Wir sehen in den Abendnachrichten: Die Szenen in Gaza nach den israelischen Luftangriffen. Die schreienden Frauen, die weinenden Kinder, die Männer, die blutige Bündel wegtragen. Die Schutthaufen, wo einmal Wohnhäuser standen. Wir sehen die Videos von den Einschlägen und die gewaltigen Rauchwolken.

Eine Frau steht vor den Fotos von jenen Israelis, die von der Hamas verschleppt worden sind.
AFP/AHMAD GHARABLI

Wir sehen die Meldungen über das angebliche israelische Bombardement des christlichen Krankenhauses in Gaza mit angeblich hunderten Toten. Dass wenig später schwere Zweifel an der Täterschaft der israelischen Armee auftauchen; dass Analysen des Funkverkehrs der Hamas ("das war eine von uns, oder?"), der Flugbahn einer Rakete, die für israelische Munition untypische Zerstörung auf dem Parkplatz des Krankenhauses plausibel machen, dass es eine fehlfunktionierende Rakete der Terroristen war – das kann den ersten Eindruck und die Schuldzuweisung an die Israelis, vor allem im arabisch-muslimischen Raum, kaum mehr verwischen.

Zivile Opfer

Ganz abgesehen davon, dass es ja tatsächlich zahlreiche zivile Opfer der israelischen Angriffe gibt – das "Narrativ" der Hamas, der ganzen palästinensischen Gruppen, dass hier willkürlich eine ganze Bevölkerung für einen "Freiheitskampf" bestraft wird, verfestigt sich. Denn wir sehen auch die Kolonnen der Menschen in Gaza, die aus dem Norden des Territoriums flüchten müssen. Was wir nicht oder kaum sehen: den Horror und die Szenen der Bestialität, die von den Hamas-Terroristen bei ihrem Überfall auf den Süden Israels verbrochen wurden.

Denn das ist überwiegend zu entsetzlich, um es in den Abendnachrichten westlicher Sender zu zeigen. Zu sehen sind zwar Videos von der Flucht von hunderten Menschen, die in der Wüste bei dem Rave-Festival von der Hamas überrascht wurden, und die ausgebrannten Autos danach. Aber es gibt Videos von jungen Frauen und weiblichen Teenagern, die mit Blut im Schritt von der Hamas in ihre Autos verfrachtet wurden; eines von der 22-jährigen Shani Louk, die regelungslos und halbnackt auf einem Pick-up-Truck liegt, während ringsum "Allahu Akbar" geschrien wird. Das wird (mit begreifbaren Argumenten) der großen Öffentlichkeit Europas vorenthalten.

Unaushaltbare Bilder

Es gibt noch anderes. Etwa ein Propagandavideo – offenbar von der Hamas –, auf dem zu sehen ist, wie bewaffnete Männer in Tarnanzügen und mit grünen Stirnbändern mit arabischer Schrift als Geiseln entführte israelische Kleinkinder in die Kamera halten. Das jüngste ist neun Monate alt. Das fand seinen Weg in einige englischsprachige Sender.

Nicht zu sehen (oder nur auf X, vormals Twitter) waren hierzulande die Schilderungen israelischer Militär-Rabbis, wie sie auf die verstümmelten Leichen ganzer Familien stießen. Und ebenso wenig die unaushaltbaren Fotos von erschossenen und verbrannten Babys aus einem überfallenen Kibbuz. Die hat der israelische Premier Benjamin Netanjahu hinter einer Warnung auf seinen Twitter-Account gestellt – offenbar, um dem verheerenden Eindruck entgegenzuwirken, den das israelische Vorgehen in Gaza hervorruft. Und das nicht nur bei fanatisierten Arabern in Europa, sondern auch bei linken und rechten "Antiimperialisten".

Empathie mit allen Opfern dieser blutigen Auseinandersetzung ist angebracht. Das israelische Vorgehen erzeugt berechtigte Sorge, und jede Menge westliche Staatsmänner von Joe Biden abwärts drängen die Israelis, halbwegs Verhältnismäßigkeit zu wahren. Aber es darf nicht aus dem Blickfeld geraten, dass wir es bei der Tat der Hamas mit dem "reinen Bösen" zu tun haben, wie es Biden formulierte. (Hans Rauscher, 21.10.2023)