Pikachu hat gar keine schwarze Schwanzspitze, Nelson Mandela ist nicht in den 1980ern gestorben, der Monopoly-Mann hat kein Monokel, und Bridget Jones ist nicht dick. Wenn wir uns kollektiv falsch an etwas erinnern, nennt man das den Mandela-Effekt. Nelson Mandela ist nämlich zwischen vermeintlichem Tod irgendwann vor 1990 und echtem Tod 2013 der Präsident von Südafrika gewesen, und trotzdem sollen sich sehr viele Menschen daran erinnern können, wie er in den 1980er-Jahren in Haft verstoben sei.

Szene aus
Szene aus "Bridget Jones Diary", die unfassbar riesige Unterwäsche zeigen soll – für eine Frau mit einem Körpergewicht von 63 Kilo.
imago images/Mary Evans

Das Gleiche gilt für Pikachu, den Monopoly-Mann und Bridget Jones. Doch während die ersten beiden Beispiele harmlose Täuschungen sind, sagt unsere Wahrnehmung von Bridget Jones' Körperform viel über den damals vorherrschenden Schlankheitswahn aus. Wie auch der erste Tagebucheintrag im Film:

"If I didn’t change soon, I was going to live a life where my major relationship was with a bottle of wine, and I’d finally die fat and alone." Bridget Jones

Der BMI sagt "normal"

Es ist das Jahr 2001. Viele Leser:innen der Reihe "Geradegerückt" stecken mitten in der Pubertät. Wahrscheinlich kämpfen sie dabei mit den Anforderungen der Zeit, nämlich dem "Heroin Chic", einem besorgniserregenden Trend, so auszusehen, wie ein ausgemergeltes, drogenabhängiges Model. Vielleicht war einigen bereits klar, dass das Showgeschäft einem unerreichbare Ideale vor die Nase hält.

Mit dem 2001 in den Kinos anlaufenden Film "Bridget Jones. Schokolade zum Frühstück" bekommen verunsicherte Teenager allerdings ein weiteres Problem: Renée Zellweger verkörpert darin eine dicke, alte und ungeschickte Singlefrau. Also all das, was bloß niemand sein will. Die Figur Bridget sagt selbst, ihr Po sei so groß wie Brasilien. Mit 163 cm und 63 Kilogramm liegt sie laut Body Mass Index allerdings im Normalbereich. Das heißt, die Teenager von damals hatten neben unerreichbaren Vorbildern nun auch noch ein abschreckendes Beispiel, das eigentlich den Durchschnitt verkörperte.

Liebt Mark Darcy (Colin Firth) sie wirklich so, wie sie ist, oder doch dünner, fragen sich Bridgets Freund:innen. "Sagtest du nicht, sie sei dünn?", spottet Nebenbuhlerin Laura über Daniel Cleavers (Hugh Grant) Geschmack.

Trailer zu Bridget Jones's Diary (2001)
Studiocanal Cinema Club

Was war zur Jahrtausendwende eigentlich bei den Castings los? Gab es zu dieser Zeit keine dicke Schauspielerin, die diese Rolle spielen konnte? Renée Zellweger lag, bevor sie für den Film zunahm, mit 48 Kilo im Bereich des Untergewichts. Nehmen wir an, das damalige dick sei das heutige normal: Gab es keine durchschnittlich schwere Schauspielerin, die eine Figur mit durchschnittlichem Gewicht spielen konnte? Immerhin haben Frauen hierzulande eine durchschnittliche Kleidergröße von 42–44.

"Moppel-Muffel"

Für den dritten Teil von "Bridget Jones" soll sich Zellweger gegen eine erneute Gewichtszunahme gewehrt und einen Fatsuit gefordert haben. Darin spielt sie eine Schwangere.

"Vielleicht befürchtet Renée Zellweger aber auch einfach, ihre neue Flamme Bradley Cooper mit ihrem Schwabbel-Ich zu vergraulen – immerhin ist die Liebe zwischen den beiden noch ganz frisch", schreibt die Zeitschrift "Gala" 2009 unter dem Titel "Moppel-Muffel". So oder so sieht man von dem Anzug nichts, anscheinend wurden nur Bauch und Brüste präpariert. In der Serie "The Thing About Pam" trug Zellweger dann wirklich einen Fatsuit und wurde prompt für diesen "Betrug" angegriffen. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass Fatsuits in Filmen (wie in "Schwer Verliebt" mit Gwyneth Paltrow in der Hauptrolle) nicht unumstritten sind, da sie tatsächlich dicke Menschen erniedrigen können.

Inzwischen hat sich der Regisseur von "Bridget Jones", Richard Curtis, übrigens für das Bodyshaming in seinen Filmen indirekt entschuldigt (der STANDARD berichtete). Gegenüber seiner Tochter erwähnte er, dass er bereue, damals Witze über "moppelige" Frauen gemacht zu haben. Das sei heute nicht mehr möglich.

