Wien – Der aktuelle Lehrermangel in manchen Fächern und Regionen führt dazu, dass viele Lehramtsstudierende schon vor dem Abschluss viele Stunden in Schulen unterrichten. Oft werden sie dabei in fremden Fächern eingesetzt, ein Drittel arbeitet bereits als Klassenlehrer oder Klassenvorstand. Unter dieser Belastung leidet jedoch die Ausbildung, die Studierenden machen weniger Prüfungen, und die Situation schadet ihrer Professionalisierung, zeigt eine aktuelle Studie der Uni Wien.

Die Lehrerausbildung besteht derzeit aus vier Jahren Bachelorstudium und bei Volksschullehrern aus einem, bei Lehrern der Sekundarstufe (Mittelschule, AHS, BMHS) aus zwei Jahren Masterstudium. Dazu kommt nach Dienstantritt noch eine zwölfmonatige Induktionsphase, bei der man von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen in die Berufspraxis eingeführt wird.

58 Prozent der Masterstudierenden unterrichten bereits

In der Praxis werden Junglehrer wegen des Personalmangels allerdings zu einem guten Teil schon während der Ausbildung wie voll ausgebildete Pädagogen eingesetzt. Das zeigt eine nicht repräsentative, aber "sehr umfangreiche" Studie, für die ein Team um Nele Kampa vom Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität Wien 1.635 Lehramtsstudierende aus ganz Österreich befragt hat. Demnach unterrichten 58 Prozent der Masterstudierenden und immerhin ein Viertel der Bachelorstudierenden – und damit "nicht adäquat ausgebildete Personen" – bereits neben dem Studium. Zum Einsatz kommen sie vor allem an Volks- und Mittelschulen, hieß es am Dienstag in einer Aussendung der Uni Wien.

Volksschule
Studierende unterrichten vor allem an Volks- und Mittelschulen.
APA/HELMUT FOHRINGER

Im Mittel sind diese Lehramtsstudierenden 16 Unterrichtsstunden pro Woche im Einsatz, mit Vor- und Nachbereitungsaufgaben arbeiten sie 33 Wochenstunden für die Schule. Für Schulpädagogik-Professorin Kampa ist das zu viel. Im Gespräch mit der APA verweist sie etwa auf die Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz in Deutschland, ausschließlich Masterstudierende und auch diese nicht für mehr als zehn Unterrichtsstunden an den Schulen einzusetzen.

Fachfremder Unterricht

Auch inhaltlich werden die Früheinsteigerinnen und -einsteiger an den Schulen herausgefordert: Laut Studie haben sie teils mehr als drei Fächer zu unterrichten. In einigen Unterrichtsgegenständen (Turnen, Deutsch als Zweitsprache, Informatik, Technisches Werken oder Kunsterziehung) ist dabei weit mehr als die Hälfte der Studierenden fachfremd im Einsatz und unterrichtet damit ohne entsprechende Ausbildung. Außerdem werden laut Kampa knapp 19 Prozent der Bachelorstudierenden und rund 30 Prozent der Masterstudierenden bereits als Klassenlehrkraft oder Klassenvorstand eingesetzt. Problematisch sei dabei zusätzlich, dass relativ wenige auch von erfahrenem Lehrpersonal betreut werden.

Unter all diesen Belastungen leidet das Studium. Die Dauer liegt bei den Früheinsteigern 2,5 Semester über der von Studierenden, die gar nicht arbeiten und ein Semester über der von Studierenden mit anderen Berufen. Außerdem legen Lehramtsstudierende, die schon unterrichten, nur halb so viele Prüfungen ab wie andere Studierende. Auch die Freude am Studium ist im Vergleich geringer. Früheinsteiger fühlen sich zwar eher auf herausfordernde Situationen in der Schule vorbereitet, gleichzeitig haben sie laut Studie aber überhöhte Vorstellungen von den eigenen Kompetenzen.

Nur die Hälfte will im Lehrberuf bleiben

Kampa fordert, die Belastungen der Studierenden durch klare Regeln für den Einsatz an Schulen zu verbessern, etwa durch eine Begrenzung der Unterrichtsstunden oder eine Einschränkung der Zusatzaufgaben. Auch bei akutem Lehrermangel dürfe die Unterrichtsqualität nicht vernachlässigt werden, unterstrichen auch der aktuelle und der frühere Leiter des Zentrums für Lehrer*innenbildung an der Uni Wien, Martin Rothgangel und Manfred Prenzel. "Der Früheinstieg in den Lehrberuf verzögert nicht nur den Studienabschluss, sondern gefährdet die Entwicklung wichtiger berufsrelevanter Kompetenzen", warnen sie. Die großen persönlichen Belastungen könnten Anlass geben, Studium und Beruf aufzugeben. So kann sich laut Studie nur die Hälfte der Früheinsteiger vorstellen, bis zur Pensionierung als Lehrkraft zu arbeiten. Immerhin ein Zehntel will maximal fünf Jahre in diesem Feld bleiben.

FPÖ und Neos üben Kritik an Bildungsminister

"Das Stopfen der Lücken mit Lehramtsstudenten kann keine Dauerlösung sein", reagierte FPÖ-Bildungssprecher Hermann Brückl auf die Studienergebnisse. Bildungsminister Martin Polschek (ÖVP) müsse "endlich Nägel mit Köpfen machen und zumindest die Reform der Lehrerausbildung durchziehen". Es brauche eine verkürzte, vereinfachte und attraktivere Lehrerausbildung und außerdem auch Reformen bei Besoldung und Arbeitszeit.

Für die Neos ist die Studie ein Beleg dafür, dass es nur Nachteile habe, Lehramtsstudierende allein und zu früh in Klassen zu stellen. "Polaschek soll endlich eine Gesamtstrategie auf den Tisch legen, damit Schule endlich ein Ort wird, an dem Lehrkräfte gerne arbeiten und Kinder und Jugendliche gerne lernen", forderte Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre ein Ende der "Marketingschmähs". (APA, 10.10.2023)