Der Neandertaler war keineswegs der tumbe Höhlenmensch, als der er in der Vergangenheit gerne hingestellt wurde. In den letzten Jahrzehnten reihte sich eine Entdeckung an die nächste, die allesamt glaubhaft vermitteln, dass Homo neandertalensis wohl nicht aufgrund mangelnder Intelligenz ausgestorben ist. Er fabrizierte Klebstoff, hat das Feuer gezähmt, bewies bei der Herstellung von Werkzeugen zur Lederbearbeitung großes technisches Geschick, hat sich womöglich künstlerisch betätigt und machte – wie zuletzt festgestellt – auch Jagd auf Höhlenlöwen, um sich in ihre Felle zu kleiden.

Dass der Neandertaler dem Homo sapiens in Sachen Intelligenz tatsächlich in nichts nachstand, konnte nun eine Gruppe von Forschenden einmal mehr belegen – und zwar unter anderem anhand seiner raffinierten Fertigkeiten am Herd. Grundlage dieser Erkenntnisse, die im Fachjournal "Plos One" präsentiert wurden, sind die Resultate von Ausgrabungen, die über zwei Jahrzehnte hinweg in der Gruta de Oliveira in Portugal durchgeführt worden waren. Die Höhle gilt als eine der bedeutendsten archäologischen Stätten aus dem europäischen Mittelpaläolithikum.

Neandertaler
Der Neandertaler dürfte uns äußerlich weitgehend ähnlich gewesen sein. Vor allem aber war er uns auch intelligenzmäßig ebenbürtig.
Foto: Neanderthal Museum

Feuer als zentrales Element

"Die Neandertaler waren zu symbolischem Denken fähig, konnten künstlerische Objekte herstellen, wussten, wie sie ihren Körper mit persönlichen Ornamenten schmücken konnten, und hatten eine äußerst abwechslungsreiche Ernährung", sagte Diego Angelucci, Archäologe von der Universität von Trient und Autor der Studie. "Außerdem können wir aufgrund unserer Ergebnisse mit Sicherheit sagen, dass Neandertaler üblicherweise gekochte Nahrung zu sich nahmen. Alleine schon diese Fähigkeit bestätigt, dass sie genauso geschickt waren wie der Homo sapiens."

Zwar ist es keineswegs neu, dass Feuer im Alltag von Homo neandertalensis eine Rolle spielte. Allerdings ist es eine Sache, Brände zu nutzen, die durch natürliche Prozesse wie beispielsweise Blitze ausgelöst werden, und eine völlig andere, das Feuer aktiv zu entfachen, es mit Brennbarem am Leben zu erhalten, um damit zu kochen, zu heizen und es zur Verteidigung einzusetzen. Dass dies alles der Fall war, ergibt sich nach Überzeugung der Forschenden aus den Funden in der Gruta de Oliveira. "In dieser Studie konnten wir zweifelsfrei zeigen, dass für die Neandertaler das Feuer ein zentrales Element in ihrem täglichen Leben war", sagte Angelucci.

Ausgedehntes Höhlennetz

Das Besondere an dieser Höhle in Zentralportugal ist, dass zwischen 1989 und 2012 mehr als 20 Jahre lang systematisch Ausgrabungen vorgenommen wurden. Die Arbeiten wurden von einer internationalen Gruppe von Archäologinnen und Archäologen unter der Leitung von João Zilhão (Universität Lissabon) durchgeführt, der die Studie zusammen mit Diego Angelucci und Mariana Nabais (IPHES, Katalanisches Institut für Paläoökologie und soziale Evolution, Tarragona) verfasste.

Neandertaler, Höhle, Ausgrabungen
Die Gruta de Oliveira in Zentralportugal mag von außen nicht viel hermachen. In ihrem Inneren entdeckten Archäologinnen und Archäologen jedoch zahlreiche Beweise für die Fähigkeiten der Neandertaler, das Feuer für sich zu nutzen.
Foto: João Zilhão

Die Höhle ist Teil des Karstsystems von Almonda, einem ausgedehnten Netzwerk von Höhlen in der Nähe einer ergiebigen Quelle, die in verschiedenen prähistorischen Epochen bewohnt wurden. Die ältesten Schichten der Gruta de Oliveira stammen aus der Zeit vor etwa 120.000 Jahren, die jüngsten aus der Zeit vor etwa 40.000 Jahren. Man nimmt an, dass Neandertaler diesen Ort in der Zeit vor 100.000 bis 70.000 Jahren bewohnt haben. Zu dieser Zeit hatte es Homo sapiens noch nicht bis nach Europa geschafft.

