Lukas Baumann untersucht mit Hilfe von Ethnografie soziale und ethnische Gruppen in natürlicher Umgebung.
Baumann

Emotionen stellen die Sozialforschung vor große Herausforderungen. "Sie treten nicht nur niemals 'rein' auf, sie sind auch schwer greifbar, flüchtig und nicht klar erkennbar", sagt Lukas Baumann. Er ist seit 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Transnationale Migrations- und Solidaritätsforschung an der Universität Klagenfurt. In seiner Dissertation beschäftigt er sich mit Emotionen in Unterkünften für Geflüchtete. "Meine Fragestellung ist, welche Emotionspraktiken sich in der Arbeitsbeziehung insbesondere von jungen Geflüchteten und Sozialarbeiter:innen herauskristallisieren", sagt er. Seit April besucht der Forscher Einrichtungen in ganz Österreich, in denen vor allem unbegleitete Minderjährige untergebracht sind.

Baumann selbst ist in Baden-Württemberg aufgewachsen und hat Soziologie und Ethnologie studiert. Seinen Master machte er an der Hochschule Coburg. Das Interesse für Sozialforschung hat sich auch durch private Erlebnisse entwickelt. "Nach dem Abitur war ich eine Zeitlang in Indien auf Reisen. Da war die Frage sehr präsent, wie Menschen – gerade in einem Kontext, in dem eine Milliarde Menschen leben und die soziale Ungleichheit auf ein Maximum gesteigert ist – zusammenleben können." Mit Fluchtursachen und Migration kam er auch bei einem Praktikum im westafrikanischen Ghana in Berührung.

Ohnmacht

In Österreich beobachtet Baumann nun ein Jahr lang Interaktionen in den Einrichtungen. Wie gehen Sozialarbeiter, Ehrenamtliche, Gesundheitspersonal und andere Akteure mit den Geflüchteten um, wie gehen sie miteinander um? Er nutzt den Forschungsstil der Ethnografie, bei dem soziale und ethnische Gruppen oder Institutionen in natürlicher Umgebung untersucht werden. Die Datenerhebung und -analyse ist vielseitig, gearbeitet wird mittels teilnehmender Beobachtung sowie diverser Interviewformen. Im Sinne der "Multi-Sited Ethnography" folgt Baumann den Personen nach einer Interaktion und befragt sie zu ihrer Wahrnehmung und ihren Empfindungen dazu.

Für Vorabergebnisse sei es noch zu früh, erste Tendenzen seien aber erkennbar. So würden alle Beteiligten ein Gefühl der Ohnmacht empfinden. Ein Grund sei, dass die Ausbildung oft nicht adäquat auf die praktische Arbeit vorbereite, ein anderer, dass Menschen in diesen Einrichtungen institutionell Sachzwängen ausgeliefert seien. Baumann will den Emotionsbegriff besser nutzbar für die soziale Arbeit machen. "Es geht nicht um Menschen und ihre Situation, wie Erving Goffman sagen würde", meint Baumann. Er spielt auf den kanadischen Soziologen an, dem es bei der Ergründung sozialer Interaktion nicht um Menschen und ihre Situationen ging, sondern um Situationen und ihre Menschen. Der Forschungsfokus richtete sich auf die Interaktion, nicht die Charaktere. "Auch ich würde es umdrehen und sagen, bei meiner Arbeit geht es um Emotionen und ihre Menschen." (Sarah Kleiner, 14.10.2023)