Zwei streitende Kinder im Zug, eine verzweifelt wirkende Mutter sitzt daneben.
Es gibt unzählige fordernde Situationen für Eltern. Viele Mütter kämpfen mit hohen Ansprüchen an sie – etwa unendlich Geduld haben zu müssen.
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Es gehe ihr nicht gut, schreibt Heide Lutosch gleich zu Beginn ihres Buches "Kinderhaben". Auf dem Spielplatz, beim Kinderschuhekaufen, beim Tupperdosen-Ein-und-Auspacken fragte sie sich: Was mache ich hier eigentlich? Sie ist nicht die Einzige, die viele Aspekte des Kinderhabens unglücklich machen und isolieren. In ihrem Buch unterzieht sie dieses gemeinsame Gefühl vieler Mütter einer Analyse – und sie weiß heute, was sie anders machen würde.

STANDARD: Sie beschreiben in Ihrem Buch, wie Sie gewisse Momente am Kinderhaben unglücklich und einsam gemacht haben – und dass Sie längst nicht die Einzige waren. Wie haben Sie entdeckt, dass es vielen anderen auch so geht?

Lutosch: Einer der Imperative des Mutterseins ist, dass man glücklich ist. Glücklich, stark, liebevoll und sich selbst nicht so wichtig nehmend. Diese Ideale verhindern, dass man sich unter Frauen gegenseitig zeigt, wie es einem geht. Ich habe es bei anderen Frauen nicht bemerkt und bei mir selbst am Anfang auch nicht.

Heute weiß ich, warum das so gelaufen ist. Der erste Schritt war, dass ich mir selbst eingestanden habe, wie es mir geht. Dann habe ich angefangen, darüber Bücher zu lesen. Viele aus den 1970er-Jahren, die damals schon über das Muttersein geschrieben wurden. Einigermaßen gestärkt durch diese Lektüre konnte ich andere Frauen bewusst darauf ansprechen, etwa wie sie diesen Wechsel zwischen Lohnarbeit und Familienarbeit empfinden.

STANDARD: Dennoch ist es heute nicht mehr ein so großes Tabu, dass Muttersein auch mühsam und belastend ist. Wird heute einfach eher darüber geredet, oder sind Mütter tatsächlich mehr belastet?

Lutosch: Ich glaub erst mal nicht, dass ein Problem dadurch größer wird, dass man darüber reden darf. Dadurch wird es in gewisser Weise handlebar. Wenn Probleme nicht als etwas Kollektives erfahrbar sind, weil es gar keine gemeinsame Sprache dafür gibt, dann gibt es auch keine gemeinsame Erfahrung, über die ganz selbstverständlich gesprochen wird.

Aber ja, die Frage ist wirklich, was genau ist heute so belastend? In den 1960er-Jahren mussten viele Frauen im Arbeitermilieu in der Fabrik arbeiten und Kinder großziehen, mit sehr wenig Geld und teils auch ohne Waschmaschine. Es gibt Bedingungen, die sehr viel härter sind als die, unter denen ich meiner Kinder großgezogen habe. Aber wir wissen darüber nur wenig, weil diese Frauen keine Zeit und nicht das Selbstbewusstsein hatten, um das aufzuschreiben.

Ich bin sehr vorsichtig zu sagen, dass es heute besonders anstrengend ist. Im Vergleich zum bürgerlichen Milieu der 1970er-Jahre ist aber tatsächlich einiges dazugekommen. So sind etwa die Ansprüche sowohl bei der Berufstätigkeit als auch im Bereich der Kindererziehung stark gestiegen.

Heide Lutosch:
Heide Lutosch: "Ich glaube, dass sehr wenige Männer ganz mit sich im Reinen sind und sagen: Ich will wirklich Kinder haben."
Moritz Langer

STANDARD: Warum sind die Ansprüche heute viel höher?

Lutosch: Im Beruflichen hat es mit der Entwicklung des Kapitalismus zu tun, mit einem hohen Konkurrenzdruck und einem viele höheren Anspruch an Eigeninitiative, Kreativität – man muss immer auf Zack sein.

Für meine Eltern galt noch viel stärker, dass Kinder laut sind und meistens irgendwie nerven. Heute sollte man das als Mutter nicht sagen, stattdessen sollte man ihre seelische Entwicklung immer genau im Blick haben, was ja gut ist – aber es ist auch ein sehr hoher Anspruch.

Hinzu kommt, dass das Berufliche und die Kinderbetreuung völlig widersprüchliche Bereiche sind. Und auch innerhalb der Familie gibt es widersprüchliche Rollenerwartungen: Man soll liebevoll sein, aber auf keinen Fall eine Glucke, man soll wahnsinnig gut durchorganisiert, aber gleichzeitig auch entspannt und spontan sein. Man soll sehr altruistisch sein, aber sich selbst auf gar keinen Fall aus dem Blick verlieren.

Und schließlich gibt es auch keine klare Rollenverteilung zwischen den Partner:innen mehr. Das bringt einen unheimlichen Bedarf an Absprachen und Aushandeln mit sich, was die Sache auch nicht einfacher macht.

