Hermann – genannt "der eiserne" – Withalm, vor Jahren Generalsekretär der ÖVP, hatte seine Partei einst folgendermaßen charakterisiert: Die Ideologie von den Bauern. Das Geld von der Wirtschaft. Die Wähler vom ÖAAB. Diese Formel hatte jahrzehntelang funktioniert. Neuerdings scheint das freilich nicht mehr so zu sein. Er möge diese seine Partei nicht mehr, meinte neulich ein bekannter Jurist, Sohn eines ÖVP-Mandatars, der sein Leben lang konservativ gewählt hatte.

Wofür steht die ÖVP heute?
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Das liegt unter anderem daran, dass man vielfach nicht mehr weiß, was unter dem Begriff "konservativ" eigentlich zu verstehen ist. Eine Familie mit mehreren Kindern haben? Lieber klassische Musik hören als moderne? Und wo verläuft eigentlich die Linie zwischen konservativ und reaktionär? Zwischen marktwirtschaftlich orientiert und sozial verantwortungslos? Einige Entwicklungen der letzten Zeit haben die Verwirrung noch gesteigert.

Einheimische Herkunft

So hat die deutsche Politikerin Sahra Wagenknecht den Begriff "linkskonservativ" erfunden. Das heißt ungefähr: staatliche Eingriffe in die Wirtschaft ja, aber Gendern und Wokeness nein. Das gefällt auch vielen AfD-Wählern.

In Wien hat das eng mit Viktor Orbáns Ideen von illiberaler Demokratie verbundene Corvinus-Institut sich vor kurzem auf dem Kahlenberg einquartiert. Gegner vermuten, dass damit dieser besonders von Konservativen hochgeschätzte Ort, an dem an die Schlacht zur Befreiung von den Türken 1683 erinnert wird, für eine betont antimigrantische Geschichtsbetrachtung instrumentalisiert werden könnte.

Christliches Abendland gegen Islamisierung: Der Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer klagte über die "Machtergreifung der Araber" auf dem Brunnenmarkt. Die dortigen Standler sind Kleinunternehmer, die viel auf Leistung, Tradition und Familie geben und daher eigentlich prototypische konservative Wähler wären. Ist einheimische Herkunft wichtiger als Klassenzugehörigkeit?

Eigene politische Kriterien

Am äußersten rechten Rand der Parteienlandschaft, bei der FPÖ, lassen sich ebenfalls Widersprüche ausmachen. So hat der niederösterreichische FPÖ-Chef Udo Landbauer, Vorkämpfer gegen Migration, bekanntlich eine persische Mutter. Und die deutsche AfD-Vorsitzende Alice Weidel, deren Partei sich sowohl gegen Zuwanderung wie gegen dekadente Sitten starkmacht, lebt in einer lesbischen Ehe mit einer Frau aus Sri Lanka.

Auf der anderen Seite gibt es auch grenzüberschreitende Bündnisse und Freundschaften. So hat der ehemalige tschechische Außenminister Karl Schwarzenberg seinerzeit eine konservative Partei namens TOP mitbegründet. Das hinderte ihn nicht daran, der engste Mitarbeiter des linksliberalen Präsidenten Václav Havel zu werden. Und der einstige steirische ÖVP-Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer bemerkte einmal, ihm sei ein gestandener Gewerkschafter lieber als ein windiger Parteifreund.

Viele Bürger haben denn auch inzwischen ihre eigenen politischen Kriterien jenseits der Parteigrenzen aufgestellt: anständig oder nicht anständig. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 12.10.2023)