Die Fabel vom Frosch und vom Skorpion wird seit Jahrzehnten als Gleichnis für die Irrationalität im Nahen Osten erzählt: Der Skorpion lässt sich vom Frosch auf dessen Rücken über den Fluss tragen, und obwohl er weiß, dass es auch sein eigener Untergang sein wird, sticht er in der Mitte des Wassers zu. "Warum hast du das getan, wir werden beide sterben!", ruft der Frosch. "Du hast vergessen, wir sind im Nahen Osten", antwortet der Skorpion.

Ein destruktiver Drang führt alle in die Katastrophe. Die Geschichte gibt gut die – realen – Ängste zu Beginn des neuen Krieges zwischen Hamas und Israel wieder. Der Sponsor der Hamas, der Iran, streitet zwar ab, operativ an ihrem militärisch organisierten Terrorüberfall auf Israel beteiligt gewesen zu sein. Er droht jedoch gemeinsam mit seiner libanesischen Filiale, der mit Raketen hochgerüsteten Hisbollah jenseits der nördlichen Grenze Israels und mit starker Präsenz in Syrien, mit einer regionalen Ausweitung des Gazakriegs. Deren Folgen würden weit über den Nahen Osten hinausreichen.

Finale Konfrontation mit Israel

Die größte Hoffnung liegt nun bei jenen Staaten in der Region, die sich in den vergangenen Jahren um eine neue regionale Sicherheitsarchitektur bemüht haben – was die Kräfte in der Hamas noch zusätzlich angetrieben haben mag, die an eine finale Konfrontation mit Israel glauben. Sie sahen ihre Felle davonschwimmen, als ab 2020 drei arabische Staaten (Vereinigte Arabische Emirate, Bahrain, Marokko) trotz wachsenden israelischen Drucks auf die Palästinenser Frieden mit Israel schlossen. Auch Saudi-Arabien, das den Führungsanspruch in der arabischen Welt stellt, befand sich auf einem Kurs der Normalisierung der Beziehungen mit Israel. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass es im vergangenen Jahr auch seine diplomatischen Beziehungen zum Iran wiederhergestellt hat.

Nun verspricht Riad, "jede mögliche Anstrengung zu unternehmen, mit allen Parteien zu kommunizieren, um eine Ausweitung des Konflikts zu verhindern". Ein Telefonat von Kronprinz Mohammed bin Salman mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi – ihr erstes überhaupt – empfanden manche als zu entgegenkommend. Aber auch das Mullah-Regime steht an einem Scheideweg zwischen iranischen nationalstaatlichen Interessen und einer von Ideologie getriebenen Konfrontation, die es vielleicht selbst nicht überleben würde. Die radikalen Elemente sitzen nicht nur in Teheran, sondern auch bei den Stellvertretergruppen im Libanon, im Irak, in Syrien und im Jemen.

Katar hat viel zu verlieren

Der neue Krieg zwischen Israel und Hamas: Ein destruktiver Drang führt alle in die Katastrophe.
AFP / Luis Robayo

Katar, das am Samstag zum Schauplatz eines im Westen mit Abscheu kommentierten Treffens des iranischen Außenministers Hossein Amirabdollahian und des Hamas-Politchefs Ismail Haniyeh wurde, hat ebenfalls viel zu verlieren. Es ist einer der privilegierten militärischen Alliierten ("Major Non-Nato Allies") der USA. Seine historisch schlechten Beziehungen zu Saudi-Arabien sind erst seit kurzem wieder auf Schiene. Es kann kein Interesse an einem Krieg haben. Vielleicht gibt es ja in der Region doch nicht nur Skorpione. (Gudrun Harrer, 16.10.2023)