haben, können wir leider nie ausschließen. Wir haben aber das Tierschutzgesetz 2022 novelliert. Dieses gehört im Schweinebereich zu den strengsten in Europa.

Plass: Allerdings mit Übergangsfristen bis 2039 ...

Totschnig: Ja, weil ein neuer Stall mehr als eine Million Euro kostet. So ein Umbau geht nicht von heute auf morgen. Deshalb investieren wir abseits der Novelle bis 2027 eine Milliarde Euro in höhere Tierhaltungsstandards. Die AMA hat die Kontrollen verschärft. Wir wollen auch im konventionellen Bereich tierwohlgerechte Wege gehen. Das Wichtigste dabei ist für Landwirte jedoch Planungs- und Investitionssicherheit.

Plass: Diese Planungssicherheiten würden sich Unternehmer, die unter Rahmenbedingungen arbeiten, die sich viel rascher ändern, wünschen. Viele Bauern sind verzweifelt, weil sie es kaum schaffen, wirtschaftlich zu überleben. Es kann nicht sein, dass Sie glücklich damit sind, wenn das Kilo Schweinefleisch 4,99 Euro kostet und Landwirte davon 1,50 Euro erhalten. Diese Billigproduktion gehört beendet. Wir müssen weniger Fleisch, dafür in höherer Qualität konsumieren. Pflanzliche Ernährung muss attraktiver werden. Damit ich nicht zu einem Kind sagen muss: "Geh' zum McDonald's".

Norbert Totschnig: "Wir zählen beim Tierschutz zu den weltbesten Ländern. Das bitte ich zu honorieren."
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STANDARD: Was halten Sie von höheren Steuern auf Fleisch und von einer im Gegenzug stärkeren Förderung pflanzlicher Alternativen?

Totschnig: Es ist wichtig, dass sich die Menschen gesund und ausgewogen ernähren – mit Produkten aus der Region. Was die Klimabilanz unseres Fleischs betrifft, zählen wir weltweit zu den klimafreundlichsten. Aber wir agieren auf globalen Märkten. Essen lässt sich nicht verordnen. Jede und jeder soll die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, was sie kaufen und was sie essen. Was es braucht, ist Bewusstseinsbildung.

Plass: Keiner will daran rütteln. Die Frage ist, unter welchen Rahmenbedingungen werden freie Entscheidungen getroffen. Produziere ich Fleisch unter schrecklichen Bedingungen, um es billig zu halten, darf man sich nicht wundern, wenn Billigfleisch gekauft wird. Fleischsteuern wären nicht durchsetzbar. Der Schlüssel ist strenger Tierschutz. Es kann nicht sein, dass sich jeder jeden Tag das Billigschnitzel reinhaut.

Totschnig: Wir zählen beim Tierschutz zu den weltbesten Ländern. Das bitte ich zu honorieren. Wir treiben daher Herkunftskennzeichnungen in allen Bereichen voran. Höchste Standards sind wichtig, die Produkte müssen aber auch zu einem höheren Preis gekauft werden. Wird günstig aus dem Ausland importiert, bleiben unsere Bäuerinnen und Bauern auf ihren Lebensmitteln sitzen.

Plass: Ich erinnere an den Weinskandal 1985, als die gesamte Weinwirtschaft am Boden lag. Hätte man damals gesagt: Die Österreicher sind billigen Wein in Dopplerflaschen gewohnt und würden nie Qualität kaufen, dann hätte sich wohl nichts verbessert. Wie hat man damals reagiert? Mit dem strengsten Weingesetz Europas und einer Neuorganisation des Marketings. Das wäre nun auch bei der Produktion von Fleisch und Bio dringend notwendig. Stattdessen wird beschwichtigt und blockiert, werden Systeme konserviert. Warum geht beim Klimaschutz nichts weiter? Warum ist Österreich in Brüssel einer der großen Bremser bei der Pestizidreduktion?

Totschnig: Über ganz Europa Pflanzenschutz in der biologischen und konventionellen Landwirtschaft pauschal um 50 Prozent zu reduzieren und in bestimmten Gebieten überhaupt keinen zuzulassen, würde die Lebensmittelproduktion und die Einkommen der Landwirte einbrechen lassen und Importe in die EU erhöhen. Das können wir nicht unterstützen. Wir müssen einen Weg verfolgen, der umsetzbar ist, den die Bauern mitgehen und der die Versorgung sicherstellt.

