Sara Hintze ist überzeugt: Es braucht einen Wandel in der Nutztierhaltung. Das Tierwohl müsse gesteigert, die negativen Auswirkungen auf den Klimawandel dafür reduziert werden. Hintze arbeitet am Institut für Nutztierhaltung der Universität für Bodenkultur in Wien und erforscht aktuell Mastschweine. In einer Untersuchung will sie herausfinden, ob sich die Schweine im Alltag langweilen und, wenn ja, welche Auswirkungen das auf ihren Gemütszustand hat.

STANDARD: Frau Hintze, was haben Sie herausgefunden, wie langweilig war den untersuchten Schweinen?

Hintze: Wir haben mit 128 Schweinen gearbeitet und ihre Persönlichkeit extrem gut kennengelernt. Unser Ziel war, die emotionalen Auswirkungen von chronischer Langeweile bei den Mastschweinen herauszufinden. Wir wissen, dass sie bei Menschen zu Depressionen, Alkoholismus und Suizid führen kann. Das ist ein Zustand, den die meisten von uns wahrscheinlich nicht kennen, der aber gravierend ist. Wie wollten wissen, was das für Tiere bedeutet. Dafür haben wir verschiedene Tests gemacht und eine sehr enge Beziehung zu den einzelnen Individuen aufgebaut. Das war eine besondere Erfahrung, vor allem weil sie so unglaublich klug sind. Derzeit werten wir die Ergebnisse aus.

STANDARD: Wie haben Sie überhaupt herausgefunden, ob den Schweinen langweilig ist?

Hintze: Dazu haben wir verschiedene Tests durchgeführt. In einem der Tests wollten wir die negativen Emotionen, die mit chronischer Langeweile einhergehen, erfassen. Dazu haben sie zunächst trainiert und ihnen beigebracht, dass hinter der Tür rechts in der Arena immer ein Leckerchen liegt, hinter der Tür auf der linken Seite dafür nie. Hat sich die Tür auf der rechten Seite geöffnet, sind die Schweine hingegangen; hat sich die Tür links geöffnet, haben sie sich nicht bewegt. Um mehr über den emotionalen Zustand der Schweine zu erfahren, haben wir von Zeit zu Zeit eine dritte Tür in der Mitte der bereits bekannten Türen geöffnet. Wir wissen, wenn es Tieren besser geht, sind sie optimistischer gestimmt und gehen tendenziell eher zu der Tür in der Mitte. Geht es ihnen nicht gut, sind sie eher pessimistisch gestimmt und bewegen sich nicht auf die Tür zu. Das war einer der Tests, um negative Emotionen, die mit chronischer Langeweile einhergehen, zu erfassen.

Sara Hintze inmitten von fünf Schweinen
Sara Hintze hat die Auswirkungen von Langeweile bei Mastschweinen untersucht.
Janja Sirovnik

STANDARD: Also zuerst mussten sich die Schweine langweilen, und danach haben sie das mittlere Türchen geöffnet?

Hintze: Wir hatten zwei Gruppen von Schweinen. Eine Gruppe wurde konventionell gehalten, also ohne Stimuli, ohne dass viel passiert in ihrer Umgebung. Dann hatten wir eine Kontrastgruppe. Diese Schweine hatten Stroh, verschiedenes Einstreumaterial, und sie haben zweimal am Tag neues Spielzeug bekommen. Die beiden Tiergruppen haben wir dann miteinander verglichen.

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DER STANDARD

STANDARD: Wie sieht konventionelle Schweinehaltung aus?

Hintze: Die große Mehrheit unserer Schweine lebt in Betonbuchten mit Vollspaltenböden, wo Urin und Kot durchfallen können. Es gibt einen Futterautomaten oder Trog und natürlich Wasser für die Tiere. Die Gesetzgebung schreibt vor, dass es ein organisches Material zur Beschäftigung in den Betonbuchten geben muss, ansonsten ist es aber sehr karg.

STANDARD: Welche Auswirkungen hat diese Umgebung auf die Emotionen der Schweine?

Hintze: Wir wissen bereits viel über diese Haltungsbedingungen, auch was das für die Tiere im physischen Sinne bedeutet. Es gibt beispielsweise viel Forschung zum Schwanzbeißen. Da sind die Auswirkungen direkt am Schwein sichtbar, aber es gibt natürlich auch eine emotionale Komponente dabei. Wir werten die Tests zur Langeweile derzeit aus. Unsere Hypothese ist aber, dass die Schweine, die in konventionellen Buchten gehalten werden, eher negativ, pessimistischer gestimmt sind und generell gelangweilter.

STANDARD: Was müsste sich in der konventionellen Tierhaltung ändern, damit es den Schweinen besser geht?

Hintze: Im Moment werden viel zu viele Tiere gehalten, und das hat natürlich Konsequenzen auf das Tierwohl, die Umwelt und den Ressourcenverbrauch. Wir brauchen dringend einen Wandel in der Tierhandlung, das wird auch gesellschaftlich gefordert. Wir müssen die Anzahl der gehaltenen Tiere reduzieren und damit einhergehend die Bedingungen für die Tiere verbessern. Wir wissen ja eigentlich sehr genau, was Schweine brauchen. Diese Tiere sind nicht nur höchst intelligent, sondern auch sehr neugierig. In der freien Natur beschäftigen sie sich viel mit ihrer Umwelt. Das steht im höchsten Widerspruch zu den sehr kargen und monotonen Bedingungen, unter denen wir die Tiere halten. Da muss sich was ändern.

STANDARD: An der Anzahl der Nutztiere hängen die Existenzen von Landwirtinnen und Landwirten, und gerade in Österreich lieben die Menschen ihr Schnitzel. Wie soll eine Reduktion der Nutztiere funktionieren?