STANDARD: Sie schreiben, auch Frauen hätten an diesen hohen Belastungen ihren Anteil. Glauben viele, sie machen alles rund um das Kind besser?

Lutosch: Ja, dieses starke Kontrollbedürfnis von Frauen bei der Familienarbeit beschäftigt mich immer wieder. Ich denke, auch das ist was Kollektives, das ist nichts Individuelles. Ich habe damit auch gekämpft und habe es dann gut hingekriegt, Kontrolle abzugeben. Irgendwann. Das muss man machen, wenn man möchte, dass die Männer mitarbeiten. Ich beobachte oft, dass Frauen ihre Kinder nicht gut abgeben können und das Gefühl haben, sie können es halt einfach. Da müssen wir Frauen auch selbstkritisch sein.

STANDARD: Bei der Verteilung der Haus- und Sorgearbeit beißen sich aber wirklich viele die Zähne aus – und viele Frauen wollen beileibe nicht alles an sich reißen. Sie selbst haben geschrieben, sie hätten es aufgegeben und dass sie an einem bestimmten Punkt nur mehr wollten, dass diese Arbeit gesehen wird. Warum ist das so zäh?

Lutosch: Also erst mal ist es eine dreckige, undankbare, anstrengende und langweilige Arbeit. Dass Männer das Privileg mit Klauen und Zähnen verteidigen, diese Arbeit nicht machen zu müssen, ist eigentlich nicht erstaunlich. Sie müssen sich das nicht mal bewusst machen, sondern tun das sozusagen instinktiv.

Dazu kommt der Bereich der Mental Load, der unsichtbaren organisatorischen Arbeiten. Da steckt auch die Arbeit an Beziehungen drinnen, zu der wir unsichtbar erzogen worden sind, während Männer zu autonomen Wesen herangezogen werden. Durch diese Konstellation fällt es Frauen erst mal leichter, auf Fürsorge zu achten, während Männer nach Autonomie streben.

Heide Lutosch,
Heide Lutosch, "Kinderhaben". € 13,– / 103 Seiten, Matthes & Seitz, Berlin 2023
Matthes & Seitz Berlin

STANDARD: Sie sagen, Frauen würden nicht selten Männer zu Kindern überreden – woraus wiederum eine Verweigerungshaltung entstehe.

Lutosch: Ich glaube, dass sehr wenige Männer ganz mit sich im Reinen sind und sagen: Ich will wirklich Kinder haben. Wenn sich Väter mit kinderlosen Männern vergleichen, dann sind die klar im Nachteil: finanziell, zeitmäßig und was sexuelle Begegnungen angeht. Vor allem wenn sich akademisch gebildete Männer meiner Generation mit ihren eigenen Vätern vergleichen, schneiden sie verdammt schlecht ab. Die Väter der 1960er-Jahre konnten noch klassischen Männlichkeitsidealen entsprechen und sich trotzdem ab und zu mit ihren Kindern blicken lassen.

STANDARD: Was würden Sie heute anders machen?

Lutosch: Ich finde es heute sehr wichtig, sich diesen Leistungsidealen nicht zu beugen – weder im Beruf noch beim Kindergroßziehen.

Ich habe mir wahnsinnig Mühe gegeben, alles zu schaffen, alles richtig zu machen. Inzwischen finde ich das nicht mehr gut, und ich hätte mich ganz anders verweigern sollen. Das ist eine Form von Widerständigkeit. Bummelstreik bei der Arbeit und die Kinder nicht so oft waschen. Das Unperfekte kultivieren als politische Tat. Das ist aber auch gefährlich, weil es ja immer darum geht, ob man das finanziell hinkriegt.

Aber wenn ich es heute noch mal machen könnte, dann würde ich viel weniger Lohnarbeit machen. Das ist vielleicht platt, aber ich finde, es ist einfach zu viel. Und es wäre auch viel schöner, wenn man sich die Sorgearbeit mit mehreren Leuten teilen könnte.

STANDARD: Haben Sie aus finanziellen Gründen viel gearbeitet? Für Menschen mit einer langen Ausbildung geht es nicht immer nur um das Gehalt, sondern auch um Selbstverwirklichung und dass man etwas abseits der Familie machen möchte.

Lutosch: Ich wollte auf keinen Fall nur Hausfrau und Mutter sein, weil ich das in meiner eigenen Familie als einengend und ungesund erlebt habe. Aber in diesem intensivierten Berufsleben hätten mir 15 Stunden völlig gereicht, um rauszukommen und um meine anderen Fähigkeiten zu zeigen. Mehr zu arbeiten war einfach eine finanzielle Notwendigkeit.

Die Kombination aus emanzipatorischem Anspruch und finanziellen Notwendigkeiten ist irgendwie fatal. Man hat dadurch das Gefühl, man kommt da nicht raus – und will es auch gar nicht. Ich will nicht dafür plädieren, dass die Mütter wieder mit ihren Kindern zu Hause bleiben. Aber das Berufsleben mit den völlig widersprüchlichen Ansprüchen des Kindergroßziehens, das ist einfach brutal. (Beate Hausbichler, 11.10.2023)