Präparatorin Eisbär
Eine Präparatorin verschafft der Eisbärin mit Schminke den letzten Schliff.
NHM Wien, Christina Rittmannsper

Das zweite Leben beginnt für die Eisbärin Nora (ihr Name wird offiziell nicht mehr genannt) vorerst in der Präparationsabteilung des Naturhistorischen Museums (NHM) in Wien. Mit sanftmütigen Glasaugen blickt sie in eine illustre Runde: verschiedenste Vögel, ein paar Hamster in verschiedenen Posen, Schneehasen, ein Polarwolf – und in einer Ecke ein verblüffend lebendig aussehender Golden Retriever in einem Kisterl samt Fressnapf.

Rundherum türmen sich Utensilien wie in einer riesigen Bastelwerkstatt: Drähte, Kleber, Bohrmaschinen, Stoff- und Styroporreste, Nägel und Nadeln jeder Größe. An der Decke hängen Geweihe, auf den Kästen und Regalen liegen verschiedenste Tierschädel, von einer Wand stieren Modelle von Affengesichtern, in kleinen Kisten liegen fein sortiert Knochen und Knöchelchen jeder Art. Dazwischen appliziert eine Mitarbeiterin der sogenannten Zoologischen Hauptpräparation das Federkleid eines Finken auf einen kleinen Körper aus Holzwolle.

Eisbären-Präparat
Die Eisbärin wartet in den reichlich gefüllten Kammern der Präparationsabteilung auf ihren Einsatz.
APA/EVA MANHART

Speckkäfer-Reinigung

Der Geruch ist streng und wird noch intensiver, als Präparator Robert Illek eine Kiste unter einem Tisch hervorzieht und den Deckel abnimmt. Es wurlt da drin nur so von Speckkäfern, die sich gerade über die Überreste einer Schildkröte hermachen. Nach eineinhalb Tagen Fressgelage ist aber nicht viel mehr als der Panzer zu sehen – eine ideale Methode zum Skelettieren kleiner und kleinster Wirbeltiere, wie Illek betont.

Ein Kaliber wie die Eisbärin wird allerdings chemisch und unter Einsatz von Enzymen in der sogenannten Mazerationsanlage im Keller des NHM behandelt. "Zur Zeit liegt dort ein Löwe aus dem Salzburger Zoo", berichtet Illek. Nur die Eisbärkrallen – das einzige Skelettteil, das im Präparat übrig blieb – wurden sehr wohl zur Reinigung in die Speckkäfer-Kiste gebracht.

Nachdem Nora im Oktober 2022 im Alter von fast neun Jahren aufgrund einer akuten Kolik eingeschläfert werden musste, informierte der Tiergarten Schönbrunn gemäß einer langjährigen Kooperation zuerst das NHM. Dort schlug man gerne zu – eine tote Eisbärin bekommt man nicht alle Tage.

Präparat Eisbärin
Kostümprobe der anderen Art: Die Präparatoren mussten erst einen passgenauen Körper für das originale Fell der Bärin anfertigen.
NHM Wien, Christina Rittmannsper

Eisbärenkörper aus dem Katalog

Zunächst wurden der Bärin in der Pathologie die Innereien entnommen, dann landete das immer noch mehr als 200 Kilogramm schwere Tier in der Präparationsabteilung des NHM. Dort wurde das Fell abgezogen, eingesalzen, getrocknet und zu einem Gerber in Deutschland geschickt. In der Zwischenzeit hat das Präparationsteam, insgesamt zu siebent, einen Körper aus PU-Schaum, dessen Grundform aus dem Katalog bestellt werden kann, passgenau an die doch eher zarte Eisbärin angepasst. Insgesamt vier Wochen dauerte der aufwendige Prozess, bei dem eine rasierte Stelle am Bauch mit einem Stück Fell aus dem großen Ersatzlager kaschiert und die richtigen Augen ausgesucht werden mussten. Zuletzt wurden Nase, Lippen und Augenlider geschminkt.

