Martin Polaschek und Carmen Possnig trafen einander im Arkadenhof der Universität Wien.
Regine Hendrich

Sie ist Ersatzastronautin und träumt vom Mars. Er ist Wissenschaftsminister und kann sich die Reise zur Venus vorstellen. Im STANDARD-Gespräch diskutieren Carmen Possnig und Martin Polaschek i(ÖVP) m Arkadenhof der Uni Wien über Wissenschaftsskepsis, Extremsituationen und die Frage: Sind wir allein?

STANDARD: Neben Feuerwehrmann oder Polizist zählt auch Astronaut zu den Traumjobs vieler Buben. Was wollten Sie einst werden?

Polaschek: In meiner Kindheit kam es zwar zur ersten Mondlandung, aber in den späten 1960er- und 1970er-Jahren waren Astronauten noch nicht auf meiner Liste. Mich haben das Lesen und der Sport interessiert.

STANDARD: Wussten Sie schon immer, dass es Sie ins Weltall zieht?

Possnig: Einer meiner Kindheitsträume war, Entdeckerin von Leben in fremden Welten zu werden. Ich hätte aber auch gerne Dinosaurier wieder zum Leben erweckt oder wäre Autorin geworden.

Polaschek: Als Wissenschafter würde es mich selbstverständlich interessieren, das Weltall zu sehen und zu erforschen. Mein Lieblingsfach war aber Geschichte, daher habe ich mich für diesen Bereich entschieden, der auf seine Art und Weise genauso faszinierend ist.

STANDARD: Auch Indien ist zuletzt auf dem Mond gelandet. Warum zieht es Menschen auf den Erdtrabanten?

Possnig: Der Mond wirkt weit weg, die Reise kompliziert. Das stimmt aber gar nicht. Wir haben die Technologie, dass wir Menschen in den nächsten Jahren wieder dort landen. Der Mond ist an sich interessant, wir können aber auch viel über das Leben auf der Erde lernen.

STANDARD: Wie sieht Österreichs Beitrag zur Weltraumforschung aus?

Polaschek: Wir sind in der Weltraumforschung sehr aktiv. In Graz haben wir etwa mit dem Institut für Weltraumforschung an der Akademie der Wissenschaften eine ausgezeichnete Forschungsinstitution. Der Weltraum hat viele Funktionen für uns. Zahlreichen Satelliten dienen unserem Alltagsleben. Eine modernere Kommunikation wäre ohne sie nicht möglich. Wir messen aber auch diverse Daten, die uns helfen, das Wetter vorherzusagen und die Welt besser zu verstehen.

Possnig: "Würden wir Leben finden, würde unsere Generation eine der größten Fragen der Menschheit beantworten."
Regine Hendrich

STANDARD: Was lehrt uns das Universum über das Leben auf der Erde?

Possnig: Der Mond ist interessant, da er sehr früh entstanden ist und ziemlich unverändert blieb. Die Erde hat sich hingegen stark verändert im Laufe der Jahrmillionen. Der nächste Schritt ist der Mars. In 20 bis 30 Jahren könnten wir dorthin fliegen. Würden wir Leben finden, würde unsere Generation eine der größten Fragen der Menschheit beantworten: Sind wir alleine? Es ist nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch eine philosophische Frage. Leben auf anderen Planeten würde unsere Stellung im Universum komplett verändern.

STANDARD: Sind wir alleine?

Polaschek: Ich denke nicht, dass es derzeit vergleichbares Leben gibt. Das heißt nicht, dass es nicht irgendwann ein solches gegeben hat oder geben wird. Es ist nicht nur eine räumliche, sondern auch eine zeitliche Frage.

Possnig: Der Mars war früher ein lebensfreundlicher Planet. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir heute Leben finden, das lebendig ist, ist gering – aber Spuren von Leben, das früher existiert hat, sind möglich.

STANDARD: Sie haben sich gegen 22.000 Bewerberinnen und Bewerber bei der Europäischen Weltraumagentur (Esa) durchgesetzt. Was können Sie besser als all die anderen?

Possnig: Es ist auf jeden Fall sehr viel Glück dabei – die Tagesverfassung ist natürlich auch ein Faktum. In sechs verschiedenen Schritten wurde alles abgetastet – von Persönlichkeit, über Psychologie bis zur Frage, wie man mit Stress umgeht oder im Team arbeitet. Dann stehen Intelligenztests an und ganz viele verschiedene medizinische Untersuchungen. Da sind viele rausgeflogen, weil sie nicht perfekt gesund waren. Ein Weltraumflug ist ja doch ein gesundheitliches Risiko.

