In der Lobby des Grand Resort Bad Ragaz, eines Luxushotels im Schweizer Kanton St. Gallen, wartet Amanda Wassmer-Bulgin. Sie sieht ausgeschlafen aus, obwohl sie, wie sie sagt, am Abend zuvor länger als sonst an neuen Rezepten getüftelt hat. Aufgewachsen ist die Halb-Jamaikanerin im britischen Wiltshire, ging dann zur Hotelausbildung in die Schweiz ("Ehrlich gesagt, weil ich Ski fahren wollte"), wo sie ihren heutigen Mann Sven Wassmer kennenlernte. Dieser kocht im Memories, dem mit drei Michelin-Sternen und 18 Gault-Millau-Punkten ausgezeichneten Restaurant des Grand Resort Bad Ragaz. Seine Frau ist ebenda für die Getränke zuständig. Dazu gehört nicht nur eine Expertise in Sachen Wein, sondern auch alkoholfreie Getränke.

Amanda Wassmer-Bulgin schaut nicht nur ins Weinglas. Als Sommelière beschäftigt sie sich auch mit alkoholfreien Alternativen.
Amanda Wassmer-Bulgin schaut nicht nur ins Weinglas. Als Sommelière beschäftigt sie sich auch mit alkoholfreien Alternativen.
Foto: Grand Resort Bad Ragaz

STANDARD: Viele Ihrer Kollegen interessieren sich ausschließlich für Wein. Woher kommt bei Ihnen das Interesse für dessen Alternativen?

Wassmer-Bulgin: Als Sommelière sorge ich dafür, dass sich meine Gäste einen Abend lang wie ein Prinz oder eine Prinzessin fühlen. Viele haben lange auf den Restaurantbesuch gespart, und wer so viel Geld ausgibt, soll ein Bombenerlebnis haben, egal ob mit oder ohne Promille. Ehrlich gesagt ist es ziemlich frech oder zumindest naiv zu erwarten, dass die ganze Welt Alkohol trinkt. Industrielle Produkte wie Cola waren für mich nie eine Option. Anfangs gab es drei alkoholfreie Drinks und viel Orangensaft. Ich habe schnell dazugelernt.

STANDARD: Was trinkt man stattdessen, wenn man nicht trinkt?

Wassmer-Bulgin: Reinsortige Säfte aus alten Obstsorten beispielsweise, die durch ihren hohen Säureanteil keineswegs picksüß sind. Fantastisch sind die Apfelsäfte des Südtirolers Thomas Kohl. In unserer Region macht Wegelin einen super Pinot-Noir-Traubensaft. Flein finde ich auch sehr lässig, ein sortenreiner Traubensaft, der unter anderem in der Südsteiermark produziert wird. Ebenfalls aus der Steiermark kommen die Säfte vom Obsthof Retter, mit denen ich schon seit 2015 arbeite. Deren Quitte passt sehr gut zu Käse.

STANDARD: Spielt alkoholfreies Bier eine Rolle?

Wassmer-Bulgin: In der Begleitung setze ich es nicht ein, wobei das eine gute Alternative sein kann, wenn jemand einen Softdrink ohne Zucker will. Zu Hause trinke ich ganz gern das Alkoholfrei von Schützengarten.

STANDARD: Gibt es denn einen alkoholfreien Wein, den Sie empfehlen können?

Wassmer-Bulgin: Aktuell kann ich keinen empfehlen. Ich habe ein Problem mit hochverarbeiteten Produkten. Das betrifft leider viele Weine, denen Alkohol entzogen wird. Abgesehen davon kann man nicht erwarten, dass so die Komplexität bestehen bleibt.

STANDARD: Wie oft wird im Memories die alkoholfreie Begleitung bestellt?