Hintze: Wir brauchen einen gesamtgesellschaftlichen Prozess. Die Landwirtinnen und Landwirte muss man bei diesem Prozess mitnehmen. Man darf nicht über deren Köpfe hinweg entscheiden. Außerdem muss niemand hardcorevegan werden. Man kann noch Schnitzel essen, aber eben nicht jeden Tag. Das System wird kollabieren, wenn wir weiterhin so viel Fleisch und tierische Produkte essen wie bisher. Im Moment verwenden wir 40 Prozent der weltweiten Ackerflächen, um Futtermittel für Tiere anzubauen. Ein Drittel des global erzeugten Getreides geht in Tiernahrung, während Menschen Hunger leiden. Lebensmittel, die wir essen können, an Tiere zu verfüttern, ist nicht besonders sinnvoll. Nichtsdestotrotz brauchen wir weiterhin Tierhaltung. Wiederkäuer wandeln zum Beispiel Gras in hochwertiges Protein um. Im Globalen Süden gibt es Gegenden, wo kein Getreide angebaut werden kann, da ist Tierhaltung definitiv sinnvoll. Aber die intensive Tierhaltung, die wir vor allem im globalen Norden haben, die ist sowohl mit den gesellschaftlichen Forderungen zum Tierwohl nicht mehr zu verbinden als auch mit den Treibhausgasemissionen und dem Ressourcenverbrauch, die damit einhergehen.

STANDARD: Wir wird Tierwohl eigentlich definiert?

Hintze: Die Definition von Tierwohl hat sich im Laufe der Jahre stark verändert. Lange Zeit lag der Schwerpunkt darauf, dass das Tier viel produziert, ganz nach dem Motto: Eine Kuh, die viel Milch gibt, muss eine gesunde Kuh sein. Das hat sich mittlerweile geändert. Wir wissen, dass es neben der physischen Gesundheit auch emotionale Komponenten gibt. Das kennen wir von uns selbst, auch wenn wir gesund sind, kann es sein, dass wir nicht besonders gut gelaunt sind. Diese emotionale Komponente bekommt immer mehr Bedeutung. Seit Anfang des Jahrtausends gab es weiteren Wandel. Seither kommt auch der Wunsch aus der Gesellschaft, dass Tiere ein gutes Leben führen. Forschungen in diese Richtung fördert auch die EU.

Schweine und eine schwarze Henne hinter einem Zaun.
Sind Schweine gelangweilt, sind sie tendenziell pessimistisch und negativ gestimmt, so die Hypothese von Tierwohlexpertin Sara Hintze.
IMAGO/Aimee Dilger

STANDARD: Wie sollen Landwirtinnen und Landwirte das finanzieren? Mehr Platz kostet schließlich Geld, und weniger Tiere zu halten bedeutet weniger Einnahmen.

Hintze: Ja, ich denke auch, dass dieser Wandel nicht trivial ist, aber dass wir ihn mutig gehen sollten. Platz kostet natürlich Geld, aber wenn wir die Tierhaltung reduzieren, haben wir auch mehr Platz. Das ist nicht nur eine Aufgabe der Landwirtinnen und Landwirte, sondern das muss gesamtgesellschaftlich angegangen und von der Politik unterstützt werden.

STANDARD: Was ist aktuell das größte Hindernis, um das Tierwohl in der Nutztierhaltung voranzutreiben?

Hintze: In vielen Köpfen ist noch immer der Wunsch nach Intensivierung und auch nach weiterer Produktionssteigerung. Dass eine Kuh noch mehr Milch gibt, ein Schwein noch mehr Ferkel produziert. Da braucht es definitiv ein Umdenken – und das gibt auch schon. Zum Beispiel werden Schweine mittlerweile auch auf mütterliches Verhalten gezüchtet und nicht nur auf die Anzahl der Ferkel. Wir haben auch als Konsumentinnen und Konsumenten eine Verantwortung und können überlegen, wie oft wir tierische Produkte essen müssen. Natürlich muss das Ganze auch sozial verträglich sein. Da ist ein ganzheitlicher Ansatz gefragt.

STANDARD: Was sagen Gütesiegel über das Leben des Tieres aus?

Hintze: Das ist wirklich schwierig. Im Endeffekt bleibt einem nichts anderes übrig, als sich die Richtlinien des Siegels durchzulesen.

STANDARD: Welche Auswirkungen hat denn die aktuelle Nutztierhaltung letztlich auf die Umwelt und den Klimawandel?

Hintze: Die aktuelle Haltung landwirtschaftlich genutzter Tiere hat einen großen Einfluss auf die Klimakrise, aber auch auf die Biodiversitätskrise. 14 Prozent der globalen Emissionen stammen derzeit aus der Tierhaltung. Hinzu kommt dieser enorme Ressourcenverbrauch, also der Anbau von Getreide als Futter, während wir darum bemüht sind, dass alle auf der Welt genügend Nahrung haben. Dieses Getreide braucht natürlich auch Platz, die meisten kennen die Bilder vom gerodeten Amazonas für Sojaplantagen zum Beispiel. Damit wird nicht nur der Regenwald zerstört, sondern generell gibt es viele Umwidmungen, wo Grasland in Ackerland umgewandelt wird. Grasland ist ein großer CO2-Speicher, und wenn wir diese Böden in Ackerland umwandeln, verlieren die Böden an Qualität. Viele Böden sind schon jetzt nicht mehr brauchbar. Boden ist kein brauner Dreck, sondern ein wichtiges System, aus dem unser Essen wächst. Wir müssen den Wandel schaffen, bevor es zu spät ist. (Julia Beirer, 27.10.2023)