"Für uns ist Almonda ein Geschenk. Wir haben dort im Laufe der Jahre eine Vielzahl von Artefakten und Überresten gefunden, von Spuren aus dem Jungpaläolithikum bis hin zu Steinsplittern aus der Moustérienkultur ist wirklich alles dabei", so Angelucci.

Ein Dutzend Herdstellen

Was die Aufmerksamkeit der Archäologen im Besonderen erregte, waren die Feuerstellen. Diese Herdstellen waren offensichtlich mit Bedacht eingerichtet und genutzt worden. Insgesamt entdeckten die Wissenschafter auf einer Ausgrabungsfläche von etwa 30 Quadratmetern und in sechs Metern Tiefe in verschiedenen stratigrafischen Ebenen rund ein Dutzend dieser unverwechselbaren kesselartigen, runden Strukturen.

An diesen Feuerstellen wurde auch gekocht, das belegen Überreste im Inneren und in der Nähe. "Wir haben verbrannte Knochen, verkohltes Holz und Aschenreste gefunden. Und das Gestein darunter wies Spuren von fortdauernder Hitzeeinwirkungen auf", sagte Angelucci. "Das ist ein entscheidendes Detail, denn es sagt uns, dass sich die Struktur an besonderen Stelle befand, die sich über lange Zeit nicht veränderte. Das Feuer war fundamentales Element in ihrem täglichen Leben, es macht den Ort gemütlicher und förderte das soziale Miteinander."

Neandertaler, Höhle, Ausgrabungen
Mehr als 20 Jahre lang gruben die Forschenden in verschiedenen Teilen der Gruta de Oliveira.
Foto: João Zilhão

Vor allem Fleisch

Und was haben die Neandertaler hier normalerweise gekocht und gegessen? Fleisch spielte für die einstigen Bewohnerinnen und Bewohner der Gruta de Oliveira offenbar eine wichtige Rolle in ihrem Menüplan, denn das Team fand Überreste von im Feuer geschmorten Ziegen, Hirschen, Pferden, Auerochsen, Nashörnern und Schildkröten. An anderen Ausgrabungsorten mit Zugang zum Mittelmeer war das anders. In der Nähe von Cartagena in Spanien hatte man etwa Spuren gefunden, die auf Fische, Muscheln und Mollusken und sogar geröstete Pinienkerne als Nahrungsmittel hinwiesen.

Wie die Neandertaler ihre Herdfeuer entfacht haben, stellt die Forschenden allerdings noch vor ein Rätsel. "Vielleicht gingen sie vor wie die Menschen in der Jungsteinzeit. Sie könnten Feuersteine gegen einen anderen Stein geschlagen haben, um mit den entstehenden Funken einen Zunder, etwa ein trockenes Vogelnest, in Brand zu stecken", mutmaßt Angelucci. Diese prähistorische Technik dürfte auch Ötzi verwendet habe, wie entsprechende Untersuchungen seiner Habseligkeiten gezeigt hatten.

Wie bei Homo sapiens zu Hause

Wie ähnlich sich in dieser Hinsicht Neandertaler und moderner Mensch waren, ließ sich ebenfalls aus den Ausgrabungen herauslesen. Jüngere Funde aus der Gegend, die auf das Jungpaläolithikum zurückgehen und von Homo sapiens stammten, zeigten fast dasselbe Bild wie jenes aus der Neandertalerzeit. "Das Leben, das sie in diesen Höhlen führten, gestaltete sich also in ganz ähnlicher Weise", sagte Angelucci. Aufgrund dieser Parallelen ließen sich kaum Unterschiede in ihren Fähigkeiten und ihrer Intelligenz beobachten, so der Archäologe. (Thomas Bergmayr, 18.10.2023)