Wassmer-Bulgin: Vor der Pandemie hatten wir viel mehr internationale Gäste, da waren es etwa 40 Prozent. Als wir wegen der Reisebeschränkungen nur mehr Schweizer Gäste hatten, die von Kombucha und Co überfordert waren, hatte ich Angst, keine alkoholfreie Begleitung mehr anbieten zu können. Jetzt sind wir bei etwa 30 Prozent. Sehr gut kommt das gemischte Pairing an.

STANDARD: Was erwartet die Gäste im Moment?

Wassmer-Bulgin: Ein "Beerenwein" aus Brombeersaft, schwarzem Johannisbeersaft und schwarzem Johannisbeeröl, ein alkoholfreier Wermut aus Traubensaft, Kirschen und Erdbeeren oder ein Digestif aus mit Bergheu aromatisiertem Thermalwasser, Holundersirup, Kakaobutter und Kaffeekirschensirup.

STANDARD: Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Wassmer-Bulgin: Genuss spielte in meiner Familie eine wichtige Rolle. Auch wenn meine Mutter keine begnadete Köchin ist, hat sie immer hervorragende Zutaten verwendet. Ursprünglich wollte ich Köchin werden, bis mir klar wurde, dass Gastgeben ein Beruf sein kann. Während meiner Zeit im Züricher Rigi Blick entdeckte meine damalige Chefin Lucia Eppiser mein Talent für Getränke. Ich ging nach London, erst in die Weinabteilung des Nobelkaufhauses Harrods, dann zum Decanter-Weinmagazin. Gemeinsam mit meinem Mann habe ich anschließend im 7123 Silver im schweizerischen Vals gearbeitet, bevor wir nach Bad Ragaz kamen.

STANDARD: Aktuell bereiten Sie sich auf die Prüfung zum Master of Wine vor, ein Titel, den weltweit nur 416 Menschen tragen. Welche Rolle spielt da das Thema alkoholfrei?

Wassmer-Bulgin: In den meisten Ländern geht der Alkoholkonsum zurück. Die Frage, was man stattdessen trinkt, wird also immer wichtiger. Als Master of Wine muss ich das Getränkebusiness in seiner Gesamtheit verstehen. Verkostet werden zwar nur alkoholfreie Weine, keine anderen Getränke wie etwa Kombucha, aber auch damit muss ich mich auskennen.

STANDARD: Lohnt es sich, in Sachen alkoholfreie ­Alternativen selbst Hand anzulegen?

Wassmer-Bulgin: Absolut. Shrubs sind ein guter Einstieg. Dazu mischt man Essig mit Früchten und Zucker. Ich empfehle, einen hochwertigen Essig wie Quitte zunächst einige Tage mit frischem Obst ziehen zu lassen und erst dann Zucker und frische Früchte zuzugeben. Wunderbar sind beispielsweise Erdbeeren, Marillen, Rhabarber oder eher spezieller: Sanddorn. Im Memories serviere ich einen mit Erdbeerblatt-Tee und Grapefruit gemischten Kohlrabi-Shrub, schmeckt wie Riesling.

STANDARD: Was ist mit Kombucha?

Wassmer-Bulgin: Ein heikles Thema. Bei den wenigsten Supermarktprodukten handelt es sich um reinen Kombucha, ein Blick auf das Etikett lohnt sich. Viele sind vom starken Fermentationsaroma überrascht, wenn sie zum ersten Mal eine selbstgemachte Version probieren.

STANDARD: Und wenn man ihn selbst machen will?

Wassmer-Bulgin: Dazu einen Tee – Schwarztee funktioniert genauso gut wie grüner, weißer oder Kräutertee – mit ein wenig altem Kombucha mischen und mit einem Scoby, wie die Bakterien-Germ-Kultur heißt, ansetzen. Mit Zucker oder Honig einige Tage fermentieren lassen. Entweder sofort trinken oder frisches Obst, etwa Rhabarber, zugeben und einige Tage stehen lassen, so entsteht Kohlensäure. Dann ab in den Kühlschrank. Er hält dann lange und schmeckt auch immer besser. (RONDO, Eva Biringer, 26.10.2023)