STANDARD: Gegen wie viele Personen haben Sie sich durchgesetzt?

Polaschek: Im Laufe der Zeit: viele. In der Politik ist das Durchsetzen anders als bei einem Bewerbungsverfahren. Da geht es tagtäglich darum, möglichst viele Menschen zu überzeugen und Mehrheiten zu finden.

STANDARD: Was können Sie besser als andere?

Polaschek: Was ich gut kann, ist zuzuhören, auf Menschen einzugehen, dass ich kreativ bin und dass ich etwas verändern möchte.

STANDARD: Sie haben 2017 ein Jahr lang mit einem Team in der Antarktis gelebt und geforscht, weil es dort ähnliche Umstände wie auf dem Mars gibt. Wie groß war die Herausforderung?

Possnig: Wir waren praktisch neun Monate komplett isoliert auf einer Station in der Mitte des Kontinents, 1000 Kilometer von der Küste entfernt. Da kann im Winter auch kein Flugzeug landen – es ist zu kalt, zu hoch, zu dunkel. Dementsprechend muss man mit allem, was kommt, selbst fertig werden. Das war hart.

STANDARD: Herr Minister, waren Sie schon einmal isoliert?

Polaschek: Für einen längeren Zeitraum noch nicht. Wobei das Alleinsein etwas anderes ist, als mit anderen auf engen Raum lange Zeit isoliert zu sein.

STANDARD: Während der Pandemie waren viele isoliert. Damals ist auch das Vertrauen in die Wissenschaft gesunken. Was tun Sie dagegen?

Polaschek: Etwa zehn Prozent der Menschen in Österreich haben eine tiefgreifende Skepsis gegenüber der Wissenschaft. Viele andere haben einfach wenig Interesse daran. Ihnen müssen wir zeigen, wie wichtig Wissenschaft für ihr Leben ist.Die Schule hat eine große Funktion. Deshalb setzen wir auf verschiedenste Initiativen – etwa durch die Wissenschaftsbotschafterinnen und Wissenschaftsbotschafter, die den Kindern und Jugendlichen vermitteln, was es heißt, in der Wissenschaft tätig zu sein.

Polaschek: "Wir müssen jedes Jahr von Neuem Mädchen für Naturwissenschaften begeistern."
Regine Hendrich

STANDARD: Knapp 640 Menschen waren im All – elf Prozent davon Frauen. Was braucht es, um die nächste Astronautin auszubilden?

Polaschek: Wir müssen jedes Jahr von Neuem Mädchen für Naturwissenschaften begeistern. Und natürlich sind Rolemodels wichtig.

Possnig: Es geht darum, das Selbstvertrauen zu stärken – daran muss man permanent arbeiten.

STANDARD: Sie arbeiten derzeit an Ihrer Dissertation zur Weltraummedizin. Wie verändert sich unser Körper in der Schwerelosigkeit?

Possnig: Wir sind perfekt daran angepasst, dass wir auf der Erde leben – etwa sind unsere Muskeln und Knochen auf die Schwerkraft ausgelegt. Knochen werden stark, wenn wir gehen, wenn sie Erschütterungen spüren – ohne Schwerkraft verringert sich die Knochendichte. Die Muskeln in den Beinen bauen sich in der Schwerelosigkeit ab. Ganz wie beim normalen Alterungsprozess auf der Erde, nur dass ein Astronaut im All etwa zehnmal so schnell altert.

Wer altert schneller: Astronautinnen oder Minister?
Regine Hendrich

STANDARD: Manche sagen, dass Politiker auch schneller altern.

Polaschek: Man hat in der Politik mit genügend Erschütterungen zu tun. Politik erfordert Hingabe, die einen belebt, aber auch Energie kostet.

STANDARD: Werden wir noch Weltraumtourismus erleben?

Possnig: Es ist stark im Kommen, aber man muss auch vorsichtig damit sein. Einfach ins All zu fliegen, um paar Fotos zu schießen, ist eine enorme Belastung für die Umwelt. Wenn ein Astronaut ins All fliegt, haben wir einen wissenschaftlichen Nutzen. Auf der Internationalen Raumstation gibt es etwa ein unersetzbares Labor.

STANDARD: Welchen Planeten würden Sie gerne bereisen?

Polaschek: Vielleicht die Venus – oder einen Gasplaneten mit völlig anderen Bedingungen.

Possnig: Den Mars. Allein der Flug, wenn die Erde immer kleiner wird, muss ein irrsinnig seltsames Gefühl sein. Aber ich finde auch die Eismonde des Jupiters spannend, weil es in den Ozeanen unter der Eisschicht Leben geben könnte. (Oona Kroisleitner, 3.10.2023)