Renée Zellweger (54) bei der Oscarverleihung 2020 als sie die Auszeichnung für ihre Hauptrolle in
Renée Zellweger (54) bei der Oscarverleihung 2020, als sie die Auszeichnung für ihre Hauptrolle in "Judy" gewann.
imago images/ZUMA Press

Der Film ist offensichtlich nicht mehr zeitgemäß. Das merkt man schon in den ersten zwei Minuten (!). Eine Japanerin wird darin als "cruel race", also grausames Volk, bezeichnet, Bridgets Outfit wird mit "so bekommst du niemanden ab, wenn du ausschaust, als kämest du gerade aus dem KZ Auschwitz", kommentiert, und ein Partygast macht eine tickende Uhr nach, als es im Gespräch um ihr Singledasein mit über 30 Jahren geht. Der Film und die Romanvorlage kommen neben der Serie "Sex and the City" sogar in dem vielzitierten Werk "Top Girls" der Kommunikationswissenschafterin Angela McRobbie als Beleg für einen feministischen Backlash in dieser Epoche vor.

Zum Glück ist das alles Fiktion. Trotzdem hat auch Renée Zellweger Schaden an dieser Rolle genommen. Im Boulevard gab es fortan kein anderes Thema mehr als ihre Figur. Wie hat sie die 14 Kilo so schnell wieder abgenommen, ist eine Frage, die noch heute das Internet beschäftigt. Zumindest ist das die erste Frage, die Google in Verbindung mit ihrem Namen vorschlägt.

Das sind die ersten und damit am häufigsten gestellten Fragen, die erscheinen, wenn man den Namen Renée Zellweger googelt.
Google

Zellweger kennen eben viele nur als angeblich pummeligen, patscherten, unfreiwilligen, "alten" (mit 32 Jahren) Single im Bunny-Kostüm. Sicher, der erste Teil war kommerziell gesehen weltweit ihr erfolgreichster Film. Allerdings spielte sie in den Folgejahren mit "Chicago" (2002) und "Unterwegs nach Cold Mountain" (2003) einen Golden Globe für die beste Hauptrolle und einen Oscar für die beste Nebenrolle ein. Doch besonders viel Applaus erhielt sie fürs schnelle Abnehmen. Was sie dazu veranlasste, die Frage nach ihrem "Geheimrezept" nicht mehr zu beantworten, wie sie in der "Oprah Winfrey Show" bekanntgab.

Solche Diätwunder haben nämlich auch Nachteile: Weil sie nach dem ersten von drei "Bridget Jones"-Filmen sogar dünner war als vor dem Dreh, musste sich die Klatschpresse Sorgen machen. So sehr, dass sogenannte Ernährungsberater:innen hinzugezogen wurden, die Zellweger dann mit angeblich wertvollen Tipps versorgten. Etwa solle sie doch wie im Film selbst über ihr Gewicht Buch führen. Wie ironisch!

Renée Zellweger ist für immer Bridget Jones

Doch selbst als ihre Kilos berufsbedingt nicht mehr schwanken, lässt die Öffentlichkeit nicht von Zellwegers Aussehen ab. Es ist nachvollziehbar, dass eine Rolle, die eine Schauspielerin dreimal übernimmt, fest mit ihr verknüpft ist. Aber dass ihr Körper auch abseits dieser Rolle derart hämisch unter ständiger Beobachtung steht – das ist leider nur bei Frauen der Fall.

Selbst der sechsjährige Rückzug aus der Öffentlichkeit 2010 scheint keine Abhilfe geleistet zu haben. Danach gehen die Spekulationen über Schönheitseingriffe los. Als Hugh Grant in der TV-Show "Watch What Happens Live" sein Filmgegenüber unter sechs blonden Kopfausschnitten von den Augen aufwärts nicht erkennt, sehen die Seitenblicke darin den bereits lange ausstehenden Beweis, dass sie doch eine Beauty-OP gehabt haben muss, wenn selbst ER sie nicht erkennt.

"Not that it's anyone's business, but I did not make a decision to alter my face and have surgery on my eyes." Renée Zellweger

Zellweger ist diese Besessenheit auf ihr Äußeres leid und veröffentlicht einen offenen Brief, in dem sie schreibt, dass es niemanden etwas angehe, und dann aber doch dem Druck nachgibt und die Schönheitseingriffe dementiert.

Renée Zellweger ist in einer Ära berühmt geworden, in der Frauen vermittelt wurde, dass sie, wenn sie sich nur hart genug anstrengen, alles erreichen können. Und zu dieser Leistung zählt offenbar, dass man zur Premierenfeier eines Filmes über eine "dicke" Frau wieder so ausschaut wie vor Drehbeginn. Mit 50 Jahren hatte Zellweger ihr Comeback. Für "Judy" (2019) erhielt sie sogar ihren zweiten Oscar, diesmal als Hauptdarstellerin. Hollywood-Autor Jonathan van Meter schreibt in diesem Zusammenhang, dass es wie eine Befreiung sein muss, wenn Schauspielerinnen nicht mehr zu alt für eine Rolle sind, weil sie reif für die Meryl-Streep-Rollen abseits von Makellosigkeit und Unschuld sind. Bis dahin muss man allerdings erst einmal durchhalten. (Maria von Usslar, 20.10.2023)