Sonne / Luft von Elfriede Jelinek feiert heute die Österreichische Erstaufführung am Schauspielhaus Graz
An Bord der Raumschiff-Arche hat die Imbissbude immer geöffnet.
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Die Zukunft der Menschheit sieht der Gegenwart verdammt ähnlich. Nichts dazugelernt, könnte man sagen. Auf ihrer Reise zu einem fernen neuen Paradies hat die menschliche Spezies die wertvollsten Errungenschaften mit an Bord einer nun durchs Weltall sausenden Raumschiff-Arche genommen: Hot-Dog-Bude, ein Boudoir, ein Wohnzimmer mit Screen, der Bilder über die einst unversehrt schöne Landschaft zeigt. Auch ein Raucherkammerl gibt es in diesem Raumfahrzeug, das sich in Emre Akals Jelinek-Inszenierung am Grazer Schauspielhaus gemächlich drehend von allen Seiten beschauen lässt.

In dem 2022 in Zürich uraufgeführten und nun erstmals in beiden Teilen in Österreich zu sehenden Klima-Doppelstück "Sonne/Luft" ist das Zentralgestirn selbst am Wort: Der glühende Himmelskörper richtet eine beißend-höhnische Abschiedsrede an den Planeten Erde. "Wer sich unter mir dreht, ist mir wurscht". Die Österreich-Premiere in Kooperation mit dem Steirischen Herbst wurde vom Publikum am Freitag freundlich beklatscht.

Sonne / Luft von Elfriede Jelinek feiert heute die Österreichische Erstaufführung am Schauspielhaus Graz
Fortpflanzung findet im Badezimmer statt - und auch dort etwas förmlich.
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Bemerkenswert machte den Abend vor allem die visuelle Umsetzung dieser kosmischen Tour, ein Wunderwerk an KI-geschönten Illusionen vom Malerduo Mehmet & Kazim. Man könnte meinen, die legendäre Enterprise hat sich im Bühnenportal verhakt und zieht das Schauspielhaus nun hinter sich her. Das Raumschiff-Motiv ist schlüssig, die Umsetzung eindrucksvoll (Bühnenbild-Mitarbeit: Lara Roßwag), läuft aber im zweiten Teil des Abends, der sich dem vielstimmigeren und nur mehr in Rudimenten Platz findenden "Luft"-Text widmet, allmählich ins Leere.

Alles beginnt mit einem wohligen Computerstimmen-Prolog, der genau so von Susanne Kennedy stammen könnte. Danach aber geht es gemütvoll weiter. Kennmelodie des Abends ist der durch Nana Mouskouri berühmt gewordene 70er-Jahre-Sambahit "Guten Morgen, Sonnenschein". Dessen Mantra stabilisiert die Stimmung an Bord. Eine hüftstarke Dame (Anke Stedingk) lockt den adipösen Imbissbuden-Betreiber (Sebastian Schindegger), der mit deftigen Schlägen Hot Dogs stanzt, ins Schlafzimmer; einem Mann (Tim Breyvogel) wird über einen langen Schlauch Sperma abgezapft, ein anderer (Mervan Ürkmez) macht auf Stoiker, eine junge Mutter (Ann Rausch) opfert ihre Leibesfrucht regungslos einem Hitzeschlund, und alle müssen immer wieder mal aufs Klo (weiters: Thomas Kramer, Luiza Monteiro).

Asteroiden kommen

Bild- und Textebene driften in Jelinek-Inszenierungen üblicherweise auseinander, auch Akal legt die philosophisch, mythologisch und naturwissenschaftlich aufgeladene "Sonnen"-Rede einfach als geschmeidige Tonspur über die choreografische Installation, in der die Figuren wie ferngesteuert durch das Raumschiff stromern. Jede Menge Asteroiden zielen indessen an der Windschutzscheibe vorbei.

Jedes Mal geht es sich noch knapp aus, während die Sonne von oben herab, gottgleich sich weiter über uns Erdtölpel lustig macht und mit Sonnenbränden und allerlei anderen Verkohlungen droht. Von niemandem kann man Sarkasmus so willig hinnehmen wie von Jelinek, immerhin adressiert sich die Autorin immer mit. Den Begriff Klimaerwärmung findet man im Text natürlich nicht, auch wenn es um ihn und die Unzulänglichkeit des Menschen im Umgang mit der Natur und im weiteren Sinn mit sich selbst geht.

Der Autor-Pilot

"Der Autor-Pilot weiß schon, wo es langgeht", heißt ein Kalauer im zweiten Teil des Abends zum Thema Luft: die Luft, die wir atmen, die wir verschmutzen, die Luft in den Rollstuhlreifen oder die, die wir in Instrumente blasen. Einmal heißt es in dem siebzig Seiten umfassenden "Luft"-Satzschwall lapidar: "das Wasser ist immer mitgemeint". Und tatsächlich sind es alle vier Elemente – Feuer, Wasser, Erde, Luft -, die Jelinek zu einer Apokalypse zusammenrechnet.

Wie es der Teufel will, lässt ab dem Begriff "Autor-Pilot" die Regie nach. Mit dem Abtritt der Sonne und dem Ende des Monologs wechselt die Inszenierung für den vielstimmigen "Luft"-Part etwas notlösungshaft in ein Figurenspiel aus Ich-Rednern. Darüber einen Zusammenhang herzustellen oder gar den "Luft"-Text in seiner Breite abzubilden, bleibt aber erfolglos. Ohnehin nähert sich schon bald ein gewisser roter Feuerball am Horizont… Die "Sonne"-Rede alleinig aufzuführen, wie es Nicolas Stemann bei der Uraufführung gemacht hat, hat seine guten Gründe. Jelinek-Texte, zumal der weitschweifende über die Luft, lassen sich schlecht in Erzählbogen integrieren. (Margarete Affenzeller, 16.10.2023)