An der in der Vorwoche veröffentlichten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, wonach der ORF-Stiftungsrat in seiner jetzigen, auf die Befriedigung von parteipolitischen Begehrlichkeiten konzentrierten Form illegal ist, war nur eine Begleiterscheinung überraschend: dass jemand über dieses Urteil überrascht sein könnte. Wenig überraschend, dass es sich dabei um die ihr Amt als Medienministerin im Geist des Kompetenz-Dekonstruktivismus ausübende Susanne Raab handelte, die sich in einer ersten Stellungnahme vom Höchstrichterspruch "überrascht" zeigte. Das erinnert an einen mit 150 km/h durch eine Wohnstraße bretternden Autofahrer, der nach Anhaltung durch die Polizei den Beamten wissen lässt: "Jetzt bin ich aber wirklich gespannt, warum Sie mich aufhalten!"

ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker.
Ist für eine Neudefinition des öffentlichen Auftrags: ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker.
APA/HELMUT FOHRINGER

Die gesetzliche Verpflichtung der ORF-Stiftungsräte, "an keine Weisungen und Aufträge gebunden" zu handeln, wurde von den gänzlich ungeniert in "politischen Freundeskreisen" organisierten Mitgliedern des Gremiums nie auch nur ansatzweise ernst genommen. Ein besonders dreistes Beispiel dafür durfte ich erleben, als nach einem Beitrag in der damals noch vom ORF gewagten Politsatire Wir Staatskünstler über Korruptionsfälle der Kärntner Landesregierung der von Landeshauptmann Gerhard Dörfler entsandte Stiftungsrat unseren Sendungsredakteur vorladen ließ und von ihm eine Erklärung verlangte, ob es nötig sei, die Namen von Politikern in Satire-Programmen zu nennen. Genauso gut hätte er auch nachfragen können, womit sich der Einsatz von Lebensmitteln in Kochsendungen rechtfertigen lässt.

"Neue Definition des öffentlichen Auftrages"

Für einige der für den Missbrauch des Stiftungsrats verantwortlichen Politiker scheint nun zu gelten: Nach dem Verfassungsbruch ist vor dem Verfassungsbruch. So forderte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker in Sorge um den Fortbestand parteipolitischer Einflussmöglichkeiten im ORF eine "neue Definition des öffentlichen Auftrages". Doch der so infrage gestellte "öffentliche Auftrag" ist, wie der Rundfunk- und Verfassungsrechtler Peter Lehofer in einer Expertise nachweist, auch von der Verfassung geschützt.

Allen an parteipolitisch unabhängiger Erfüllung des Informations-, Kultur- und Bildungsauftrages weniger Interessierten spendet da vielleicht ein von Rudolf Mitlöhner im Kurier ins Spiel gebrachter Denkansatz Trost. In einem Kommentar kritisierte er ÖVP-Interventionen beim ORF, aber nicht wegen ihrer Unzulässigkeit, sondern wegen ihrer Wirkungslosigkeit: "Im Kern geht es um die Illusion der ÖVP, man könne der ideologischen Schlagseite des ORF durch einzelne Personen mit ÖVP-Ticket in Spitzenfunktionen wirksam etwas entgegensetzen. Das funktioniert aber nicht einmal, wenn man den Generaldirektor besetzt."

Das eigentliche Problem politischer Interventionen sei also, dass sie nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht hätten. Ein interessanter Zugang. So gesehen könnte man es auch als das eigentliche Problem eines Einbruchs betrachten, dass nur Ramsch gefladert und wertvolle Bilder übersehen wurden. Und der Stiftungsrat wäre dann nicht wegen zu viel parteipolitischen Missbrauchs in Verruf geraten, sondern wegen zu wenig. (Florian Scheuba, 18.10.2023)