Zukunft Österreichs Hellseherin Trendforscher Horx
Wie sieht die Zukunft Österreichs aus, das ist hier die Frage.
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Der STANDARD wird 35 Jahre alt - und weil uns die Neugierde nach wie vor umtreibt, stellen wir Fragen. In diesem Fall wollten wir wissen: Wie wird denn die Zukunft aussehen?

Also haben wir einen Experten, den Zukunftsforscher Matthias Horx gefragt. Er analysiert große gesellschaftliche Entwicklungen. Weil wir aber nicht nur eine Prognose wollten, haben wir auch Rosa Maria Rigo gefragt. Sie bezeichnet sich als Wahrsagerin - ihre Arbeitsweise ist natürlich unwissenschaftlich. Unterhaltsam fanden wir aber doch, was sie so sieht.

Matthias Horx: "Die alte Weltordnung bröckelt"

Oft werden wir Zukunftsforscher mit Propheten verwechselt, aber die Zukunft in jedem Detail vorhersagen, das können wir natürlich nicht. Wir versuchen, große Entwicklungen zu verstehen, um davon Modelle für eine mögliche, eine wahrscheinliche und eine präferable Zukunft abzuleiten. Wenn wir uns zum Beispiel die Globalisierung ansehen, dann erkennen wir im Moment eine Trendumkehr, die wir alle zu spüren bekommen. Österreich hat lange von der Globalisierung profitiert. Aber die Zeiten, in denen Produkte zu Billigstpreisen angeboten werden, sind vorbei. Die alte Weltordnung bröckelt, es gibt neue Konflikte und Konkurrenzen. Wir können versuchen herauszufinden, wie sich Lasten und Chancen künftig besser verteilen lassen. Als kleines Land kann Österreich weder die Rolle einer Supermacht spielen noch sich verstecken. Es wird also Teil eines größeren, integrierteren Europas sein.

In 35 Jahren werden wir in Österreich das wenigste mit Bargeld bezahlen. Aber irgendein Äquivalent mit sinnlicher und haptischer Funktion wird es immer geben. Ich könnte mir eine "analoge Cyberwährung" vorstellen oder dass man wieder vermehrt tauscht, mit Muscheln oder Edelsteinen. Die digitale Welt ist ja, weil sie so abstrakt und körperlos ist, nicht menschenfreundlich. Künstliche Intelligenz wird daran nichts ändern. Sie wird in einigen Bereichen stark über-, in anderen stark unterschätzt, auch was ihre toxischen Nebenwirkungen angeht. In der Forschung, bei der Analyse von riesigen Datenmengen, oder bei der Koordination von Millionen von Energiequellen wird sie uns Arbeit abnehmen. Dort, wo sie auf die menschliche Kommunikation übergreift, etwa im Journalismus, droht uns eine noch gigantischere Textflut, mit der Konsequenz, dass alles Geschriebene nichts mehr wert ist, weil es nur maschinell Wiedergekäutes ist. Das wird zu einer Renaissance direkter menschlicher Kommunikation führen, denn grundsätzlich gilt: Jeder Trend erzeugt irgendwann einen Gegentrend. Den Journalismus sehe ich in der Pflicht, Ängste nicht weiter zu verstärken. Den STANDARD wird man 2058 noch lesen, in welcher Form auch immer, wenn er es versteht, mit den Turbulenzen des Medialen umzugehen. "Kritischen Journalismus" wird es nämlich auch in Zukunft geben, aber wahrscheinlich sieht dieser ganz anders aus als heute. Ebenso wie die Medien-, wird auch die politische Landschaft eine ganz andere sein.

In den nächsten zehn, zwanzig Jahren wird sich die Demokratie neu erfinden müssen. Auf dem Weg dorthin werden wir auch Phasen der Autokratie erleben. Die Bedeutung klassischer Parteien zerfällt, was man ja heute schon sieht. 2058 wird man sich fragen: ÖVP, SPÖ, FPÖ? Was war das noch mal? Blicken wir auf die Klimaziele, also dass Österreich genauso wie andere Länder ab 2050 CO2-neutral sein will, dann sehen wir derzeit sehr viel Skepsis. 70 bis 80 Prozent denken, dass sie nicht zu erreichen sind. Hilfreich ist ein Perspektivenwechsel in die Zukunft. Wir versetzen uns in das Jahr 2050 und fragen: Was wäre nötig gewesen, um die Energiewende zu ermöglichen? Und siehe da: Die meisten Technologien, um auf Öl und Kohle zu verzichten, sind heute schon da. Szenarien, die zeigen, dass die Ziele - auch gesellschaftlich - erreicht werden können, erscheinen aus diesem Blickwinkel sehr wahrscheinlich, trotz oder vielleicht gerade wegen all der Widerstände, die wir heute erleben. Solche Konflikte sind immer Anzeichen dafür, dass es längst in eine andere Richtung geht. Ich wage eine Prognose: In 35 Jahren werden wir die Ziele erreicht haben. Österreich wird dabei eine wesentliche Rolle gespielt haben, aber, wie schon in der Vergangenheit, kann es wahrscheinlich nicht so gut zu seinen Erfolgen stehen.