Nun steht sie aufgrund des Platzmangels aufrecht und in friedlicher Pose mit flauschigem Fell da und wartet auf ihren Einsatz: Sie wird einer der Stars der Sonderausstellung "Arktis. Polare Welt im Wandel" sein, die am 8. November eröffnet wird. Daneben wird auch ein extra nachhaltig angefertigtes Modell eines Belugawals auf Papiermaschee-Basis zu sehen sein, das neben einem geschätzt 200 Jahre alten Präparat eines Moschusochsen, Robben und Rentieren in den Werkstätten hängt und zu den Highlights der Schau gehören wird.

Belugawal-Modell
Auch das ist eine Art der Präparation: Dieses Modell eines Belugawals wurde aus nachhaltigen Materialien, unter anderem Papiermaschee, gebaut.
APA/EVA MANHART

"Eisbären stehen wie kein anderes Tier für den anthropogenen Klimawandel", sagte NHM-Generaldirektorin Katrin Wohland bei der Präsentation der Bärin. Anhand der Arktisbewohner, deren Wildpopulation von derzeit etwa 20.000 bis 30.000 stetig schwindet, könne der Wandel der polaren Welt und die damit einhergehende Veränderung der komplexen Nahrungskette demonstriert werden. "Eisbären sind ein Symbol. Ihnen schmilzt wortwörtlich das Eis unter den Füßen weg", bekräftigte auch Folko Balfanz, zoologischer Kurator im Tiergarten Schönbrunn. Die Eisbärin Nora selbst war nie in der Wildbahn unterwegs. Als Teil des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms, das rund 100 Eisbären umfasst, wurde sie im Zoo von Tallinn geboren. "Sie kann nun über den Tod hinaus für die Edukation nützlich sein", sagte Balfanz.

Handwerk mit Tradition

Die Bärin gehört jedenfalls zu den exotischeren Präparaten in der Sammlung des Naturhistorischen Museums. Im Kühlhaus schlummern derzeit noch etwa 2.500 weniger spektakuläre Vögel, Fledermäuse und andere kleinere Tiere, um irgendwann herausgeputzt zu werden. "Es sind vor allem Anflug- und Straßenopfer, Tiere aus Zoos und von privaten Züchtern", schildert Robert Illek die Quellen. "Manchmal kommen auch einfach Leute, die uns einen Fasan oder einen Marder bringen."

„Ein zweites Leben. Wie ein Eisbär-Präparat entsteht“
Sie stemmen und schleifen, ziehen Häute ab, malen, schnitzen Körperkerne oder legen organische Strukturen frei. In ihren Werkstätten staubt es und riecht oft streng nach Verwesung oder Lösungsmitteln.
NHMWien

Das Handwerk habe sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert, sagte Ernst Mikschi, Direktor der Ersten Zoologischen Abteilung am NHM. Anstelle des schnöden Ausstopfens mit Stroh kommen heute neue Materialien und Technologien zum Einsatz. Dementsprechend wartet das NHM auch mit Geräten wie einer Knochenentfettungs-, Stickstoff- und einer Gefriertrocknungsanlage auf. Um den Tieren möglichst originalgetreues Leben einzuhauchen, wird mit Airbrush und Präzisionsinstrumenten gearbeitet. Dennoch ist das Handwerk, das eine große Portion Kunstfertigkeit genauso wie Magenstärke braucht, vom Aussterben bedroht.

In Wien, wo das Morbide bekanntlich seit jeher einen guten Stand hat, ist die Präparation ein traditionsreiches Gewerbe. Bis zum Zusammenbruch der Monarchie galt die "Wiener Schule" als wegweisend. Der Anatom Josef Hyrtl (1810–1894) beispielsweise wurde zur Koryphäe. Er war Begründer der Korrosionstechnik, bei der Gefäßen und Hohlräumen von Organen Präparationsmischungen eingespritzt werden, um nach dem Aushärten das umliegende Gewebe zu entfernen. Hyrtl versorgte die halbe Welt mit seinen für ihre Schönheit berühmten anatomischen Präparaten. Heute ist Österreich das einzige Land in der EU, das eine duale Ausbildung zum Präparator oder zu Präparatorin anbietet. Derzeit streben übrigens vor allem Frauen das Berufsfeld an. Der Eisbärin ist das alles gleichgültig. In ihrer neuen Rolle wird sie höchstwahrscheinlich selbst die Eisschmelze in der Arktis überdauern. (Karin Krichmayr, 10.10.2023)