Palästina Demo
Pro-Palästina-Aktivistinnen und -Aktivisten gehen auf die Straßen – wie hier in Duisburg.
IMAGO/Jochen Tack

Das zynische Kalkül der Hamas-Terroristen geht auf. Nach dem Aufruf mit einer "Botschaft des Zorns" kommt es nach den Bombardements und bereits vor der angekündigten Bodenoffensive der israelischen Armee in Gaza weltweit zu massiven Protesten nicht gegen die Mörder, sondern gegen das Land, in dem diese 1.300 Zivilisten, Frauen wie Kinder, massakrierten.

Die verheerenden humanitären Folgen des unvermeidlichen, aber in seinen Dimensionen und strategischen Auswirkungen möglicherweise nicht durchdachten Gegenschlages könnten bald zu Abstumpfungseffekten bei der Solidarität mit Israel führen. Zugleich ist zu befürchten, dass die erschütternden Bilder des Leids aus dem Gazastreifen, verstärkt durch die Aufrufe der Hamas, weltweit schlimme Auswüchse des Judenhasses provozieren werden.

Der ehemalige US-amerikanische Außenminister Henry Kissinger, der Friedensvermittler zwischen Israel und Ägypten vor 50 Jahren, warnte in einem TV-Interview vor einer Ausweitung des Nahostkonflikts. Der berühmteste lebende Flüchtling Deutschlands fand den Jubel auf den deutschen Straßen über den Hamas-Angriff "schmerzvoll" und fügte hinzu: "Es war ein großer Fehler, so viele Menschen mit einem kulturell und religiös vollkommen anderen konzeptionellen Hintergrund reinzulassen, weil dadurch Interessengruppen im jeweiligen Land entstehen."

Aufflammender Antisemitismus

Der in Berlin, Paris und auch in Wien aufflammende Antisemitismus ist zweifellos auch die Folge von Migration aus den arabischen und von Islam geprägten Ländern. Millionen wuchsen im Nahen Osten und nicht nur dort in einem Umfeld des Judenhasses in Schulen und Moscheen auf. Die Jahre in den Ländern der liberalen Demokratie haben angesichts der gähnenden Kluft im Bildungssystem an ihrem Feindbild über das Judentum und Israel nichts geändert. Statt der von dem islamischen Religionspädagogen Mouhanad Khorchide vorgeschlagenen gezielten Bildungsmaßnahmen (STANDARD, 14. 10.) wird das Weltbild der Schülerinnen und Schüler bereits über in Social-Media-Kanälen, auf Tiktok und Instagram verbreitete Lügen und verzerrte Fakten auch hinsichtlich der letzten grausamen Terrortaten geprägt. Die erschreckende Reportage im letzten Spiegel-Heft über die gewaltbereite Stimmung im Berliner Bezirk Neukölln dürfte auch für andere Viertel mit arabischstämmiger oder muslimischer Bevölkerung nicht nur in Berlin gelten.

Die Solidaritätsbekundungen für die Hamas-Terroristen in Ländern wie Deutschland und Österreich, wo die Erinnerung an das eigene Verbrechen an den Juden die feste Grundlage der Solidarität mit Israel bildet, sind in der Tat unerträglich für alle aufgeklärten, humanistischen Demokraten. Der Anspruch auf Humanität gilt selbstverständlich auch für die Palästinenser, die seit langen Jahren die Opfer der israelischen Besatzung und seit zwei Jahrzehnten im Gazastreifen auch des Hamas-Terrorregimes sind.

Man darf aber weder die Gefahr durch jene starken Parteien in Deutschland, Österreich, Frankreich am rechten Rand, die den Holocaust verharmlosen, übersehen noch die im Grunde israelfeindliche Haltung linkspopulistischer Gruppen in Deutschland und Frankreich. Das Fazit? Der Judenhass blüht. (Paul Lendvai, 16.10.2023)