Rosa Maria Rigo: "Wien ist in 35 Jahren autofrei"

Was ich für Österreich in der nächsten Zukunft sehe? Karl Nehammer fühlt sich überfordert und möchte aufhören. Man wird ihn aber nicht so leicht rauslassen aus seinem Job. Nehammer muss also bleiben, auch wenn sich bis zu den Wahlen eine Nummer zwei etablieren wird, die einen neuen Weg gehen könnte für die ÖVP. Dieser zweite Mann heißt übrigens nicht Sebastian Kurz. Kurz bleibt aus der Politik draußen, er kann nicht zurückkehren. Auch in Zukunft wird er geliebt wie abgelehnt werden. Wahrscheinlich würde Kurz sogar Erfolg haben, wenn er antreten würde. Aber mit der Politik ist’s endgültig vorbei - die Etikette verbietet es ihm, zurückzukehren. Andreas Babler gibt das Land eine Chance, aber keine zu große. Er wird beachtenswerte Zugewinne machen, auf die Nummer eins wird er es aber nicht schaffen. Die ÖVP bleibt weiterhin eine starke Partei. Sie könnte aber diesmal stolpern, weil sie viele Leute aus den eigenen Reihen an die FPÖ verlieren wird.

Der Rechtsruck? War in Österreich ja immer da und bleibt, verstärken wird er sich nicht. Im Jahr 2058 wird es allerdings nur noch eine Partei geben. Das Land wird dermaßen in der Demokratie verankert sein, dass nur eine Partei nötig oder gewollt wird. Diese neue Partei speist sich aus dem Personal aller derzeit existierenden Parteien, hat aber vor allem einen grünen Hintergrund. Die Grünen werden langsam, aber doch einflussreicher. Das mag auch damit zu tun haben, dass die Menschen in Zukunft noch ängstlicher sein werden, alles besser machen und kontrollieren wollen. Umweltfragen werden jedenfalls immer bedeutender. Allerdings wird es die Klimakleberinnen und Klimakleber in fünf, zehn Jahren nicht mehr geben. So wie ich die Sache sehe, wird das Thema Klimakleben bis im kommenden Sommer eingeschlafen sein. Dafür wird es in Zukunft andere engagierte Gruppen geben, überhaupt werden sich immer Menschen für Umweltverbesserungen einsetzen. Wien wird in 35 Jahren autofrei sein, Elektroautos allerdings wird es geben. Außerdem wird eine neues, mit Wasserstoff betriebenes Fortbewegungsmittel zunehmend eine Rolle spielen. Mit ihm wird man auch fliegen können - ob das schon in 35 Jahren der Fall sein wird, ist nicht ganz klar. Das Fahrrad spielt im Alltag weiterhin eine große Rolle, die Leute lieben das Gefährt.

Beim Bau der Wiener U-Bahnen wird sich manches verzögern, U2 und U5 werden etwa 2028 fertig werden. Dafür werden sie die modernsten auf dem Markt sein. Es werden uns auch nicht so schöne Dinge beschäftigen. Die Inflation wird weiterhin ein Thema sein, das Gesundheitswesen wird kollabieren, Pflegekräfte müssen besser bezahlt werden. In drei, vier Jahren könnte Corona nochmals massiver auftauchen, die Menschen werden damit aber fertigwerden. Corona wird uns als normale Krankheit begegnen. Die Beschäftigung mit Virenerkrankungen bleibt uns erhalten. In drei Jahrzehnten werden sich Vegetarismus und Veganismus noch weiter verbreitet haben. Natürliche Nahrung wird nicht mehr so aussehen, wie wir sie kennen. Auch mithilfe der alternativen Landwirtschaft wird man sie nicht zurückholen. Die Natur verändert sich und wird sich noch mehr verändern. Es wird notwendig sein, unsere heutigen Lebensmittel zu ersetzen. Das Wiener Schnitzel wird noch künstlicher als die vegane Alternative sein. Österreich wird in Technik oder Wissenschaft Maßstäbe setzen. Die Zeitungen? Die wird es immer geben, aber sie werden zunehmend zum Luxusprodukt. Es wird immer Menschen geben, die bewusst eine Zeitung kaufen, aber die Anzahl der treuen Leserinnen und Leser wird in den kommenden fünf Jahren abnehmen. Den STANDARD, da bin ich mir sicher, wird es in 35 Jahren noch geben.

(Anne Feldkamp, Gerald Zagler, 20.10.2023)