"Österreich hat viel für Klimaschutz getan", sagt Norbert Totschnig. "Wo ist das Klimaschutzgesetz, wo ist innovative Verkehrspolitik?", fragt Volker Plass. "Ich würde mir erwarten, dass Bauernbund und Landwirtschaftskammern auf die Barrikaden steigen."
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STANDARD: Die EU-Kommission will die Zulassung des umstrittenen Herbizids Glyphosat verlängern, was Österreichs Agrarpolitik goutiert. Sie aber müssen in Brüssel dagegen stimmen. Wie geht es Ihnen mit diesem Spagat?

Totschnig: Wir sind hier aufgrund eines Beschlusses der FPÖ, der SPÖ und der Grünen im Jahr 2017 verfassungsrechtlich gebunden. Ob Glyphosat in Österreich weiter zur Anwendung kommen darf, wird nun in EU-Gremien entschieden. In Summe hat Österreich den chemisch-synthetischen Pflanzenschutz deutlich reduziert. Die Kombination aus natürlichen Maßnahmen und einem sparsamen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln – wir nennen es integrierten Pflanzenschutz – ist in Österreich mittlerweile Standard.

Plass: Synthetische Pestizide passen nicht mit Nachhaltigkeit zusammen. Biolandbau produziert etwas geringere Erträge. Diese sind aber volkswirtschaftlich kein Problem, wenn man an zwei Stellschrauben dreht: weniger Fleisch – weil was auf Feldern wächst, ist ja zu einem großen Teil Tierfutter – und weniger Lebensmittelverschwendung. Es wäre gut, das Gesamtkunstwerk im Auge zu behalten.

STANDARD: Unternimmt Österreich beim Klimaschutz mehr als nur Symptombekämpfung?

Totschnig: Die Bundesregierung hat viel für Klimaschutz getan: das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, Energieeffizienzgesetz, Klimaticket, Photovoltaikausbau, Förderprogramm "Energieautarke Bauernhöfe", Transformationsfonds für die Wirtschaft. Jetzt wollen wir beim Erneuerbaren-Gase-Gesetz weiterkommen. Die Landwirtschaft forscht an trockenresistenten Sorten, arbeitet an klimafitten Wäldern. Auch wenn es noch viel zu tun gibt – das sind alles herzeigbare Leistungen.

Plass: Das ist wertzuschätzen. Es ist dennoch viel zu wenig. Mittlerweile haben alle Bauern verstanden, dass sie die Hauptleidtragenden der Klimakatastrophe sind. Allein was wir bei Arche Noah in den letzten zwei Jahren erlebt haben! Erst friert die Blüte ab, dann eine Hitzewelle, gefolgt von Starkregen. Dann haut ein Hagelsturm das Glashaus ein und reißt drei alte Obstbäume auseinander. Ich würde mir erwarten, dass Bauernbund und Landwirtschaftskammern auf die Barrikaden steigen. Wo ist das Klimaschutzgesetz? Wo ist innovative Verkehrspolitik? Ein besonders klimaschädlicher Anteil der Landwirtschaft steckt in Pestiziden und Kunstdünger.

Totschnig: Das ist sehr verzerrt. Der Anteil der Landwirtschaft an den Treibhausgasen beträgt lediglich elf Prozent, die Hälfte kommt von Wiederkäuern. Wir haben den Treibhausgasausstoß in der Landwirtschaft seit 1990 um mehr als 14 Prozent reduziert, während dieser im selben Zeitraum im Verkehrsbereich um 50 Prozent gestiegen ist. Die Bauern und Bäuerinnen als Klimasünder hinzustellen, ist fachlich falsch.

Volker Plass: "Schauen Sie sich die Politik der ÖVP an: Nimmt man Tempo 100 in den Mund oder ein Aus des Verbrennungsmotors, ist es, als würden größte Heiligtümer beleidigt."
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Plass: Schauen Sie sich die Politik der ÖVP an: Nimmt man Tempo 100 in den Mund oder ein Aus des Verbrennungsmotors, ist es, als würden größte Heiligtümer beleidigt. Angesichts dieser Blockadehaltung und eines vollkommenen Mangels an politischer Fantasie müssten eigentlich Sie sich als Landwirtschaftsminister auf der Straße festkleben und sagen: "So kann es nicht weitergehen!"

Totschnig: Das eine sind Ziele, das andere ist die Umsetzung. In der EU werden rund 50 Prozent der weltweiten Sozialleistungen gezahlt, bei einem Bevölkerungsanteil von fünf und einem Wirtschaftsanteil von 15 Prozent des globalen BIPs. Europas Anteil am weltweiten Treibhausgasausstoß beträgt etwa sieben Prozent. Es ist gut, dass Europa als Vorbild vorausgehen will. Wir brauchen aber eine Bevölkerung, die mitzieht. (Verena Kainrath, 10.10.2023)